Landtag

16.09.2022

Die Exotin

Im Porträt: Kerstin Radler, stellvertretende Vorsitzende der Freie-Wähler-Fraktion

Kerstin Radler ist die Exotin unter den Freien Wählern (FW). Unter den 27 Mitgliedern der Fraktion sticht sie in mehrfacher Hinsicht heraus: Sie ist weiblich – die Frauenquote der FW ist fast genauso niedrig wie die der CSU, nämlich gerade mal 22 Prozent, – sie ist nicht konservativ, sondern liberal, und sie ist nicht vom Land, sondern von der Stadt.

Die 61-jährige Rechtsanwältin aus Regensburg sieht das selbst so. Sie sei „eher die Ausnahmeerscheinung“ in ihrer Partei, „der Durchschnitts-Freie-Wähler sieht anders aus“. Das Image der FW sei nicht von ungefähr „ländlich strukturiert“: In der Fraktion „sind es nur der Michael Piazolo und ich, die nicht vom Land kommen“. Mit dem Kultusminister teilt sie auch die grundsätzlich liberale Gesinnung, etwa in der Flüchtlingspolitik; die in Regensburg ansässige Seenotrettungsorganisation Sea-Eye des Unternehmers Michael Buschheuer findet sie klasse.

Das Gefühl, innerhalb der FW untergebuttert oder marginalisiert zu werden, hat Kerstin Radler dennoch nicht, immerhin ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende – eine von vieren: „Man lässt mich. Ich werd da nicht eingebremst.“ Als Städterin unter lauter überzeugten Landbewohner*innen, als Liberale unter lauter Konservativen – Kerstin Radler findet das eher interessant: „Das ist vielfältig, das belebt.“ Sie betont: „Solange alle aus dem demokratischen Spektrum kommen, geht das.“

Eine andere Frage ist, welches Gewicht der Fraktionsvorstand gegenüber dem übermächtigen FW-Chef Hubert Aiwanger hat. Eine Frage, die auch deshalb interessant ist, weil es auf der Internetseite der Fraktion praktisch keinen Vorstand gibt.

Kerstin Radler ist Städterin mit Haut und Haar. Ihr Lebensmittelpunkt ist seit ihrer Kindheit die Regensburger Gesandtenstraße, mitten in der 2006 mit dem Prädikat Weltkulturerbe geadelten Altstadt. In der Spiegelgasse, einer Seitengasse der Gesandtenstraße, liegt ihr Abgeordnetenbüro. Damit hat sie täglich vor Augen, was auch in Regensburg seit geraumer Zeit unter dem Stichwort „Overtourism“ diskutiert wird: Wird die Regensburger Altstadt seit der „Erhebung“ zum Weltkulturerbe nicht vom Tourismus überrannt? Macht es überhaupt noch Spaß, hier zu wohnen?

Radler sieht das Problem durchaus: „Ich persönlich fänd’s eigentlich schöner, wenn die Leute hier ein bisschen verweilen würden.“ Die Tourist*innen würden teils nur durch die Stadt geschleust, nicht mal die Läden hätten was davon, „außerdem“, sagt sie lachend, „blockieren sie die Gassen, stehen immer rum“. Nein, aber im Ernst: „Jetzt freuen wir uns erst mal, dass die Touristen wieder da sind, wie vor der Pandemie, und dann können wir wieder meckern, dass sie zu viel werden.“ Als Aufsichtsrätin bei der Regensburg Tourismus GmbH hat Kerstin Radler in erster Linie die Wirtschaft im Blick: „Es geht wieder rund! Alle freuen sich, die Stadt lebt doch vom Tourismus!“

Im Landtag gehört Kerstin Radler eher zu den Spätberufenen. Als sie 2018 reingewählt wurde, war sie 57, eine Karriere als Berufspolitikerin hat die Fachanwältin für Familienrecht nie geplant, Kommunal- und Kulturpolitik war für sie immer Ehrenamt. Dass sie Mitglied im Ausschuss für Kunst und Wissenschaft ist, ist für sie „ein Traumjob“, was die Ausschussmitglieder betrifft, kommt sie gleich ins Schwärmen: „Wir verstehen uns auch parteienübergreifend, mit Ausnahme der AfD.“

Manchmal würde sie gern mit der Opposition stimmen

Als einen der wichtigsten Punkte in der Wissenschaftspolitik nennt sie das jüngst verabschiedete Hochschulinnovationsgesetz: „Ich glaub, dass damit eine gute Lösung für alle Beteiligten erzielt worden ist, die Unis warten schon darauf.“ Die Kritik der Opposition, es habe so lange gedauert, und das Ergebnis sei unbefriedigend, kann sie nicht nachvollziehen.

Auskünfte über ihr Privatleben gibt Radler sehr sparsam. Sie ist ziemlich genau das Gegenteil einer Politikerin, die auf eine Homestory scharf wäre. Nur so viel: Ihre Leidenschaft gilt der Hege und Pflege von Oldtimerfahrzeugen. Und dem Sport, vor allem dem Tauchen und dem Skifahren. Ihre Mitgliedschaft in sportlichen Vereinen und Gremien reicht vom Tauchclub Ratisbona bis zum Landessportbeirat. Und natürlich weiß jeder in Regensburg, dass sie mit dem fünf Jahre älteren Richter Ludwig Artinger verheiratet ist. Beide sitzen seit 2008 für die Freien Wähler im Stadtrat. Nach der Wahl 2020 bildete sich eine Große Koalition unter der SPD-Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer unter Beteiligung der Freien Wähler. Seitdem ist Ludwig Artinger, der bis dahin Direktor des Kelheimer Amtsgerichts war, Dritter Bürgermeister, zuständig unter anderem für Umwelt – „der einzige Bürgermeister der Freien Wähler in einer Großstadt“, wie Kerstin Radler anmerkt.

Die Fraktion der FW im Stadtrat hat insgesamt drei Mitglieder: die Kommunalpolitik ist für Kerstin Radler fast eine familiäre Angelegenheit. Parteiintern ist es nicht anders: Kerstin Radler ist Vorsitzende des Regensburger Stadtverbands der FW, ihr Stellvertreter, Christoph Schießl, ist Ludwig Artingers Schwiegersohn.

Regensburg ist halt doch keine so richtige Großstadt. Die gegenwärtige Konstellation in Regensburg, wo die Freien Wähler zusammen mit SPD, CSU und FDP regieren, passt irgendwie recht gut auf Kerstin Radler: Für sie gibt es keine Politik nach Schema F. Im Landtag mit der CSU regieren, in der Bezirkshauptstadt mit CSU und SPD – klar: immer da, wo was geht, wo man sich auf etwas einigen kann. Für Kerstin Radler ist dies das Grundprinzip der Freien Wähler: „ideologiefreie Politik“.

Eine Zusammenarbeit mit der SPD kann sich Kerstin Radler auch jederzeit auf Landesebene vorstellen, genauso wie mit den Grünen und der FDP. Die Beziehungen zu Mitgliedern der Oppositionsparteien, die AfD ausgeschlossen, bezeichnet sie als „wahnsinnig kollegial“, „sehr gut“ und ausdrücklich als „freundschaftlich“. Sie macht auch keinen Hehl daraus, dass sie manchmal gern für einen Oppositionsantrag stimmen würde, wenn der Fraktions- und Koalitionszwang nicht wäre.

Doch eine Koalition gegen die CSU? Kerstin Radler kann sich nicht vorstellen, „dass es in Bayern eine Mehrheit ohne die CSU gibt“. Und wenn doch? „Wenn dem so ist, wär’s eine sehr interessante Konstellation“, antwortet Radler diplomatisch. Würde sie das gut finden? „Ja, schon.“ Doch sie setzt gleich nach: „Aber das wird’s nicht geben.“ Klar ist für Kerstin Radler nur so viel: Wenn die FW das wollen, tritt sie wieder an. Und: „Es wird auf jeden Fall superspannend.“ (Florian Sendtner)

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