Landtag

Tobias Gotthardt (FW, Mitte), Chef des Europaausschusses im bayerischen Landtag, und Landtagsvizepräsident Karl Freller (CSU, rechts daneben) mit den Europaausschusschefs der anderen Länderparlamente beziehungsweise deren Stellvertretern. (Foto: Bildarchiv bayerischer Landtag/Rolf Poss)

20.12.2019

Gemeinsam für Gehör in Brüssel sorgen

Erstes Treffen der deutschen Europaausschussvorsitzenden im Maximilianeum

Der Europaausschussvorsitzende des bayerischen Landtags, Tobias Gotthardt (Freie Wähler), hat zum ersten Gipfeltreffen der Europaausschusschefs nach München geladen. Acht Vorsitzende beziehungsweise deren Stellvertreter sind der Einladung gefolgt. Durch die Zusammenarbeit wollen sie ihre Ziele bei der Europäischen Union künftig besser durchsetzen.

Wie wichtig das Thema Europa ist, verdeutlichte Landtagsvizepräsident Karl Freller (CSU) bei der Begrüßung der Gäste im Maximilianeum. Im Nachlass des Großvaters seiner Frau hat er ein deutsch-französisches Wörterbuch aus dem Ersten Weltkrieg gefunden. Dieses wurde deutschen Soldaten beim Angriff auf Frankreich mitgegeben. Darin werden Sätze übersetzt wie „Ich ergebe mich“, „Legen Sie die Waffen nieder“ oder „Sagen Sie meinen Eltern, ich werde nicht überleben“. Heute ständen in solchen Wörterbüchern Sätze wie „Hat das Hotel WLAN?“, „Gibt es ein Schwimmbad?“ und „Wie sieht die Speisekarte aus?“, betonte Freller. „Daran sieht man, was sich nicht zuletzt durch die Europäische Union in 100 Jahren zum Guten gewendet hat.“

Damit die Zustimmung zum Friedensprojekt EU in Zeiten von Brexit und weiteren Abspaltungsbewegungen nicht nachlässt, müssten die Menschen bei Entscheidungen ein Mitspracherecht haben, forderte Freller. Da die Parlamente der Bundesländer am nächsten an den Menschen dran sind, sollten sie ihre regionalen Interessen stärker auf europäischer Ebene einbringen. Dies sei auch wegen der Bevölkerungszahl gerechtfertigt: „Die größten deutschen Bundesländer könnten durchaus Nationalstaaten sein“, unterstrich Freller. Er freute sich daher, dass die Europaausschusschefs der Länderparlamente künftig in Bezug auf Europa mit einer Sprache sprechen und sich so in Brüssel Gehör verschaffen wollen.

Um die Zusammenarbeit zu vertiefen, wurde zu Beginn der Tagung per Resolution (siehe Info) beschlossen, sich künftig regelmäßig zu treffen: bei der informellen „Konferenz der Europaausschussvorsitzenden der deutschen Landtage“ (Eurovors). Neben der intensiveren Vernetzung der Vorsitzenden soll es dabei um Themen gehen wie die Rolle der Landtage in der Zukunftsdebatte der EU, die Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft und die Folgen des Brexit. Außerdem soll die Europakompetenz in den Landtagen gesteigert werden. Auch Parlamentarier blicken im EU-Paragrafendschungel nicht immer durch.

„Nur, wenn wir gemeinsam auftreten, sind wir wer in Brüssel“, sagte der Europaausschusschef des bayerischen Landtags, Tobias Gotthardt (Freie Wähler), der die Tagung initiiert hat. Denn die Einflussmöglichkeiten der einzelnen Länderparlamente sind begrenzt. Die schärfste Waffe der Landtage ist die Subsidiaritätsrüge. Das sogenannte Frühwarnsystem erlaubt den Länderparlamenten, Entwürfe von EU-Rechtsakten auf Einhaltung der EU-Zuständigkeit und auf das Subsidiaritätsprinzip hin zu überprüfen. Sind Landeszuständigkeiten betroffen, können die Bundesländer eine Rüge einreichen. Doch selbst davon wird nicht in jedem Landtag Gebrauch gemacht.

„Bei uns spielt das Thema Frühwarnsystem nicht wirklich eine große Rolle“, sagte zum Beispiel der Europaausschusschef des Landtags in Sachsen-Anhalt, Daniel Sturm (CDU). Er habe nicht das Gefühl, damit in Brüssel Gehör zu finden. „Auch bei uns nimmt die Frühwarnsystematik nicht den großen Platz ein“, räumte der Europaausschusschef des Landtags in Nordrhein-Westfalen, Dietmar Brockes (FDP), ein. Von den vielen Dokumenten aus Brüssel werde man erschlagen. Auch der hessische Landtag habe sich seit der Wahl 2018 wenig mit dem Thema beschäftigt, berichtete Miriam Dahlke (Grüne). Sie vertrat den AfD-Europaausschusschef des hessischen Landtags, der aus „Termingründen“ nicht an dem Treffen teilnahm. Der bayerische Landtag hingegen nehme das Frühwarnsystem trotz der vielen Arbeit sehr ernst, betonte Gotthardt.

In der Europaausschusschef-Whatsapp-Gruppe werden künftig Ideen ausgetauscht

Weitere Einflussmöglichkeiten haben die Länderparlamente über den europäischen Ausschuss der Regionen (AdR). Dort können regional gewählte Vertreter aller 28 Mitgliedsländer Stellungnahmen zu EU-Rechtsvorschriften abgeben. Bei der Tagung waren sich aber die meisten Europaausschusschefs einig, dass dieses Gremium wenig effizient sei. „Da wird viel Papier und Arbeitskraft verschwendet“, sagte Gotthardt. „Ich will den AdR nicht schlechtreden, aber unsere Stoßrichtung ist eine andere“, stimmte der Europaausschusschef des Landtags in Baden-Württemberg, Willi Stächele (CDU), zu. Nicht ganz so kritisch war Brockes. Der Einfluss des AdR sei zwar begrenzt. „Aber dort lassen sich Netzwerke für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Regionen aufbauen.“

Ein roter Faden war beim ersten Gipfeltreffen der Europaausschusschefs noch nicht erkennbar. Offensichtlich stand das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund. Zu diesem Zweck wurde auch eine Eurovors-Whatsapp-Gruppe gegründet. Darin sollen künftig Ideen ausgetauscht werden. Zum Beispiel berichtete der Europaausschusschef des Berliner Landtags, Andreas Otto (Grüne), dass grundsätzlich der Botschafter des Landes in den Ausschuss eingeladen wird, dessen Land gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Das kam bei den Kollegen gut an. In der Gruppe will man sich auch gegenseitig unterstützen. So erzählte beispielsweise der Europaausschussvize des Landtags in Brandenburg, Matthias Stefke (BVB/Freie Wähler), dass sich der Ausschuss erst vor wenigen Tagen konstituiert hat. Da rund zwei Drittel der Abgeordneten neu in den Landtag gewählt wurden, sei viel Wissen verloren gegangen.

Die erste Eurovors-Reise soll Anfang März nach Berlin gehen. Dort sollen dann auch die restlichen Europaausschusschefs beziehungsweise ihre Stellvertreter dabei sein. Ziel des Treffens ist, die Position gegenüber Vertretern der Bundesregierung und der EU-Kommission in Deutschland zu verdeutlichen. „Wir werden sehr selbstbewusst auftreten“, versprach Gotthardt. „Ich bin sogar so mutig zu sagen, dass für uns in Zukunft selbst ein Besuch bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel nicht unerreichbar ist.“ (David Lohmann)

INFO: Resolution „Eurovors“
„Wir, die Europaausschussvorsitzenden der Landtage, unterstreichen unseren erklärten Willen, unsere Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinweg weiter zu intensivieren und zu verstetigen. Wir schaffen zu diesem Zweck die regelmäßig tagende, informelle ‚Konferenz der Europaausschussvorsitzenden der deutschen Landtage‘ (EUROVORS). Gemeinsames Ziel ist die Stärkung der Europakompetenz der Länderparlamente als wichtiger Bestandteil einer aktiven Subsidiarität in Europa. Wir fordern diese ein, wenn es um unsere formelle Beteiligung am europäischen Rechtsetzungsprozess sowie das Subsidiaritätsfrühwarnsystem geht. Dementsprechend fordern wir nachdrücklich eine Beteiligung der Landtage und anderer legislativer Landesparlamente in Europa im Rahmen der geplanten Konferenz zur Zukunft der EU. Wir sehen die Landtage und unsere Ausschüsse als lebendige Foren europäischer Bürgernähe – bereit, einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung europäischer Politik in unserem Land zu leisten.“

Kommentare (2)

  1. David Lohmann am 23.12.2019
    Sehr geehrter Leser "Denker",
    die SPD kommt deswegen nicht zu Wort, weil kein Vertreter dieser Partei bei der Gründungsveranstaltung vor Ort war.
    Mit freundlichen Grüßen
    David Lohmann
  2. Denken am 23.12.2019
    Sehr geehrter Herr Lohmann,
    ich finde an Parteien: CSU, CDU, FW, GRÜNE, FDP, AFD - nur wo bleibt die SPD? Warum verschweigen Sie, was Sozialdemokraten dazu sagen? Meines Wissens lebt die Partei noch...
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