Landtag

Arif Taşdelen (SPD). (Foto: Lennart Preiss)

01.04.2021

Der Gutgelaunte

Im Porträt: Arif Taşdelen, integrationspolitischer Sprecher der SPD

Der 1. April 2021 ist für Arif Taşdelen ein ganz besonderer Tag: Die Sargpflicht in Bayern ist endlich Geschichte. Jahrelang kämpfte der Nürnberger SPD-Abgeordnete dafür, dass Muslime ihrer Tradition gemäß auch im Freistaat in einem Leichentuch bestattet werden können. „Ich musste dicke Sargbretter bohren“, sagt der 46-Jährige stolz und betont: „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass ihre Religion und Kultur auch uns wichtig sind und wir sie respektieren.“

Taşdelen ist selbst Muslim. Er zog 2013 in den Landtag ein – als erster türkischstämmiger Abgeordneter. Mit acht Jahren kam er als Kind von Gastarbeitern aus dem tiefsten Anatolien nach Bayreuth. „Das war für mich eine ganz neue Welt“, erzählt er. Taşdelen sprach kein Wort Deutsch. Und ein Telefon zum Beispiel hatte er noch nie gesehen. Doch er fand sich schnell zurecht. „Ich hatte das Glück, dass wir in unserem Stadtteil nur deutsche Nachbarn hatten“, sagt Taşdelen. „So habe ich immer mit deutschen Kindern gespielt.“ Damals hing die Integration noch komplett vom Zufall ab, meint er. Staatliche Integrationsmaßnahmen habe es nicht gegeben.

Taşdelen tat sich leicht in der Schule, machte seinen Quali „mit einem hervorragenden Schnitt“, wie er sagt. Der Berufsberater beim Arbeitsamt riet ihm zu einem „anständigen Beruf“. Automechaniker etwa. Stattdessen schickte ihn die Mutter auf die Wirtschaftsschule, wo er die mittlere Reife ablegte. Weil die ums Eck lag – „und Mama meinte, da habe sie mich im Blick“, sagt Taşdelen und lacht. Seine Mutter ist Analphabetin, der Vater hatte beim Militär rudimentär Lesen und Schreiben gelernt. „Dass wir Kinder auf eine weiterführende Schule gehen, war ihnen nie wichtig“, erklärt Taşdelen.

Die ständige Angst, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen

Taşdelen hat sechs Geschwister. In der Familie herrschte lange der Gedanke vor, dass man irgendwann wieder zurück in die Türkei geht. „Weniger deshalb, weil wir das wollten“, erzählt Taşdelen. „Sondern weil wir ständig in der Angst lebten, dass unsere Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird.“ Sie galt immer nur für ein Jahr. Im Jahr 2000 ließ sich Taşdelen deshalb einbürgern. „Denn ab da konnten sie mich nicht mehr rausschmeißen.“

Außerdem durfte Taşdelen mit dem deutschen Pass endlich wählen. Zwei Jahre zuvor war er bereits in die SPD eingetreten. „Weil ich damals von einer coolen Socke namens Gerhard Schröder las. Kohl konnte ich nicht mehr sehen.“ Er machte Wahlkampf für den Sozialdemokraten. „Am Wahltag aber musste ich wie ein Vollpfosten zu Hause sitzen und durfte kein Kreuzchen machen.“

Die SPD lag bei Taşdelen aber auch deshalb nahe, weil er damals viele Jahre schon gewerkschaftlich engagiert war. Er war Jugendvertreter beim Arbeitsamt, wo er in der Arbeitsvermittlung arbeitete. Und später Vize-Vorsitzender der Verdi Jugend in Bayern.

Viel Kritik musste er sich damals von seinen Vorgesetzen anhören, erzählt Taşdelen. Er sei viel zu nett zu den Arbeitslosen, hieß es. Anderen respektvoll zu begegnen, ist Taşdelen aber wichtig. Außerdem hat der Franke ein ausgesprochen sonniges Gemüt. Grantig ist er eigentlich nie. „Und ich habe nie verstanden, warum der Mensch hinter dem Schreibtisch besser sein soll als der davor.“ Später wechselte Taşdelen zur Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit im Nürnberger Arbeitsamt, die 2004 dem Hauptzollamt zugeordnet wurde. Als Zollinspektor kontrollierte er im Außendienst Betriebe.

Taşdelen war zwölf Jahre lang Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Nürnberg-Mögeldorf und saß sieben Jahre im Nürnberger Stadtrat. Bis er 2013 in den Landtag einzog. Er kam in den Sozialausschuss und in den Ausschuss öffentlicher Dienst, letzterem gehört er auch heute noch an. Taşdelens erste Legislaturperiode aber prägte die Arbeit in der Enquetekommission Integration, die er bis 2018 als Vorsitzender leitete. Dort erarbeiteten die Fraktionen gemeinsam mit Experten Handlungsempfehlungen für die Integration von Migranten.

Um den damals so heftig umstrittenen Begriff der Leitkultur ist es still geworden. „Da hat die CSU einen Lernprozess durchgemacht“, meint Taşdelen, „Damals aber glaubte man, AfD-Wählerinnen und -Wähler zurückgewinnen zu können, wenn man auf ultrakonservativ macht.“ Von den Empfehlungen der Kommission hat man allerdings auch nicht mehr viel gehört. Taşdelen hat sich jetzt vorgenommen, diese Stück für Stück in Anträge zu gießen. Zum Beispiel mit der Forderung, dass Schulbücher auf rassistische und diskriminierende Inhalte und Sprache geprüft werden. Der Bildungsausschuss nahm im Februar diesen Antrag einstimmig an.

Taşdelen ist integrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Außerdem ist er zuständig für die Bereiche öffentlicher Dienst und Jugend. „Ich bin mit meinen 46 Jahren der jüngste SPD-Abgeordnete im Landtag“, stöhnt Taşdelen. „Das allein zeigt doch schon unser Problem.“

Gerade kam Töchterchen Nummer drei auf die Welt

Jungen und Menschen mit Migrationsgeschichte will Taşdelen in der Partei bessere Perspektiven geben – sollte der Landesparteitag ihn am 24. April zum Generalsekretär der Bayern-SPD wählen. Er hat selbst erlebt, wie abschätzig Junge manchmal behandelt werden. Bei seinem ersten Besuch des Ortsvereins Nürnberg-Mögeldorf hatte ihn die damalige Vorsitzende, eine ältere Dame, von oben bis unten gemustert. Und ihm entgegengeschmettert: „Wenn du hier bist, um Karriere zu machen, kannst fei gleich wieder gehen.“

Taşdelen bewirbt sich im Gespann mit dem Münchner Landtagsabgeordneten Florian von Brunn und der Wahl-Regensburgerin Ronja Endres um den Posten des SPD-Generalsekretärs. Von Brunn und Endres treten als Doppelspitze gegen den Bundestagsabgeordneten Uli Grötsch um die Nachfolge von Landeschefin Natascha Kohnen an. Grötsch ist seit vier Jahren Generalsekretär der Bayern-SPD. Taşdelen wirft ihm vor, diese Zeit nicht genutzt zu haben, um die SPD wieder nach vorne zu bringen. „Im Moment ist es ja schon so, dass viele sich gar nicht mehr trauen zu sagen, dass sie in der SPD sind“, beklagt er. Woran es laut Taşdelen vor allem mangelt: „an der Wertschätzung für die Arbeit der Basis“.

Sollte er es zum General schaffen, kommt viel Arbeit auf Taşdelen zu. „Tatsächlich hätte ich auch ohne den Posten genug zu tun“, meint er. Auch privat. Denn gerade ist er zum dritten Mal Vater geworden. Seine beiden älteren Töchter sind zwei und neun Jahre alt. Mit seiner Frau, einer Kurdin aus dem Nordirak, ist Taşdelen seit 2010 verheiratet. „Und weil die Kleine nachts immer wach ist, schlafen auch wir gerade so gut wie gar nicht“, stöhnt er.

Aber selbst chronische Übermüdung kann der guten Laune des Abgeordneten nichts anhaben. „Privat bin ich Papa und sonst nichts“, sagt er freudestrahlend. „Und das ist so schön.“
(Angelika Kahl)

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