Landtag

Buchautor Max Mannheimer (von links), Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Maler Fred Schneider im Gespräch (Foto: Bildarchiv Landtag/Poss)

22.10.2010

Fragmente einer Seelenlandschaft

Der Holocaust-Überlebende und Schriftsteller Max Mannheimer und der Künstler Fred Schneider im Dialog

Der jetzige Besitzer meines Tatra 87 (Baujahr 1938) kam mit dem komplett restaurierten Wagen. Ich durfte ans Steuer und genoss die Ausfahrt in der Umgebung von Haar. In meinem Inneren trage ich noch immer einen Trauerflor, doch das Alter war für den Verkauf ausschlaggebend.“ Nicht jeder hat das Talent, in einem knappen Tagebuch-Notat die Wirkung einer ganzen Erzählung zu entfalten. Max Mannheimer verfügt über diese Gabe.
Wie viele Informationen und Emotionen wenige Sätze von ihm enthalten, zeigen die Gemälde von Fred Schneider. Der Künstler hat sich nämlich von erwähntem Eintrag und weiteren 25 Notizen Mannheimers inspirieren lassen. Ihren Inhalt hat er mit Acryl und Mischtechnik auf Leinwand und Bütten nachempfunden: abstrakte expressionistische Farbschichten mit schwer zu deutenden Ornamenten und Zeichen. Entstanden ist ein Bilderzyklus, der einerseits ein Seismograf der wechselnden Stimmungen des 90-Jährigen ist. Andererseits ist er eine Annäherung an das, was generell als Seelenleben bezeichnet wird.
Kaum zu glauben, dass die im doppelten Sinn des Wortes vielschichtigen Gemälde Fred Schneiders das Resultat einer Zukunftsbekanntschaft sind. Von dieser berichteten die beiden Beteiligten bei der Eröffnung der Ausstellung „Malerei im Dialog“ im bayerischen Landtag. Als der Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Mannheimer während eines Besuchs beim Arzt den Künstler im Wartezimmer traf, hielt er ihn für einen Sportler. „Ich hatte nämlich eine Trainingshose an“, erinnerte sich Schneider. Sie machten einander bekannt und stellten fest, dass sie Kollegen sind. Denn auch Mannheimer malt seit den 1950er Jahren unter dem Pseudonym Ben Jakov.
Tage nach dem Kennenlernen sendete er Schneider sein mit Sicherheit wichtigstes literarisches Werk Spätes Tagebuch. Darin schildert Mannheimer, wie er den Holocaust überlebte – im Gegensatz zu seinen Eltern, seinen beiden Brüdern, seiner Schwester und seiner ersten Frau. Nach der Lektüre dieses Zeugnisses schlug Schneider dem Älteren besagten Dialog vor. Daraufhin erhielt er ab 2006 über etwa ein Jahr in unregelmäßigen Abständen aktuelle Notizen Mannheimers.
Jenseits von malerischer und schriftstellerischer Güte, die die gezeigten Texte und Gemälde besitzen, schafft die Ausstellung vor allem eines: zu vergegenwärtigen, dass der Zeitzeuge Max Mannheimer auch ein reichhaltiges Leben jenseits seiner Identität als ehemaliger KZ-Insasse hat. Dass dies leider leicht in Vergessenheit gerät, kann der Betrachter in der Ausstellung mehrfach feststellen. Beispielsweise gibt es einen Eintrag am 24. Dezember 2006: „Am 23.12.2006 wäre mein Bruder Edgar 81 Jahre alt“, heißt es da. Gleich nimmt man an, dass der Bruder in der Todesmaschinerie der Nazis umkam, bis man liest: „Am 26.12.1993 starb er mit 68 Jahren.“
Die Freude über den künstlerischen Erfolg seines Enkels Andreas. Die Vorbesichtigung im Jüdischen Museum am Münchner Jakobsplatz. Sinnieren über Schreibblockaden. Erinnerungen an gehaltene Vorträge: Ebenso abwechslungsreich wie die Ereignisse in Mannheimers Leben ist auch das Kolorit des Malers Schneider dazu. Dabei ist es schwer, insbesondere den durch Humor gebrochenen Realismus des 90-Jährigen einzufangen: „In der Honorarabrechnung des Bayerischen Rundfunks (Fernsehen) steht das Stichwort ,Zeitzeugenarchiv’. Es war mir bewusst, dass ich den Großteil meines Nachrufs selbst gestalte und bemühte mich beim Interview, emotionslos über meine Zeit der Verfolgung zu berichten.“(Alexandra Kournioti)


„Malerei im Dialog“, bis 4.11., Mo. bis Do., 9 bis 16 Uhr, Fr., 9 bis 13 Uhr, Eingangshalle West, Max-Planck-Straße 1, Bayerischer Landtag, Eintritt kostenlos.

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