Landtag

Vom Fraktionschef zum Vizepräsidenten: Markus Rinderspacher. (Foto: dpa)

01.02.2019

Der Demokratie-Erklärer

Im Porträt: Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher (SPD)

Er ist gebürtiger Pfälzer, evangelisch, Fan vom TSV 1860 und Mitglied der SPD. „Ich bin also sehr leidensfähig“, sagt Markus Rinderspacher und lacht. Optimist ist er trotzdem. Er glaubt: Sowohl sein Fußballverein als auch seine Partei werden wieder aufsteigen. „Aber beide müssen hart dafür arbeiten“, betont der 49-Jährige.

Das Wahldebakel für die bayerischen Genossen bei der Landtagswahl bezeichnet Rinderspacher als die größte und schmerzhafteste Niederlage seiner neunjährigen Amtszeit als Fraktionschef der Landtags-SPD. Gleich am Tag nach der Wahl zog er die Konsequenz: Er gab bekannt, nicht mehr für den Chefposten zu kandidieren. Gerne wäre er Fraktionsvorsitzender geblieben. „Aber man muss das nüchtern sehen“, sagt er. „Nach neun Jahren und einem Wahlergebnis von 9,7 Prozent bin ich vorbelastet.“

Dabei verantwortete nicht Rinderspacher, sondern Landeschefin und Spitzenkandidatin Natascha Kohnen den Wahlkampf. Sie aber hält an ihrem Amt fest. „Ich gehe davon aus, dass sie auf dem Parteitag am 25. Januar als Landeschefin bestätigt wird“, sagt Rinderspacher knapp – der sonst nicht als besonders einsilbig gilt.

Rinderspacher, ein früherer Journalist, kann griffig formulieren. Seine Schlagfertigkeit wird im Landtag geschätzt – und vom politischen Gegner auch gefürchtet. Auch wegen seines rhetorischen Talents legte Rinderspacher, ein politischer Spätzünder, im Maximilianeum einen rasanten Aufstieg hin. Erst 2002 war er in die SPD eingetreten – bereits 2009 wurde er als Landtagsneuling und Jüngster in der Fraktion zum Nachfolger des damaligen Fraktionschefs Franz Maget gewählt. Klar, er war auch Verlegenheitskandidat, weil sich andere um den Fraktionsvorsitz stritten. Aber er war eben auch aufgefallen mit seiner großen Klappe. In den Jahren danach wurde Rinderspacher immer wieder im Amt bestätigt. Jetzt blickt er auf die drittlängste Amtszeit aller SPD-Oppositionsführer zurück.

Dass ein Oppositionspolitiker der SPD Leidensfähigkeit braucht, hat der in Kaiserlautern aufgewachsene Rinderspacher schon als Jugendlicher erfahren. Sein Vater, ein Musikprofessor und Gewerkschafter, war Anhänger der SPD. Seine Mutter wählte CDU. An den Wahlabenden jubelte nur die Mutter, es war die Ära Kohl. Bei Rinderspacher aber wuchs in dieser Zeit nicht nur die Liebe zur Politik, sondern auch zur SPD.

Nach einer Banklehre zog er nach München, studierte an der Uni Politikwissenschaft. „Als Student hatte ich den großen Traum, mit dem TV-Mikro als Auslandskorrespondent vor dem Weißen Haus zu stehen“, erzählt er. Beim Fernsehen landete er dann tatsächlich, zehn Jahre lang arbeitete er als Fernsehjournalist für Pro Sieben, zuletzt als Redaktionsleiter des Boulevard-Magazins taff. Statt mit dem politischen Weltgeschehen beschäftigte er sich dort mit Stars und Sternchen wie Paris Hilton. Der Vorteil: „Da ich auf die Bereiche Infotainment und Boulevard abonniert war, konnte ich mich politisch betätigen, ohne dass meine journalistische Unabhängigkeit infrage gestellt wurde“, erzählt Rinderspacher. 2005 wurde er Pressesprecher der Münchner SPD, 2008 zog er in den Landtag ein.

Musik liegt ihm im Blut

Eine Fähigkeit, die sowohl ein Boulevard-Journalist wie auch ein Politiker beherrschen sollte, ist seiner Meinung nach: „die Kunst der Vereinfachung“. Komplexe Sachverhalte verständlich darstellen, sei wichtig, aber immer auch eine Gratwanderung, sagt Rinderspacher und betont: „Vereinfachung darf nicht zu einer Verfälschung der Wahrheit führen.“ Umso mehr freut er sich über sein neues Amt. „Als Vizepräsident des Landtags darf ich auch mal zwei, drei oder vier Sätze mehr anfügen“, sagt er. 20-Sekunden-Statements vor TV-Kameras seien jetzt nicht mehr gefragt.

Rinderspacher ist der Job des Vizepräsidenten eine Herzensangelegenheit. „Ich bin jetzt weniger für Partei und Fraktion zuständig, sondern mehr für Demokratie und Staat. Und vielleicht liegt mir das sogar noch ein kleines Stück mehr.“ Wie man Demokratie wieder lebendiger machen kann und man wieder mehr Vertrauen schafft in demokratische Institutionen, das sind ihm wichtige Anliegen. „Wir erleben in vielen Ländern eine Regression der Demokratie. Auch in Bayern, wo jeder Achte mit der AfD eine Partei unterstützt, die antieuropäisch und autoritär unterwegs ist.“ Rinderspacher zitiert Friedrich Ebert: „Demokratie braucht Demokraten“ und fügt nicht ohne Selbstbewusstsein an: „Es braucht Menschen, die sich engagieren. Und vielleicht braucht es auch einen erfahrenen Parlamentarier, der demokratische Zusammenhänge in ihrer Komplexität zu erklären versteht.“

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Stärkung der europäischen Idee sind die Themen, auf die sich Rinderspacher auch als Mitglied des Europaausschusses konzentrieren will. „Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich auf die Ausschussarbeit freue“, sagt er. Als Fraktionschef sei man Generalist, als Fachsprecher im Ausschuss könne man sich viel tiefer in die Materie einarbeiten und intensiver mit einzelnen Fragen auseinandersetzen.

Noch ein schöner Nebeneffekt: Ohne Fraktionsvorsitz hat Rinderspacher nun etwas mehr Zeit – für seinen Sohn, seine Lebensgefährtin, seine Freunde und Hobbies. Der 49-Jährige hat ausgerechnet, dass er in den vergangenen neun Jahren 1,5 Millionen Kilometer in Bayern zurückgelegt hat. Künftig sind seine Wege kürzer und führen wieder öfter ins Fußballstadion oder in den Konzertsaal. „Musik liegt mir im Blut“, sagt Rinderspacher. „Mein Vater war Musiker, mein Großvater auch, und meine Lebenspartnerin ist Opernsängerin.“

Auch Rinderspacher ist ein begeisterter Sänger. Zumindest bei den Treffen der Synode der evangelisch-lutherischen Landeskirche, der er seit 2014 angehört. Dort sitzt er neben Matthias Jena, Chef des DGB Bayern. Die beiden wetteifern regelmäßig darum, wer lauter schmettern kann. Manchmal ist Leidensfähigkeit eben auch bei Rinderspachers Mitmenschen gefragt.
(Angelika Kahl)

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