Gleich zwei bayerische Kunstausstellungen befassen sich derzeit mit dem großen Thema Zukunft. Das Neue Museum Nürnberg (NMN) schenkt sich zu seinem 20. Jubiläum eine Ausstellung unter dem Titel Was, wenn…? Zum Utopischen in Kunst, Architektur und Design. Zu sehen gibt es eine inspirierende Schau über Sichtweisen der Kunst mit Blick auf das Morgen, und es schwingt hier viel hilfreiche Hoffnung mit. Denn über alle naheliegenden Sorgen hinweg kann die Zukunft auch eine Zeit des Gelingens und Umdenkens sein, und es ist nicht zuletzt die Kunst mit ihren zahlreichen Projekten, die dafür da ist, ein solches Umdenken anzustoßen.
Schon im Foyer des Neuen Museums, in einem begehbaren Objekt des Benevolent Utopization Device von Matthias Böhler und Christian Orendt, spendet eine Art extraterrestrisch anmutendes Lichtwesen Mut: „Don’t be scared“, flötet es lieblich. So geht es auch weiter in einer Ausstellung, die ihre Ausstellungsarchitektur mit in den Mittelpunkt stellt: Sie bietet immer wieder Rückzugsräume mit Ruhezonen, hat Licht-, Klang- und Meditationsräume.
Durch diese Räume und durch die zahlreichen Objekte hindurch kann die Neugierde spazieren gehen und im Betrachter Anklänge an eine Vision der Zukunft erzeugen. Das utopische Denken umfasst immer den Eintritt in eine neue Welt: im Neuen Museum konkret durch den einzig möglichen Eintritt in den Ausstellungsraum über eine europablaue Treppe, die Eurotopie.
In sechs Bereiche ist die Schau der Utopien gegliedert, die so angenehm vielschichtig, umfänglich und umfassend wird. Es geht um Staaten und Staatengemeinschaften – wie beim European Democracy Lab, das auf ein geeintes Europa als Hoffnungsträger für die Zukunft verweist. Es geht um Stadt und Stadtstrukturen, etwa das Entwickeln von neuen Nachbarschaftsprojekten in den großen Städten, die sich dann nicht mehr vom Straßenverkehr unterjochen lassen, sondern dem Menschen dienen. Es geht um die Vegetation auf dem Mars in der Zwölf-Kanal-Videoinstallation The Wilding of Mars von Alexandra Daisy Ginsberg. Es geht um heute schon Klassisches, etwa Filzarbeiten von Joseph Beuys. Und es geht um die Utopie des Neuen Designs: ein kurzes Video, das klarmacht, dass die Zukunft etwas ist, was den Kindern gehört.
In eine etwas andere Richtung der Zukunftsvisionen blickt die Ausstellung Der Blaue Planet im Augsburger H 2, dem Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast. Dort befragen Künstler*innen den aktuellen Zustand der Welt über sein Potenzial für die Zukunft.
Es herrscht durchaus auch Beklemmung. Für ihre Installation Tank hat Anja Güthoff Zivilisationsmüll gesammelt und in 18 Metallgitterboxen gepfercht – ein plakativer Verweis auf all den Dreck, der im Meer herumschwimmt und immer mehr wird.
Barbara Ciurej und Lindsay Lochman präsentieren ihre extrem satirischen Katastrophenrezepte, die lehren, wie man einen Planeten und seine Landschaften komplett ruinieren kann. Charles Xelot dokumentiert auf seinen Fotos There is gaz under the tundra sibirische Industrialisierung in klirrender Kälte: Alles dort ist fremd und befremdlich, der Mensch ganz klein in einer durch und durch malträtierten Natur.
Selbst aktiv werden
Beiden Ausstellungen beigestellt sind Projekte von Organisationen in Nürnberg und Augsburg, die für eine bessere Zukunft sorgen sollen. Zum Mitmachen bietet das städtische Augsburger Büro für Nachhaltigkeit einen zentralen Raum in der Mitte der Ausstellung, in Nürnberg präsentiert die „Stadtmacherei“ ihre „kreative Arbeit für das Nürnberg von morgen“. So trifft an beiden Orten die kreative Gegenwartsanalyse und der Utopieentwurf der Kunst auf konkrete Umsetzungsaspekte. Wahrscheinlich müssen sich diese Welten berühren, um die eine reale Welt zu retten. (Christian Muggenthaler)
Information: Bis 20. September im Neuen Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design, Klarissenplatz, 90402 Nürnberg. Di. bis So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. www.nmn.de
Bis Ende Dezember im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast, Beim Glaspalast 1, 86153 Augsburg, Di. bis So. 10-17 Uhr. www.kunstsammlungen-museen.augsburg.de/h2-zentrum-fuer-gegenwartskunst-im-glaspalast
Abbildung: In seiner Serie „There is gaz under the tundra“ (2017) thematisiert Charles Xelot die durch Industrialisierung malträtierte Natur Sibiriens. (Foto: Charles Xelot)
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