Landtag

Am 2. Mai erhielten bayerische Grundschüler ihr Übertrittszeugnis. (Foto: dpa/Stephan Jansen)

03.05.2019

Grundschüler mit Vollzeitjob

Viertklässler in Bayern haben 29 Unterrichtsstunden pro Woche, 22 Proben pro Schuljahr, dazu Hausaufgaben und Lernzeit – die Grünen fordern Reformen

Die Grünen wollen Eltern entscheiden lassen, auf welche weiterführende Schule ihre Sprösslinge gehen. Außerdem soll die Stundenzahl reduziert werden, um Schüler und Lehrer zu entlasten. Daneben soll das Modell der flexiblen Grundschule in Bayern ausgebaut werden.

Mutter Lara ist verzweifelt: „Dieser Druck in der vierten Klasse macht mich noch fertig!“ Ihr Sohn sei zwar laut IQ-Test überdurchschnittlich begabt. Doch durch einen Leistungsabfall sei inzwischen fraglich, ob die Noten für das Gymnasium reichen. „Warum nur braucht Bayern immer eine Sonderrolle, warum muss hier immer alles nach Notendurchschnitt gehen und nicht nach Einschätzung vor allem von den Eltern?“

Nicht nur Lara haben die letzten Tage schlaflose Nächte bereitet. Grund: Am 2. Mai haben Zehntausende Viertklässler in Bayern ihre Übertrittszeugnisse für die weiterführenden Schulen erhalten. Die Noten darin sind entscheidend: Ist der Schnitt in Deutsch, Mathe sowie Heimat- und Sachkunde (HSU) besser als 2,33, darf ein Kind aufs Gymnasium. Bis 2,66 heißt es Real-, ab 3,0 Hauptschule. Wer den Schnitt nur knapp verfehlt, darf an einem Probeunterricht der höheren Schule teilnehmen. Zwar führen im bayerischen Bildungssystem viele Wege zum Abitur. Doch das Übertrittszeugnis in der vierten Klasse gilt als entscheidende Weichenstellung. Und im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie Hessen zählt in Bayern fast ausschließlich der Notenschnitt. Nur wenn Schüler beim Probeunterricht eine Vier haben, können Eltern auf eigene Verantwortung entscheiden. Das wollen die Landtags-Grünen ändern.

„Wir wollen keinen kompletten Verzicht auf Noten, aber eine Mischung aus Noten und individueller Lehrerrückmeldung in Zusammenarbeit mit den Eltern“, erklärt die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Anna Toman. Dass das gut funktioniere, zeige sich in den Entwicklungsgesprächen, wie es sie in den Klassen 1 bis 3 gibt. Noten zeigen aus Sicht Tomans nur einen Vergleich innerhalb der Klasse und nicht den wahren Entwicklungsstand des Kindes. Dass alle Eltern ihre Kinder für hochbegabt und daher das Gymnasium als einzige Option sehen, glaubt die Abgeordnete nicht. Durch die regelmäßigen Entwicklungsgespräche könnten Eltern die Leistungen ihrer Kinder sehr realistisch einschätzen. Sollten sich die Eltern dennoch gegen die Übertrittsempfehlung entscheiden, schlagen die Grünen ein Beratungsgespräch mit der jeweiligen Grundschule vor, der Probeunterricht entfällt.

Fast jeder zweite bayerische Grundschüler ist gestresst

Wenn nicht nur Noten, sondern auch der Elternwille zählt, würde das viel Druck von den Schülern nehmen, sind Forscher überzeugt. 22 Proben müssen Grundschüler für das Übertrittszeugnis schreiben. Laut einer Studie der Universität Würzburg weist fast jeder zweite bayerische Grundschüler eine erhöhte Stressbelastung auf. In Hessen, wo das Übertrittszeugnis nur eine Empfehlung darstellt, ist nur jeder vierte Grundschüler davon betroffen. Auch der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) fordert mehr Mitspracherecht der Eltern beim Übertritt. „Die vierte Klasse ist ein echtes Stressjahr“, versichert Toman. Insgesamt seien 29 Stunden in neun Fächern abzuleisten, hinzu kämen Hausaufgaben und die Probenvorbereitung. „Das entspricht einem Vollzeitjob – bei einem neunjährigen Kind.“

Neben der verstärkten Berücksichtigung des Elternwillens haben die Grünen fünf weitere Forderungen für mehr individuelle Förderung in der Grundschule aufgestellt. Dazu gehört der Ausbau der flexiblen Grundschule. Darin durchlaufen die Kinder die Klassen 1 und 2 je nach Begabung in ein, zwei oder drei Jahren. Bisher bieten nur 268 von rund 2200 Grundschulen dieses Modell an. „Alle Eltern sollten die Möglichkeit haben, ihr Kind auf eine flexible Grundschule zu schicken“, fordert Toman. Außerdem soll bei zwei der zwölf Proben in Deutsch und bei jeweils einer in Mathe und HSU eine individuelle Leistungsbewertung vorgenommen werden, in der die Situation des Kindes mit Stärken, Schwächen und Entwicklungspotenzialen im Vordergrund steht.

Nicht zuletzt will Toman die Lehrkräfte entlasten. „Die Zusammensetzung der Schülerschaft ist enorm heterogen“, erklärt die Abgeordnete. Die Leistungsspreizung in den Klassen steige, und ein Viertel der Kinder habe einen Migrationshintergrund, hinzu komme die Inklusion behinderter Schüler. Um mehr Zeit für die individuelle Förderung zu haben, sollen erstens mehr Lehrkräfte eingestellt und zweitens alle zwei Stunden weniger für den Unterricht eingesetzt werden. Mittelfristig wollen die Grünen sogar zwei Lehrer im Unterricht einsetzen – eine Lehrkraft und eine pädagogische Fachkraft. Und wo vor Ort gewünscht, will Toman sogenannte Sekundarschulen ermöglichen. Dort können Schüler sowohl einen Haupt- als auch einen Realschulabschluss machen, ohne nach Schulformen getrennt zu werden.

Die Forderungen sollen in Kürze in Anträge gegossen und noch vor der Sommerpause im Bildungsausschuss eingebracht werden. (David Lohmann)

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