Landtag

Der Gottesdienst aus der Pfarrkirche Spiegelau wird in die Seniorenwohnstätte Rosenium übertragen. (Foto: THD)

12.04.2019

Gottesdienst-Livestream ins Pflegeheim

Ist die Digitalisierung eine Chance, den Bevölkerungsrückgang im ländlichen Raum zu stoppen? Experten sind uneins

Eine App, nur um das Wischen auf dem Smartphone zu üben? In den Gemeinden Frauenau und Spiegelau im Bayerischen Wald gibt es das für Senioren. Die Region ist eine von aktuell vier Pilotregionen für das Projekt „Digitales Dorf“. In diesen soll die Digitalisierung genutzt werden, um die Lebensqualität im ländlichen Raum zu stärken. Wenn zum Beispiel eine Laterne ausgefallen ist, können Bürger das per Smartphone dem Bauhof melden. Der örtliche Gottesdienst wird live ins Pflegeheim übertragen. Und digitale Infotafeln neben dem Rathaus ersetzen vollgetackerte Holzbretter. „Es stehen immer Trauben von Menschen vor diesen Touchtafeln“, versicherte Diane Ahrens von der Technischen Hochschule Deggendorf beim Akademiegespräch Zukunftsdörfer. Digitalisierung als Chance für den ländlichen Raum im Landtag. Ahrens erforscht und entwickelt mit ihren Mitarbeitern drei der vier E-Dörfer.

Insgesamt fällt der demografische Wandel im ländlichen Raum in Bayern sehr unterschiedlich aus. So soll zum Beispiel die Bevölkerung in Dachau bis zum Jahr 2037 um 13 Prozent steigen – Wunsiedel hingegen wird in diesem Zeitraum ein weiteres Sechstel seiner Einwohner verlieren. Heterogen ist auch die Altersstruktur in der bayerischen Bevölkerung. In München wird das Durchschnittsalter in 18 Jahren fast wie jetzt bei 42 Jahren liegen, im Landkreis Kronach hingegen bis 2037 um weitere vier Jahre auf 51 Jahre steigen. Kann die Digitalisierung Strukturschwäche, Bevölkerungsrückgang und mangelnde Infrastruktur ausgleichen? Sie kann von Menschen getragene Angebote nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen, meinte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU). „Dörfer sind die Seele des Landes“, sagte sie. Der Freistaat wolle daher mithilfe der Digitalisierung dafür sorgen, dass Menschen ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen.

Sinkt der Stromverbrauch, schlägt das System Alarm

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, erinnerte daran, dass gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern Staatsziel sind. Da das seit 2014 in der Verfassung verankert ist, sei das keine Kür, sondern Pflicht. „Die Politik muss den Blick immer auch über die Grenzen der Metropolregionen auf den ländlichen Raum richten“, mahnte sie. Damit sei auch den Städtern geholfen: Wenn die Perspektiven für Menschen auf dem Land gut sind, müssten sie nicht in die Städte ziehen. Dadurch würden die Mieten nicht noch weiter steigen. Das ist in Münchs Augen wesentlich effektiver, als wie in Berlin über eine Verstaatlichung von Wohnraum nachzudenken. Tatsächlich sind nur zehn Prozent der Fläche in Deutschland städtischer und 90 Prozent ländlicher Raum. Die Bevölkerung aber verteilt sich darauf jeweils zur Hälfte. Das heißt: Je mehr Probleme es im ländlichen Raum gibt, desto mehr gibt es auch in den Städten.

Zukünftig soll in den E-Dörfern verstärkt Internet und Mobilfunk ausgebaut werden. „So können Schulen endlich der Kreidezeit entspringen“, sagte Projektkoordinatorin Ahrens. Um die Mobilität zu verbessern, sollen vermehrt digitale Rufbusse eingesetzt werden. Die ärztliche Versorgung kann laut Ahrens durch Telemedizin, die beruflichen Möglichkeiten können durch Coworking Spaces verbessert werden. „Am besten alles in einer Art Gemeindehaus, in dem zum Beispiel auch eine Kinderbetreuung angeboten wird“, erklärte sie. Aktuell werde auch an einer digitalen Nachbarschaftshilfe gearbeitet: Wenn in einer Wohnung der Stromverbrauch sinkt, schlägt das System Alarm. Und der Tourismus soll von der Digitalisierung ebenfalls profitieren. Durch die Vernetzung müssen Hotels ihre Gäste und Mitarbeiter nicht mehr einzeln vom Bahnhof abholen. Schöne neue Welt also?

Anne Margarian vom Braunschweiger Johann Heinrich von Thünen-Institut für Ländliche Räume mahnte zur Vorsicht. „In manchen Regionen kann die Digitalisierung auch eher schaden als helfen“, sagte sie. Zum Beispiel, weil durch sie die Wertschöpfung in den Städten viel stärker zunehme als auf dem Land, ländliche Unternehmen ihr Alleinstellungsmerkmal verlören oder manche Kommunen stärker profitierten als andere. Auch im Pflegekontext hilft die Digitalisierung laut Margarian nur wenig, weil sie lediglich das Monitoring und die Dokumentation erleichtere, nicht aber die Betreuung der Menschen verbessere. Und nicht zuletzt übe die Digitalisierung mit ihrer Transparenz immer eine gewisse soziale Kontrolle aus. „Das könnte dazu führen, dass Menschen doch lieber in die anonyme Großstadt flüchten“, erläuterte Margarian. Konkrete Forschungsergebnisse zu diesen Themen stünden noch aus. Ob die flächendeckende Digitalisierung eine Möglichkeit gegen die Landflucht ist, blieb an diesem Abend leider unbeantwortet. (David Lohmann)

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