Landtag

660 000 Menschen in Bayern haben einen Nebenjob – überwiegend Frauen. Viele arbeiten nach Dienstschluss noch in der Gastronomie. (Foto: dpa)

29.03.2018

Arbeitsbeginn nach Feierabend

In Bayern haben dreimal mehr Menschen einen Nebenjob als 2003 – aus Freude an der Arbeit, nicht auf finanzieller Not, meint die Staatsregierung

Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, üben rund 3,1 Millionen Erwerbstätige in Deutschland zusätzlich zum Hauptjob einen Nebenjob aus (siehe Infokasten). Das bedeutet, die Anzahl der Menschen, die mehr als einer Erwerbstätigkeit nachgehen, hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag, Angelika Weikert, wollte von der Staatsregierung wissen, wie viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Bayern mindestens einen Nebenjob haben.

Die Antwort des Arbeitsministeriums zeigt: Auch im Freistaat kommen immer mehr Menschen nur mit einem oder mehreren Nebenjobs über die Runden. So hatten letztes Jahr rund 660 000 Menschen eine Nebenbeschäftigung – davon 58 Prozent Frauen. Die meisten sind zwischen 25 und 35 Jahre beziehungsweise zwischen 45 und 55 Jahre alt. 567 000 von ihnen üben die geringfügige Beschäftigung zusätzlich zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis aus, über 350 000 davon sogar neben einem Vollzeitjob. Knapp 50 000 haben mehrere Minijobs gleichzeitig, ohne in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu stehen.

Ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Auch in Bayern ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit mindestens einem zusätzlichen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis Jahr für Jahr gewachsen – von 190 000 im Jahr 2003 auf 567 000 im Jahr 2017 – das ist fast das Dreifache. Darin enthalten sind auch die Vollzeitbeschäftigten, die zusätzlich mindestens einer geringfügigen Beschäftigung nachgingen. Ihre Zahl stieg im selben Zeitraum von 144 000 auf 335 000 Personen. Besonders betroffen sind vor allem die Berufsgruppen medizinische Gesundheitsberufe, Verkaufsberufe, Reinigungsberufe sowie der Bereich Verkehr und Logistik.

SPD: Staatsregierung ist entweder ignorant oder zynisch

Wie hoch der Anteil derer ist, die aus finanziellen Gründen einen Nebenjob annehmen, kann die Staatsregierung nicht sagen. Das Arbeitsministerium glaubt aber nicht, dass das der Hauptgrund für eine zusätzliche Beschäftigung ist. „Es liegen keine statistisch signifikanten Hinweise dafür vor, dass vielen Arbeitnehmern das Einkommen aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis alleine nicht ausreicht“, heißt es in der Antwort. Eine Bewertung der These sei deshalb nicht möglich. Tatsächlich gibt es in der Forschung das sogenannte Portfoliomotiv. So bezeichnen Wissenschaftler Nebenjobber, die aus Freude oder Prestige neben dem Hauptjob einer weiteren Tätigkeit nachgehen – zum Beispiel Musiker, Wirtschaftsberater oder Politiker.

SPD-Abgeordnete Weikert kann sich allerdings nicht vorstellen, dass das der Grund für die Zunahme von Nebenjobbern ist. „In den Städten und dem Münchner Speckgürtel ist die Nebenjobquote höher als auf dem Land“, erklärt sie. Da sei es doch wohl naheliegend, dass ein Zusammenhang mit dem Einkommen bestehe. Weikert findet es besorgniserregend, dass die Staatsregierung den kontinuierlichen Anstieg von Mehrfachbeschäftigungen in Bayern nicht einzuordnen weiß. „Diese Aussage ist wahlweise ignorant oder zynisch!“

Um den Trend zum Nebenjob zu stoppen, fordert Weikert, sich für eine weitere Stärkung der Tarifbindung und der Eindämmung atypischer Beschäftigungsverhältnisse einzusetzen. Das Ziel müsse sein, die Menschen in nachhaltige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen und dort anständig zu entlohnen. „Wer einen anständig bezahlten Vollzeitjob hat“, so Weikert, „der braucht keinen Nebenjob!“ (David Lohmann)

INFO: Zweitbeschäftigungen in Deutschland
Betroffen: Frauen, mittlere Altersgruppen und Menschen mit Migrationshintergrund haben besonders oft einen Nebenjob.

Berufsgruppen: Im Hauptberuf sind Nebenjobber oft in den Bereichen Verwaltung und Büro, allgemeine Dienstleistungen, Verkehr, Gesundheitswesen sowie in Sozial- und Erziehungsberufen tätig.

Verdienst: Mit Blick auf die Entgeltverteilung haben Personen mit den niedrigsten Einkommen in der Hauptbeschäftigung die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nebenjob. Ein Zweitjob wird eher von Teilzeit- als von Vollzeitbeschäftigten ausgeübt.

Entgelt: 88,6 Prozent kombinieren ihren sozialversicherungspflichtigen Hauptjob mit einem Minijob auf 450-Euro-Basis. Allerdings gibt es auch Menschen mit zwei Minijobs. Dabei wird nur ein Mindestmaß an sozialer Absicherung erworben.

Grund für die Zunahme: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) führt das auf das Hartz-Konzept zurück, das im Dezember 2002 in Kraft trat. Dies habe Nebenjobs gegenüber dem Hauptjob gestärkt. Ein Lob ist das allerdings nicht: „Inwieweit dies angesichts von geringerer sozialer Absicherung und mitunter unsicheren beruflichen Entwicklungsperspektiven ökonomisch gerechtfertigt werden kann, ist fraglich.“

Lösungsvorschlag: „Für eine Verbesserung der Arbeitsmarktintegration und der Alterssicherung wäre eine Entlastung niedriger Verdienste im Hauptjob zielgenauer und wirkungsvoller als die derzeitige Begünstigung von Nebenjobs“, heißt es im IAB-Bericht. (loh)

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