Kultur

So freundlich-fröhlich wie diese Punkerin und ihre Freunde vor dem Münchner Rathaus blickten nicht alle aus der Szene drein: Zum aggressiven Outfit passte eine grimmig-böse Miene besser. (Foto: Volker Derlath)

06.08.2021

Wut auf Mächtige und Mainstream

Die Münchner Monacensia zeigt in der Ausstellung „Pop Punk Politik“, welche Subkulturen in den 1980er-Jahren in der Landeshauptstadt unter dem Radar von Restriktionen blühten

Im München der 1980er-Jahre ging der Punk ab – wenn auch nicht so lautstark und gewalttätig wie anderswo. Die Stadt war ein Biotop für viele Facetten einer aufmüpfigen Subkultur. Eine Ausstellung wirft Schlaglichter auf diese Gründerzeit, in der vieles seinen Ausgang nahm, was heute selbstverständlich ist.

„Isch scheiß’ dich sowat von zu mit meinem Geld“, droht der Klebstofffabrikant Haffenloher dem Klatschreporter Baby Schimmerlos. Das war 1986, als Mario Adorf diesen Satz Franz Xaver Kroetz großkotzig um die Ohren haute und ihm klarmachte: Die Geldigen kaufen sich jeden und jedes. Die Szene stammt aus der TV-Kultserie Kir Royal: Diese transportierte deutschlandweit das Bild von München als Hort der dekadenten Schickeria – in gesteigerter Form der wenige Jahre älteren Fernsehserie Monaco Franze. Und auch die Münchner Spider Murphy Gang sang in jenen Jahren: „Ja mei, wia kummst denn do daher /A weng ausgflippt muasst scho sei/Sonst laßt di da Gorilla / An der Eingangstür ned nei / In d’ Schickeria, in d’ Schickeria.“

„A weng ausgflippt“ vielleicht schon – aber bestimmt nicht so, wie die Szeneleute vom Stachus daherkamen: mit Igelfrisur oder grell gefärbtem Iro, Nasenringen und Sicherheitsnadeln in den Ohren, Lederjacken voller Nieten und Anarcho- und Antifa-Symbolen, martialisch wirkenden Gürteln und Armbändern – Punks eben! Die freilich hätten sowieso nicht in Promidiscos wie das P1 gehen wollen, wo es nicht jene aggressive Musik gab, zu der man sich beim rempelnden Pogo-Tanz blaue Flecken holte. Umgekehrt wäre das P1-Klientel bestimmt nicht mit röhrendem Sportwagen durch die Prinzregentenstraße hinüber nach Haidhausen zur Punkerheimat Cafe Größenwahn gecruist. Das hätte nur Randale provoziert.

Randale in Müllklamotten

Man blieb unter sich – und die Münchner Punkerszene im Schatten der High Snobiety. Letztere signalisierte Wohlstand und glamouröse Lebenskultur – damit punktete die Weltstadt mit Herz (den Slogan hatte sich die Landeshauptstadt seit 1962 auf die Fahnen geschrieben) eindeutig mehr als mit einer Hinterhofkultur junger Randalierer in Müllklamotten.

Posen mit Rudolph Moshammer samt Hund Daisy im Arm und Mama Else zur Seite vor dessen Laden und Rolls-Royce in der Maximilianstraße kam besser an und lockte das geldige Klientel aus aller Welt. „Die ganze Stadt ist eine Boutique“, titelte der Spiegel in seiner Ausgabe vom 5. Oktober 1986. Sollte man polemisch annehmen, dass es geradezu symptomatisch für die Wahrnehmung des Punk in der Stadt war, dass ein halbes Jahr vorher Münchens Starfriseur Gerhard Meir die Promi-Regensburgerin Gloria von Thurn und Taxis für einen Fernsehauftritt mit Stachelfrisur zur Luxus-Punk-Fürstin gestylt hatte – worüber ganz Deutschland sprach, nicht aber über die echten Punks an der Isar?

Freilich machten die selbst weniger Geschrei als Gleichgesinnte in Hamburg, Berlin oder Zürich, wo es brandgefährlich funkte: nicht nur bei Szenekonzerten oder bei Massentreffen wie Chaostagen, die nur allzu oft in Keilereien zwischen linken Punks und rechten Skins endeten, sondern wo man im linken Spektrum der Hausbesetzerszene beheimatet war. Die Aktionen wurden legendär. Die Räumungen, die in Berlin gar ein Todesopfer forderten, peitschten das politische Klima an.

Harte Linie in München

Nicht so in München, das zwischen 1978 und 1984 vom CSU-Oberbürgermeister Erich Kiesl geleitet wurde, bevor Georg Kronawitter von der SPD den Rathausthron zurückeroberte. Landesweit schwang der CSU-Grande Franz Josef Strauß zwischen 1978 und 1988 als Ministerpräsident das Zepter. Da erstickte die Politik derlei jugendliche Meuterei in verwahrlosten Bauten, die sie zwischennutzten, bis Investoren sie plattmachten. In München galt die Parole, dass ein Haus nicht länger als 24 Stunden besetzt sein dürfe. Man ging rigoros vor, versuchte quasi „das Übel“ schon an der Wurzel zu packen – wie die linke Aktionsgruppe Freizeit 81, der man nach wenigen Monaten mit Inhaftierungen selbst Minderjähriger den Garaus machte.

Verpenntes München

„Hier ist es total fad. Überall gab’s Hausbesetzungen und Action, nur in München nicht: Zürich brennt – München pennt“, erinnerte sich Wolfgang Bihlmeir 2011 im Münchner Gaudiblatt (2009 gegründet, erscheint unregelmäßig) an die beginnenden 1980er-Jahre. Er war damals von Zürich nach München gekommen – und machte sich prompt ans Aufmischen der Szene: Er trieb die Formierung von Freizeit 81 mit an, die schnell als – aus ordnungspolitischer Sicht – „terroristische Vereinigung“ die Ruhe störte. Bihlmeir war einer derjenigen, die dafür in den Knast wanderten. Heute ist er eine der Seelen des Münchner Werkstattkinos.

Apropos „Zürich brennt“ – oder Züri brännt, wie ein Dokumentarfilm betitelt ist, der 1981 wie im Lauffeuer durch Deutschland ging und mancherorts zur Initialzündung für den neuen anarchischen Jugendprotest wurde. Im Sommer 1980 war es in der Schweizer Stadt zu Krawall und Polizeigewalt gekommen: Geld für ein Jugendhaus war nicht da – wohl aber für die Sanierung des Opernhauses.

Straßenkampf von innen

Was damals auf Zürichs Straßen abging, kann man derzeit in der Münchner Monacensia sehen, wo Züri brännt schon gleich zu Beginn des Ausstellungsrundgangs durch Pop Punk Politik. Die 1980er Jahre in München auf einem Monitor flimmert. Der Film zeigt den Straßenkampf nicht von außen, sondern mit tragbarer Videokamera aufgenommen sozusagen von innen heraus und aus dem Blickwinkel der Demonstrierenden. Das schuf eine brisante Identifikation – von der ließ sich auch die Szene in München inspirieren.

Lodern an vielen Stellen

Und auch wenn es zum Beispiel mit Freizeit 81 schnell wieder vorbei war, so ließ sich der Brand nicht mehr so leicht löschen – vielleicht gerade deshalb, weil er in München nicht so hoch, sondern eher auf kleiner Flamme loderte (weshalb zum Beispiel die radikale Aktivistin Andrea Wolf Mitte der 1980er-Jahre München verließ), dafür aber an vielen Orten, subversiv und beständig.

Auch unter dem Radarschirm von Restriktionen gedieh eine Subkultur voller Bewegungen, die sich Forderungen nach Frieden und intakter Umwelt ebenso verschrieben wie emanzipatorischen Fragen, der Anerkennung verschiedener Identitäten, von Schwulen und Lesben, die neben Ladentreffs und einer neu interpretierten Caféhaus- die Hallenkultur hervorbrachte. Und in der die Punkszene mit ihrem eher ausgestellten Nihilismus und ihrer Gewaltbereitschaft letztendlich nur der auffälligere Teil war. „Liegt der Popper tot im Keller, war der Punker wieder schneller“, schrieb damals jemand an eine Klowand.

„Die 1980er-Jahre sind substanziell interessant, weil sie eine Brücke zur Gegenwart schlagen, weil viele Themen von damals Parallelen zu heute haben, weil viele urbane Haltungen von jenem Jahrzehnt geprägt sind“, sagt Anke Buettner – und legt den Finger auf eine Wunde des Münchner Literaturarchivs, das sie seit zweieinhalb Jahren leitet: Die Ausstellung stehe am Beginn auch einer eigenen Aufarbeitungsstrategie, denn „wir haben Lücken in unseren Beständen entdeckt. Weil einiges, wie eben aus den 1980er-Jahren, lange schlichtweg nicht wertgeschätzt und als beachtenswert beurteilt wurde.“

Von einer Gründerzeit spricht Ralf Homann – er hat die Ausstellung Pop Punk Politik gemeinsam mit Sylvia Schütz von der Monacensia kuratiert. So waren die 1980er-Jahre: Mit solch lexikaler Besserwisserei gehen die beiden nicht vor – obgleich Ralf Homann, Jahrgang 1962, quasi als Insider in jenen Jahren selbst als Künstler und Medienaktivist mitgemischt hat. „Kuratorische Feldforschung“ und eher journalistische Recherche habe man betrieben – mit offenem Ausgang, sagt Ralf Homann, und: „Wir stellen zur Diskussion, welche Perspektiven da noch hineingehören könnten.“ Die Ausstellung und ihre Erweiterung im Internet will man quasi als Initialzündung verstehen.

Ein solches Vorgehen soll auch bei künftigen Projekten verfolgt werden, sagt Monacensia-Chefin Anke Buettner über die von sonst üblichen literarischen Präsentationen abweichende Herangehensweise – die mit dieser Ausstellung ihre Feuerprobe bestanden hat.

Zwischen Infos und Emotion

Mit Leichtigkeit balanciert diese Schau schlaglichtartig über die wechselseitigen Einflüsse von Literatur und Politik zwischen Information und Emotion – und hat mit ihren „Plateaus“ (um das eine Chronologie nahelegende Wort Kapitel zu vermeiden) durchaus etwas von der lockeren Machart der Fanzines (Kunstwort aus Fan und Magazin). In diesen Szeneblättern konnte Polemisches neben Poetischem stehen, Hochwissenschaftliches neben Nonsens – in Wort und Bild, gespickt mit Pfeilen voller Widerhaken: Infos und Meinung vor allem gegen die Mächtigen und den Mainstream.

In dieser Zeit vordigitaler Social Media waren die Textsorten vielfältig, experimentell und manches kultig – auch hier die Suche nach einer Schriftlichkeit jenseits der etablierten und elitären Literatur, ein Schreiben „von unten“. Man wartete gespannt auf das Neueste von Kolumnisten (heute wären es wohl Influencer*innen) etwa im Blatt, der alternativen „Stadtzeitung für München“, der ersten ihrer Art in Westdeutschland. Im Zündfunk des Bayerischen Rundfunks nahm man kein Blatt vor den Mund. Manche Liedtexte wurden geradezu auswendig gelernt – etwa vom „Bluus foa da peamanenten Razzia“ von Sparifankal. Einschlägige Comics gehörten ebenfalls zum Lektüre-Muss. Es gab Manifeste und selbst Briefeschreiben war in – damals nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern an Freunde aus dem Knast beziehungsweise „aus dem Jenseits von Gut und Böse“, wie die 15-jährige Andrea Wolf an ihre Freundin Andrea Hagen (Cafe Größenwahn) schrieb. „Ich bin meist ekelhaftester Stimmung, was mir zwar Spaß macht, aber die Frauen hier nerv ich total.“

Mit 15 im Knast

Auch ihr Zwillingsbruder Tom saß ein – beide wurden der Freizeit 81 zugerechnet, und die galt der Staatsanwaltschaft als terroristische Vereinigung, womit sie vor Gericht aber baden ging. Ein paar Monate später mussten die Geschwister erneut einrücken – diesmal tatsächlich wegen Anschlägen verurteilt. Beide leben heute nicht mehr: Andrea wird dem RAF-Umkreis zugerechnet und soll 1998 als Mitglied der türkischen PKK ums Leben gekommen sein. Ihr Bruder starb schon 1984 vermutlich durch Suizid.

Ebenfalls den Freitod (1996) wählte Rabe Perplexum, eine Multimedia-Künstlerin. „Nicht Mann – nicht Frau – nur Rabe!“ überschreibt die Monacensia den kleinen Ausstellungsschwerpunkt, den man der eigenwilligen Münchnerin eingerichtet hat, deren Werk und Wirken noch der Aufarbeitung harrt. Im Literaturarchiv ist ihr Nachlass.

Hirn auf Denkzettel

In Vitrinen ausgestellt sind Fotos der Künstlerin in ihren schrägen Aufmachungen, ebenso Zeichnungen zu Schmuckkreationen oder Anträge auf Förderung einer ihrer Performances, in der es um die „logistische Fortsetzung eines digitalen Beziehungslosigkeitsdramas“ gehen sollte. Daneben platziert ist das Typoskript zu einer weiteren Kunstaktion: eine Speisekarte, auf der auch „Verlorenes Gehirn auf Denkzettel und tom.Salat“ zu finden ist.

Auf dem gleichen Ausstellungs-„Plateau“ begegnet man Cora Frost, die auch schon mal Strip-Performances im Cafe Größenwahn zeigte. In der Verbindung von Text und Gesang lotete sie Identitäten und Rollen aus: „Ich heirate mich selbst“, hieß eine ihrer Performances.

Produktive Ausbrüche

Das Spiel mit dem Androgynen, mit dem Outfit, die Begeisterung für Musikstile jenseits dessen, was je in die ZDF-Hitparade gekommen wäre, das Ausprobieren von alternativen Formen des Miteinanderlebens ebenso wie der politischen Aktivitäten (die Partei der Grünen wurde 1980 gegründet) – grob gesagt das Aufbegehren gegen Eingefahrenes: Das sind wohl die signifikantesten Kennzeichen dieses Jahrzehnts. Diese Ausbrüche aus dem Vorgegebenen waren ein überregionales Phänomen – die Monacensia hat deshalb den strengen Fokus auf München aufgegeben, dabei aber die bislang wenig überlieferte Bedeutung der auch dort produktiv schwelenden Subkultur(en) ins Rampenlicht geholt. (Karin Dütsch)

Information: Bis 13. Januar 2022. Monacensia im Hildebrandhaus, Maria-Theresia-Straße 23, 81675 München. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia

Abbildungen (von oben):
Jeder sollte lesen, was man von der Welt hielt. ZSD (unten links) war übrigens nicht nur das Kürzel der Punkband Zielstrebige Degeneration, sondern auch des Zivilen Sicherheitsdiensts alias die Schwarzen Sheriffs.    (Foto: Volker Derlath)

Luxuslüge hieß eines der Fanzines aus der Punkszene. In der Ausstellung gibt es Ansteckbuttons mit dieser Coverabbildung. (Foto: Frank Schubert)

In der Monacensia wartet der Nachlass von Rabe Perplexum darauf, aufgearbeitet zu werden.   (Foto: Rainer Schwinge)

 

 

 

 

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