Landtag

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) beim Trauerakt im Landtag. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

23.03.2021

Das Leid hinter der Statistik

Trauerakt für 13 000 Corona-Tote: Für einen Moment steht im bayerischen Landtag die Zeit still. Es geht es nicht um bloße Zahlen oder den weiteren Lockdown - sondern um Namen und Schicksale

Am Anfang steigt die Zahl auf der großen Leinwand mit den vielen Kerzen noch relativ langsam, dann immer schneller, dann stagniert sie etwas - und zwischendurch rast der Wert nur so nach oben. Ministerpräsident Markus Söder und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (beide CSU) blicken wie gebannt auf die Zahl, die am Ende bei 12 885 stehen bleibt. So viele Menschen sind in Bayern seit Beginn der Corona-Pandemie vor rund einem Jahr und bis einschließlich 17. März an oder unter Beteiligung einer Corona-Infektion gestorben.

Tatsächlich steigt die Zahl immer weiter, aktuell nur etwas langsamer als vor einigen Wochen. Am Dienstagmorgen liegt sie bei 13 020. "13 020 Menschen sind aus dem Leben gerissen: aus ihren Familien, aus ihren Freundeskreisen, aus unserer Mitte. 13 020 Menschen - das ist eine unvorstellbare Zahl", sagt Aigner. Und sie räumt ein: "Jeder einzelne Tote ist auch eine schmerzliche politische Niederlage."

Mit einem Trauerakt erinnern der Landtag und die Staatsregierung an diesem Dienstagnachmittag an die Todesopfer der Corona-Pandemie im Freistaat. Der Plenarsaal ist dabei bis auf die Mitwirkenden leer - alle anderen Abgeordneten sollten angesichts der aktuelle Lage verzichten. Am 18. April soll bundesweit ein zentraler Gedenkakt für die Corona-Toten stattfinden - bis Dienstagmorgen zählte das Robert Koch-Institut etwa 75 000 Tote. Der im Bund geplante Gedenkakt geht auf die Initiative von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zurück.

Dabei geht es um mehr als um die horrenden Corona-Zahlen, an die man sich seit einem Jahr ganz langsam gewöhnen musste. Politiker wie Söder bekommen die aktuellesten Zahlen jeden Morgen auf ihr Smartphone, viele Menschen hören sie im Radio, lesen sie in der Zeitung oder im Internet. Die Zahlen seien der schlimmste Moment des Tages, sagt Söder und betont: "Sie sind nicht nur Statistik, sondern sie sind in unserem Herzen und unserem Bewusstsein." Jeder Verstorbene hinterlasse eine Lücke. "Wir werden sie auf keinen Fall vergessen."

Nur ein Tag zwischen positivem Corona-Test und dem Tod eine 54-Jährigen

Im Landtag bekommen zumindest einige der Zahlen an diesem Nachmittag, an dem die Regierungsbank mit Trauerflor und der Plenarsaal mit weißen Blumen geschmückt ist, ein Gesicht und eine Geschichte.

Aigner erinnert an Helmar Fügert, er war 80 Jahre alt, ehemaliger Studiendirektor eines Gymnasiums, der zuletzt in einem Pflegeheim lebte. "Seine Frau Christa war fast immer um ihn herum, kümmerte sich rührend um ihren Mann. Doch dann griff das Virus um sich, verheerend." Fügert infizierte sich - und starb am 28. März 2020.

Oder der Mangstl Sepp, 54, Beamter im Landratsamt Rosenheim, Mitglied der Blaskapelle Höhenrain. "Sepp Mangstl stand mitten im Leben", sagt Aigner. "Wo er sich mit dem Corona-Virus infiziert hatte, weiß niemand." Zwischen dem positiven Corona-Test und seinem Tod lag nach Worten Aigners nur ein Tag. Drei Wochen später starb auch der Vater. Und Söder erinnert beispielsweise an einen 54-Jährigen, der im März 2020 starb. "Eigentlich war er ein Mann wie ein Baum", zitiert Söder.

Auch die Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates und ehemalige Regionalbischöfin, Susanne Breit-Keßler, gedenkt der vielen Toten. Danach werden auf der großen Leinwand Fotos von Opfern aus ganz Bayern und bewegende Botschaften von ihren Angehörigen gezeigt.

Es gehe also um mehr als Zahlen, mahnt Söder. Die Kerzen im Film zu Beginn stünden für "unzählige Schicksale". Der bisherige traurige Höhepunkt, das war, als alle zehn Minuten ein Mensch in Bayern an oder mit Corona starb. Aktuell sei es ein Mensch pro Stunde, sagt er.

Allein der Zeitpunkt des Traueraktes zeigt, dass der Kampf gegen das Virus noch nicht vorbei ist: Bis zum frühen Morgen hatten Bund und Länder über die künftige Corona-Politik beraten und sich dabei nur mühsam zu einer halbwegs gemeinsamen Linie durchgerungen, etwa einem kurzen, aber harten Oster-Lockdown. Danach Kabinetts-Schalte und Regierungspressekonferenz zur konkreten Umsetzung in Bayern - und nur Minuten später beginnt der Trauerakt im Landtag, während an vielen öffentlichen Gebäuden die Flaggen am Dienstag auf halbmast wehen.

Söder und Aigner wenden sich in ihren Reden entschieden gegen all jene, die die Gefährlichkeit des Virus anzweifeln. "Corona leugnen, Corona verharmlosen - das ist brandgefährlich. Und es verhöhnt die Opfer in unerträglicher Weise", sagte Aigner. Söder kritisiert dies als "das Ignorieren von Schicksalen" - und das sei "abscheulich". Mit genau diesem Wort geht Aigner auch auf die aktuelle Maskenaffäre ein. "Wenn die Menschen in Not sind und einzelne Politiker an nichts anderes denken als an ihren eigenen Vorteil und in die eigene Tasche zu wirtschaften, dann ist das: wirklich abscheulich", kritisiert sie.

Söder und Aigner machen deutlich: Der Kampf gegen das Virus geht weiter. "Corona ist potenziell tödlich", warnt Söder. Man versuche weiterhin, jedes Leben zu schützen. Er sagt in seiner Rede diesen zentralen Satz: "Deswegen kämpfen wir und trauern wir gemeinsam."
(Christoph Trost, dpa)

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