Landtag

Bei der Anhörung zum Ladensterben mahnen Experten Landräte, dem Lockruf der Aldis und Lidls auf der grünen Wiese zu widerstehen. (Foto: dpa)

27.04.2018

Der Bank-Post-Café-Lebensmittel-Laden

Beim Fachgespräch zum Ladensterben fordern Experten eine bessere Förderung örtlicher Nahversorger im Ortszentrum

Bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss des Landtags wurde der Staatsregierung empfohlen, die Förderung „multifunktionaler Dorfläden“ erheblich zu verbessern. Damit soll dem anhaltenden Schwund von Lebensmittelläden und Dienstleistungsangeboten in ländlich geprägten Regionen entgegengewirkt werden. Auf Anfrage der SPD hatte das Wirtschaftsministerium jüngst mitgeteilt, dass die Zahl der Lebensmittelläden im Freistaat seit 2006 um gut zehn Prozent gesunken ist. In gut 600 Kommunen gibt es demnach keinen Laden mit breiterem Sortiment mehr. Mehrere Fachleute plädierten zudem für klarere Vorgaben in der Landesplanung. Wenig Handlungsbedarf sah lediglich der Handelsverband Bayern. „Die Nahversorgung ist im Prinzip gut gesichert“, erklärte Verbandsgeschäftsführer Wolfgang Puff. Die Entwicklung zu größeren Läden in zentralen Orten sei aber nicht mehr umkehrbar. „Wir werden künftig weitere Wege in Kauf nehmen müssen“, sagte Puff.

Damit wollten sich die anderen Experten nicht abfinden. Der Bayreuther Raumordnungsprofessor Manfred Miosga erklärte, dass bereits heute 1,3 Millionen Bayern mehr als drei Kilometer entfernt vom nächsten Lebensmittelladen leben würden. Setze sich die Entwicklung fort, dass kleine, eigentümergeführte Läden von der Bildfläche verschwinden, werde die Zahl dieser „Unterversorgten“ bald auf über zwei Millionen steigen. Problematisch sei, dass damit die Zahl derer, die zum Einkaufen auf das Auto angewiesen seien, weiter wachse, während wegen der älter werdenden Gesellschaft weniger Menschen automobil unterwegs sein könnten. Miosgas Fazit: „Auch kleinere Ladenformate brauchen eine Zukunft.“

Der Freyunger Bürgermeister Olaf Heinrich sah in der Entwicklung auch ein soziales Problem. „Mit dem Laden sterben auf dem Dorf auch örtliche Kommunikationszentren und Treffpunkte“, warnte er. Dies müsse Kommunalpolitikern bewusst sein, die dem Lockruf der Aldis und Lidls auf der grünen Wiese verfielen. Dass die Landesplanung dies mit der Ausweitung von Flächenobergrenzen und Ansiedlungserleichterungen unterstütze, führe zu Fehlentwicklungen. Nötig sei die bessere Förderung örtlicher Nahversorger im Ortszentrum. Dies müsse ein eigener Fördertatbestand werden, forderte Heinrich.

Der Unternehmensberater Wolfgang Gröll hob das enorme regionale Potenzial multifunktionaler Dorfläden hervor. Besonders erfolgreich seien Kombinationen aus Lebensmittelladen mit Post- und Bankdiensten sowie Tages-Café und örtlichen Dienstleistungen. Als Beispiel nannte Gröll die angegliederte Änderungsschneiderei. Zudem würden über die Läden viele regionale Lebensmittel verkauft. „Das trägt auch zur Wertschöpfung vor Ort bei“, betonte Gröll. Weitere Möglichkeiten zur Sicherstellung der Nahversorgung brachte die Deggendorfer Professorin Diane Ahrens ins Spiel. Sie nannte den Online-Handel und „rollende Supermärkte“. Einzig Handelsverbandsvertreter Puff blickte skeptisch auf die Vorschläge. Man müsse die Entwicklungen im Handel realistisch aufnehmen und dürfe sich „nicht in Träumereien ergehen“.

Ungeachtet dessen plädierten Sprecher aller Fraktionen für eine bessere staatliche Förderung multifunktionaler Dorfläden. Die Kriterien müssten konkret auf alle vom Ladensterben betroffenen Gemeinden zugeschnitten werden. Klaus Adelt (SPD) betonte, die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung vor Ort habe in Bayern Verfassungsrang. Zur Erfüllung dieser Pflichtaufgabe bräuchten die Kommunen mehr staatliche Unterstützung. Jürgen Mistol (Grüne) warb für einen ordnungspolitischen Rahmen, damit sich benachbarte Kommunen nicht in den ruinösen Wettbewerb um die Ansiedlung von Supermärkten begeben müssten. Nötig seien Pflichten und Anreize zu mehr gemeindeübergreifenden Absprachen. Damit könnten Kommunen auch selbstbewusster gegenüber den Flächenforderungen der Einzelhandelskonzerne auftreten, erklärte Mistol. Für Joachim Hanisch (Freie Wähler) ist die örtliche Nahversorgung ein wichtiger Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Max Gibis (CSU) betonte, die Grundversorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs müsse überall im Land erhalten bleiben. Dazu müssten mit staatlicher Unterstützung örtliche Zentren erhalten oder geschaffen werden. (Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. Controller am 14.10.2018
    Handel ist Wandel - und das ist auch gut so. Klar ist, der Handel mit Lebensmitteln hat sich in den letzten Jahren stark konzentriert und heute ist es so, dass mit immer weniger Einsatz immer größere Mengen Waren umgeschlagen werden müßen damit am Ende des Jahres für den Unternehmer noch ein Profit bleibt. Daß es so weit gekommen ist hat ganz verschiedene Ursachen und reicht von der Globalisierung, also auch Konzentration der Anbieter bis zum Aufkommen des Internethandels undhier vor allem der Smartphones, mit denen es möglich ist, zu jeder Zeit und an jeden Ort beliebeige Produkte auszusuchen und einzukaufen.
    Die Entwicklung mit der Konzentration von Großflächen auf der grünen Wiese am Ortsrand oder im Industreigebiet mag zwar bedauerlich für weniger mobile Personen oder kleinere Orte sein, ist jedoch nicht ganz selbsverschuldet. So hat im Prinzip fast der gesamte Mittelstand den digitalen Handel komplett verschlafen. Seit 25 Jahren gibt es das Internet, aber viele Betriebe haben heute nicht mal eine Mailadresse, von einer Webseite oder gar einem Online-Shop ganz zu schweigen. Dabei sind solche Dinge nicht einmal hochwissenschaftlich und zur Not gibt es Dienstleister die solche Aufgaben auch für schmales Budget übernehmen. Es gibt aber auch große Unternehmen, die ob der guten Geschäfte das Internet wie auch die Veränderungen bei den Lebensumständen der Verbraucher zu lange gezaudert haben und deshalb vom Markt und seinen ungeschriebenen Gesetzen abgestraft wurden, wie z. B. Tengelmann (verkauft an EDEKA), Saturn und Media Markt (Metro-Group), Real (Metro-Group; steht derzeit zum Verkauf), Kaufhof, Karstadt (wurden eben übernommen und fusionieren).
    Auch in Zeiten von wirtschaftlich starken Großkonzernen kann heute ein kleiner Laden, egal in welchem Ort dieser sich befindet, überleben. Der Betreiber oder Unternehmer sollte sich nur darüber klar sein, dass es nicht mehr reicht, den Laden um 8.00 Uhr aufzuschließen und um 18 Uhr Kasse zu machen und den Schlüssel im Schloß zu drehen. Vielmehr bedarf es einer guten Vernetzung mit Lieferanten und Handelspartnern im In-und Ausland, einer umfangreichen Sortimentsplanung und Produktportfolio, alternativen Finanzierungsmethoden (Kommissionsverkauf, Crowdfunding), Verkauf von Waren und Dienstleistungen off- und online sowie alternativen Liefermöglichkeiten. Den nachwir vor ist es so, dass jeder Mensch jeden Tag eine Reihe von Gütern und Dienstleistungen beansprucht die er da nutzt, wo es für ihn am bequemsten, schnellsten, wirtschaftlichsten und erfreulichsten ist. Denn Einkaufen ist immer auch sehen, fühlen, erleben, entdecken und Neugierde. Und wenn der Kunde und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen stellt sich der Erfolg von ganz alleine ein.
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