Landtag

Ein MRT verbraucht mehr Kilowattstunden im Jahr als ein Vierpersonenhaushalt. (Foto: dpa/Marcus Brandt)

03.02.2023

Die Energiekrise erreicht die Medizin

Die Radiologie in Bayern leidet unter niedrigen Pauschalen und extrem hohen Stromkosten

52 000 Menschen in Bayern haben eine Petition unterschrieben, weil sie sich um die Diagnostik von Skelett, Herz oder Lunge sorgen. Das Problem: Magnetresonanztomografen sind extrem energieaufwendig. Und viele Praxen nicht mehr in der Lage, die Kosten dafür zu zahlen.

Im Februar 2020 startete die Initiative bayerischer Radiologen eine Petition, die im Gesundheitswesen zu einer der größten werden sollte, die jemals im Bayerischen Landtag eingegangen ist. Fast 52 000 Menschen forderten, die flächendeckende, zeitnahe und moderne radiologische und nuklearmedizinische Versorgung im Freistaat sicherzustellen. „Sonst geht in immer mehr bayerischen radiologischen und nuklearmedizinischen Praxen das Licht aus“, warnten die Initiator*innen.

Die hohe Anzahl der Unterzeichnenden überraschte, weil es 2019 zum sogenannten Kontrastmittelskandal kam. Der Recherche-Verbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatte damals aufgedeckt, dass manche Praxen für Untersuchungen mit Computertomografen (CT) und Magnetresonanztomografen (MRT) Kontrastmittel eingesetzt haben sollen, obwohl diese gar nicht notwendig gewesen wären. Praxen hätten so durch die bei den Krankenkassen zu Unrecht eingereichten Kosten mindestens ein Drittel ihres gesamten Gewinns erzielt. 

Diese Woche hat sich der Gesundheitsausschuss des Landtags mit der Petition beschäftigt. Dort nannte Ullrich Schricke, Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Deutschen Radiologen, den Kontrastmittelskandal ein „Sommerlochthema“: „Wenn Radiologen Kontrastmittel nutzen, bekommen sie dafür fast gar nichts“, sagte er. Diese seien bereits in den Pauschalen abgegolten, mit 11,95 Euro. Andersherum werde ein Schuh daraus: Die Ärzteschaft erhalte immer weniger Geld für die Behandlungen – das sei auch der Grund für die Petition gewesen. 

In der Regel kostet eine MRT-Untersuchung zwischen 150 und 600 Euro. Davon würden aber nur zwischen 65 und 85 Prozent ausbezahlt, rechnet Schricke vor. Die Pauschale für den Patientenkontakt sei dabei schon eingerechnet. Die Reform des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) im April 2020 hätte ihr Übriges getan. Dabei sei ein Kolbensystem, das zur Kontrastmittelvergabe benötigt wird, sehr teuer, weil darin wegen des zähflüssigen Mittels ein fast zehnfacher Druck im Vergleich zu Autoreifen herrschen müsse. Und auch ein neues MRT koste inklusive Einbau und Wartung schnell über zwei Millionen Euro. 

Wenn ein MRT ausgeschaltet wird, ist das betriebswirtschaftlich hochdramatisch

Ein weiteres Problem, das zum Zeitpunkt der Petition noch gar nicht bekannt war, sind laut Schricke die letztes Jahr gestiegenen Energiekosten. Ein einzelner MRT verbrauche mehr Kilowattstunden im Jahr als ein Vierpersonenhaushalt. „Und wenn das Gerät ausgeschaltet wird, verdampft das flüssige Helium, in dem die Magnete eingebettet sind“, erklärt er. Dies sei betriebswirtschaftlich hochdramatisch und hätte Kosten in Höhe von bis zu 70 000 Euro zur Folge. Schricke forderte daher mit Blick auf den nächsten Winter, MRT der kritischen Infrastruktur zuzuschlagen. 

Die finanziellen Auswirkungen für einzelne Mitglieder sind nach Angaben des Berufsverbands schon jetzt deutlich spürbar. So hätten sich je nach Größe der Praxen die Energiekosten verfünf- oder gar verzehnfacht – trotz staatlicher Unterstützungsmaßnahmen wie der Energiepreisbremse. Schricke ruft daher dazu auf, die bayerische Härtefallregelung zu verschärfen. Man könne die Kosten schlicht nicht mehr innerhalb der Abrechnung weitergeben oder gar selbst tragen. „Das ist in dieser Summe existenzgefährdend.“ 

Als letzten Punkt beklagte Schricke ein Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom Januar 2022. So dürfte eine MRT-Untersuchung auch von Personen durchgeführt werden, die keine Radiolog*innen sind, sondern lediglich eine Zusatzweiterbildung absolviert haben – solange sie bei Kunstfehlern in Regress genommen werden können. „Das ist, als ob jeder Pilot einen A380 fliegen dürfe, solange er es sich nur zutraut und bei einem Absturz dafür haftet“, klagte der Radiologe. In den USA würden bereits fachfremde Menschen solche Untersuchungen durchführen.

Der Allgemeinmediziner Dominik Spitzer (FDP) zeigte sich in der anschließenden Aussprache über die Kosten in der Radiologie überrascht. Natürlich lasse sich in der Medizin auch viel Geld verdienen, aber diese riesigen Ausgaben stünden dazu in keinem Verhältnis. „In diesem für die Bürger existenziellen Bereich muss dafür die Energie zur Verfügung gestellt werden“, betonte er. Gerade im Blick auf den Winter 2024. Positiv bewertete Spitzer, dass die Petition so erfolgreich war. Das zeige: „Mit etwas sanftem Druck lässt sich viel erreichen.“ 

Auch Martin Mittag (CSU) hatte nicht damit gerechnet, dass die Energiekosten für radiologische Praxen so hoch sind. „Das ist schon systemrelevant“, fand der Abgeordnete. Etwas skeptischer war er beim Thema Weiterbildung. Es sei schwierig, die genaue Qualität der Maßnahmen zu erfassen. „Viele Menschen bekommen ja nur schwer einen Termin“, schob er ein. Da sei es möglicherweise hilfreich, wenn die Arbeitsbelastung durch andere Kolleginnen oder Kollegen abgenommen beziehungsweise reduziert werden könne. 

Margit Wild (SPD) sorgte sich, dass es durch die gestiegenen Energiekosten in Bayern langfristig zu einer Unterversorgung kommt. „Wenn man in die Wartezimmer schaut, ist es immer randvoll“, monierte sie. Ihre Kollegin Ruth Waldmann, Vizechefin des Gesundheitsausschusses, befürchtete, dass künftig Untersuchungsformen wie CT nur noch für Privatversicherte und nicht mehr für gesetzlich Versicherte angeboten würden. Außerdem gab sie zu bedenken, dass die Energiepreise in jüngster Zeit wieder gesunken sind. 

Carina Zirngibl vom Gesundheitsministerium konnte im Ausschuss nicht viel zum Thema Zusatzweiterbildung sagen, weil dies eine „berufsrechtliche Frage“ sei. Die Staatsregierung plane aber branchenübergreifende Entlastungspakete, die immer dann greifen sollen, sobald die Energiepreise 200 Prozent des Durchschnittspreises von 2021 übersteigen.

„Dann waren wir ja rechtzeitig dran, um in den Gedankenprozess mit einzugreifen“, freute sich Ausschusschef Bernhard Seidenath (CSU). Die Petition wurde einstimmig für erledigt erklärt. „Wir bleiben aber bei dem Thema am Ball.“ (David Lohmann)

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