Landtag

Höhlt das europäische Recht den Einfluss der bundesstaatlichen Landesparlamente aus?(Foto: dapd)

10.12.2010

Die Entparlamentarisierung bekämpfen

Colloquium zum Weisungsrecht des bayerischen Landtags in Sachen Europa-Politik

Bildung, Kultur, Medien und Innere Sicherheit zählen in Deutschland eigentlich zu den originären Aufgabenfeldern der Länder. Dass die Landesparlamente in diesen Bereichen durch die europäische Integration zunehmend an Kompetenzen einbüßen, gilt unter Staatsrechtlern indes als unbestritten. Teilweise ist sogar von einer Entparlamentarisierung auf Länderebene die Rede. Wie die Situation aus bayerischer Sicht ist und wie sich dem Phänomen gegebenenfalls entgegensteuern lässt, wurde im Rahmen eines etwa dreistündigen Colloquiums im bayerischen Landtag diskutiert.


Verfassungspolitische Notbremse ziehen


Unter der Schirmherrschaft von Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet (CSU) haben die Professoren Hans-Jürgen Papier, Peter Badura und Stefan Korioth – allesamt Koryphäen der Disziplin – folgenden Topos diskutiert: „Weisungsrecht des Bayerischen Landtags auf das Abstimmungsverhalten der Staatsregierung im Bundesrat“. Das Interesse an dieser Veranstaltung war groß. Neben Vertretern aus zehn deutschen Bundesländern nahmen auch Mitglieder der bayerischen Staatsregierung und Abgeordnete aller Fraktionen daran teil. Gemeinsam mit Bocklet leiteten die beiden Vorsitzenden des Europa- beziehungsweise des Verfassungsausschusses Ursula Männle (CSU) und Franz Schindler (SPD) die gemeinsame Sitzung der zwei Gremien.
Anlass für das Colloquium war eine Aussage des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier: Auf der Jahreskonferenz der Präsidenten der deutschen Landesparlamente hatte er erklärt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1950er Jahren, wonach es unzulässig sei, wenn die Landesregierung in ihrem Stimmverhalten im Bundesrat durch einen Beschluss des Landtags gebunden werde, sei unzutreffend. Deshalb müsse „die verfassungspolitische Notbremse gezogen werden“.
Diesen Satz wiederholte Papier auch im Münchner Maximilianeum. Mit dem Vertrag von Lissabon nehme der Bedeutungsverlust der Landesparlamente noch einmal zu. „Die bleiben außen vor“, sagte er. Auch das Subsidiaritätsprinzip leide. Erweiterungs- und Überbrückungsklauseln könnten daran aus Sicht der Länder nicht viel verändern.
Papiers Vorschlag: Artikel 23 des Grundgesetzes ist auch als Europa-Artikel bekannt, weil er die Mitwirkung Deutschlands an der europäischen Gemeinschaft festlegt. Dieser solle so ausgebaut werden, dass er ein Letztentscheidungsrecht für die Länder beinhaltet. In der Folge seien Weisungen der Länder an die Staatsregierung zum Abstimmungsverhalten im Bundesrat möglich.
Seine Empfehlung verfolge nicht den Zweck, „das verblasste Image von Landtagsparlamenten und -abgeordneten aufzupolieren“. Auch beabsichtige er keine lediglich ästhetischen Korrekturen. „Es geht um nicht mehr und auch nicht weniger als um die föderale Ordnung“, sagte er. Allerdings forderte Papier auch: „Bereitschaft und Kompetenz muss auch von den Landesparlamentariern ausgehen, sonst kann man sich jede Änderung sparen.“
Zwei Juristen, drei Meinungen: Dieser verbreitete Spruch sollte sich im Laufe der Veranstaltung mehrfach bewahrheiten. Vor allen Dingen Badura baute eine Gegenposition zu Papiers Ausführungen auf. „Ich muss Wasser in den Wein meines Vorredners gießen“, sagte er. Im Lissaboner Vertrag würden die Parlamente der bundesstaatlich organisierten EU-Mitglieder erwähnt, „aber nicht im Sinne eines Durchgriffrechts“. Nur die nationalen Parlamente und nicht die Volksvertretungen innerhalb der nationalen Parlamente seien in besagtem Konvolut angesprochen. Anregungen und Empfehlungen dagegen seien erlaubt. Auch wenn die bayerische Verfassung ein Bekenntnis zur europäischen Integration beinhalte, lasse sich davon kein unmittelbares Entscheidungsrecht ableiten. Badura: „Es kann nicht ein EU-Land, das bundesstaatlich ist, mehr Rechte haben als etwa Malta und Finnland, die es nicht sind.“
Eine weitere Variante vertritt Korioth: Die grundgesetzlichen Bestimmungen zum Bundesrat schließen aus seiner Sicht ein Mitbestimmungsrecht der Länder aus. Eine Parlamentsbeteiligungsklausel für die Landesparlamente wie sie Papier letztlich vorschlägt, hält Korioth für nicht zielführend. „Es macht keinen Sinn, die Länder durch das Bundesratsvotum zu einem zweiten Länderparlament zu machen. Er plädiert für eine Änderung des Grundgesetzes: Geht es nach ihm, soll der Bund den Ländern Entscheidungskompetenz in originären Bereichen übertragen.


„Vorhandenes soll erhalten bleiben“


Welche These die Abgeordneten indes favorisieren, war parteiübergreifend unterschiedlich: Petra Guttenberger (CSU) hält nichts von einem „Co-Gesetzgeber Land“; sie lehnt das Vehikel der Weisung ab, fordert originäre Zuständigkeiten. Damit stimmt sie Korioth zu. Selbiges gilt für ihren Parteikollegen Eberhard Sinner.
Gastgeber Bocklet hingegen stimmt mit Papier überein. Wie jener findet er, dass ein Weisungsrecht der Landesparlamente auf die Landesregierungen zulässig ist. So eins habe schließlich auch der Bundestag an die Bundesregierung. Bocklet: „Es geht nicht ums Zurückholen, sondern darum, vorhandene Rechte zu erhalten.“ Ähnlich schätzt die Situation auch Schindler ein: „Gerade als Abgeordneter, der 20 Jahre in der Opposition ist, ist mir Herrn Papiers These sehr sympathisch.“ Außerdem: Die Länder hätten den Bund konstituiert, nicht umgekehrt. Während der Exekutiv-Föderalismus – Bund-Länder-Arbeitsgruppen – floriere, hapere es an der Mitgestaltung der Landesparlamente.(Alexandra Kournioti)

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