Kultur

Ruhiger Moment in der temporeichen Märchen-Comedy: Anna Calvo als Klara und Verónica Segovia als Hausmädchen. (Foto: Briane)

01.12.2017

Wurlige Weihnachtsfete

„Nussknacker“-Ballett am Gärtnerplatztheater

Um die Weihnachtszeit bringen die Theater traditionell das Tschaikowsky-Petipa-Ballettjuwel Der Nussknacker (1892). Karl Alfred Schreiner, Tanzchef am Gärtnerplatztheater, hat es jetzt zeitgenössisch kühn aufgemischt. Und das Staatsorchester unter Kiril Stankow lässt sich mit flottem Tempo, dabei differenziertem Klang auf diese rasante, zudem parodistische Neuauflage ein. Hier feiert nämlich eine ziemlich schräge Multikulti-Großfamilie. Und alle, vom Großvater bis zu den Enkeln, scheinen getrieben vom hektischen Aktionismus unserer Zeit. Die Geschenke werden hastig aufgerissen. Verpackungsfetzen fliegen durch die Luft. Und getanzt wird – klassikfrei – in Schreiners gummiweichem Modern-Dance-Stil.

Punkige Schneekönigin

Patenonkel Droßelmeier ist bei Rodrigo Juez Moral kein ältlicher, skurriler Ballettmeister wie bei Petipa, sondern ein schmalzlockiger Beau in eierschalenfarbenem 20er-Jahre-Chic. Einen Nussknacker hat er nicht mitgebracht. Dafür, solide eingebunden, E.T.A. Hoffmanns Erzählung Nussknacker und Mäusekönig, die dem Ballett zugrunde liegt. Sein Sohn „liest“ in weit ausgreifender Gestensprache daraus vor, hat dann vor allem nur noch Augen für Klara. David Cahier und Anna Calvo als das Liebespaar sind in ihren fließenden, unaufgeregten Pas de deux der lyrische Ruhepol in dieser wurligen Weihnachtsfete. Klara, an ihrem Walnuss-Pult weiter in Hoffmann vertieft, schlummert hinüber ins Land der Träume, wo sie Droßelmeier junior wiedertrifft wie auch alle Stahlbaums und Freunde, die nun jedoch merkwürdig traumverändert sind. Klaras Mama, von Rita Barão Soares statuarisch getanzt, herrscht als weiße Punk-Schneekönigin über ein so gar nicht grazil walzerndes Schneeflocken-Gefolge. Nebenbei findet sie Gefallen an dem noch jugendlich fesch daherschlenkernden Droßelmeier senior. Schreiner zieht konsequent sein anti-ästhetisches Konzept der Klassik-Untergrabung durch. Opa Stahlbaum tapst als Eisbär über die Bühne und ist ansonsten ein altersgrantig gestikulierender Typ. Der mediterrane Familienzweig mit Hahnenkamm-Coiffure und Kikeriki legt einen spanischen Tanz aufs Parkett, sehr weit entfernt von Petipa. Dessen chinesischer Tanz wird sogar, und das gekonnt, mit Breakdance gekreuzt. Und der verliebte Butler rollt unverfroren das kesse Hausmädchen auf dem Servierwagen durch die Festtagsszenerie.
Schreiner lässt in seiner Märchen-Comedy also das Hier und Heute dominieren, von neuen Tanzstilen bis zu im 19. Jahrhundert noch als skandalös empfundenen gesellschaftlichen Verhaltenweisen. Trotz Tempo hängt der Abend auch mal durch. Scheußlich ist Rifail Ajdarpasics Bühne mit Wohnzimmer und Bibliothek in Alteiche-Imitat, die aber vielleicht bewusst ironisch Gemütlichkeit vorgaukeln soll.
Das Ensemble ist wie immer voll engagiert. Und wer sich von Tutu und Spitzenschuh für einen Abend trennen kann, wird hier gut unterhalten. (Katrin Stegmeier)

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