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Je jünger die Kinder sind, desto größer ist das Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung – für Erzieher eine große Herausforderung. (Foto: dpa)

20.10.2017

Frustrierte Erzieher

CSU-Fachgespräch: Was brauchen Kinder? Darüber diskutierten Abgeordnete mit Experten

Stefanie Ermer, Leiterin des BRK-Kinderhauses Bayreuth, hat nachgezählt: An 44 Tagen im Jahr musste eine ihrer Erzieherinnen ganz allein 25 Kinder versorgen. Gründe waren Krankheits- und Urlaubsausfälle. Gute Kinderbetreuung, das ist klar, sieht anders aus. „Was brauchen Kinder?“, fragte die CSU-Fraktion und lud soziale Träger und pädagogische Fachkräfte zu einem Fachgespräch ins Maximilianeum. Zuwendung, könnte man antworten. Eine liebevolle Betreuung. All das stimmt natürlich.

Aber eigentlich geht es ums Geld und um die Frage, was die Gesellschaft für das Wohl ihrer Kinder auszugeben bereit ist. Geld wird benötigt für die Ausbildung und die Anpassung der Gehälter von Erzieherinnen und Erziehern, für einen vernünftigen Betreuungsschlüssel, für die Ausstattung der Einrichtungen und zur Sicherung der Qualität.

So sehr mangelt es an Geld, dass die Erzieherinnen und (wenigen) Erzieher im Publikum des vollbesetzten Plenarsaals nicht nur verdrossen waren, sondern regelrecht verletzt. Das Fachgespräch geriet deshalb zu einem Plädoyer dafür, den Erzieherberuf aufzuwerten.

Kinder unter drei Jahren besonders gut fördern

„Das Wohl der Kinder muss bei allen Entscheidungen im Vordergrund stehen“, so Joachim Unterländer, Vorsitzender des Sozialausschusses. Der Staat, so Unterländer, soll den Familien nicht in die Gestaltung der Kinderbetreuung hineinregieren, entscheidend sei die Wahlfreiheit. Eine mögliche Gebührenbefreiung für Kitaplätze stellt die CSU hintan: „Qualität geht vor.“ Was Qualität eigentlich heißt, erklärte der Bindungsforscher und Psychiater an der Haunerschen Kinderklinik, Karl-Heinz Brisch. „Bindung geht vor Bildung“, konstatierte Brisch. Der Bindungsforscher legte dar, was Pädagogen Tag für Tag spüren: Kinder brauchen auch „emotionale Nahrung“, also Schutz, Sicherheit, Trost. „Den Glanz in den Augen eines anderen“, so Brisch, also die Nähe und Bestätigung durch eine verlässliche Bindungsperson, sei für Kinder überlebenswichtig. Nur so entwickeln sie Urvertrauen und jene Beziehungs- und Liebesfähigkeit, die für ein erfülltes Leben wichtig ist: „Wenn das Selbstwertgefühl stimmt, werden unsere Kinder zu glücklichen Menschen.“ Brisch brachte auch eine Faustformel aus der Forschung mit: Um gut zu gedeihen, benötigen Einjährige einen Betreuungschlüssel von 1:2, etwas größere Kinder einen von 1:3. „Von null bis drei Jahren“, so Brisch, „brauchen Kinder die beste Erziehung. Wir würden doch auch kein Haus bauen und beim Fundament sparen!“

Der Experte rechnete vor, welche Folgeprobleme entstehen, wird man den Bedürfnissen kleiner Kinder nicht gerecht. Einen „mehrfachen Milliardenbetrag“ sah er in die Jugendhilfe fließen. Ein Bruchteil davon in den Frühbereich gesteckt, so Brisch, und die Kinder wären gesünder, die Erzieher und Erzieherinnen zufriedener. Tatsächlich ist die Unzufriedenheit der Fachkräfte seit Langem groß. Die fordernden Arbeitsbedingungen gehen auf die Gesundheit, die schlechte Bezahlung schlägt aufs Gemüt.

Auch die gesellschaftliche Anerkennung lässt zu wünschen übrig. „Nur die besten für die Kleinsten“ – nach dieser richtigen Prämisse könne sie nicht arbeiten, sagt die Leiterin einer Kindertagesstätte. „Ich bekomme keine Aushilfe, weil keine am Markt ist.“ Der hässliche Geburtsfehler des Ausbaus der Kinderbetreuung sei es, dass lediglich die Erwerbstätigkeit der Eltern gefördert werden solle, beklagte ein Teilnehmer. „Aber was die Wirtschaft braucht, hat mit dem Wohl der Kinder gar nichts zu tun!“ Eine Erzieherin war so aufgebracht, dass sie die Regierung bezichtigte, sie fahre „alles an die Wand“. Eine andere hat ihren Beruf an den Nagel gehängt, weil sie ihre Arbeit nicht so gut machen konnte, wie sie es von sich selbst verlangte. „Wir brauchen kleine Gruppen und mehr Personal“, so ihre allseits bestätigte Forderung.

Dissens um kürzere Ausbildung für Erzieher

In ihrem Schlusswort fasste Kita-Leiterin Stefanie Ermer die allgemeine Ungeduld zusammen: „Dass was passieren muss, wissen wir alle. Wir fordern, dass es jetzt passiert!“ „Total begeistert von dem Feuer, dem Engagement und dem Herzblut“ des Abends zeigte sich der Bindungsforscher Brisch und empfahl, Veranstaltungen wie diese jährlich durchzuführen.

Familienministerin Emilia Müller versicherte: „Ich nehme ganz viel mit aus dem Abend!“ Sie versprach, weiter von den Fachleuten zu lernen, forderte aber auch dazu auf, realistisch zu bleiben. „Es dreht sich alles nur um eines: das Personal. Alles ist abgegrast. Wir haben ein absolutes Defizit.“

Den seit 2016 bayernweit laufenden Modellversuch OptiPrax, der Erzieherinnen in drei, nicht in fünf Jahren ausbildet und zudem vergütet, fanden nicht alle Teilnehmer gut. „Ausbildungsverkürzung ist der falsche Weg“, urteilten viele. Auch Brisch sprach sich gegen eine Verkürzung der Ausbildungszeit aus. Die Lernenden müssten ihre Empathiefähigkeit häufig erst schulen, „und das braucht Zeit“. Ein Aufwand, der sich lohne, denn: „Eine sichere Bindung ist ein Schutzfaktor für das ganze Leben.“

Müller dagegen setzt weiterhin auf OptiPrax. Sie hofft, mit Hilfe des Modellversuchs neue Bewerbergruppen anzusprechen und so dem Fachkräftemangel zu begegnen. Lange Wartelisten auf diese Ausbildungsplätze scheinen Müllers Hoffnung zu bestätigen.
(Monika Goetsch)

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