Landtag

Die Erben der Gastarbeiter: Mancher Deutschlehrer an deutschen Schulen hat Migrationshintergrund. (Foto: DAPD)

16.11.2012

Migrationshistorie ist museumsreif

Fachgespräch: Die SPD-Landtagsfraktion diskutiert über „Integration durch Kultur: Zuwanderungsgeschichte in bayerischen Museen“

In Bayern gibt es 1356 Museen. So viele hat kein anderes deutsches Bundesland. Vom Kunst- über das Technik- bis zum Heimatmuseum finden sich etliche verschiedene Sparten unter den Aufbewahrungsstätten. Eine Kategorie ist allerdings weder im Freistaat noch in Deutschland vertreten: ein Migrationsmuseum. Dafür gibt es in der Bundesrepublik eine Diskussion zu diesem Thema, die überwiegend in Expertenkreisen wie dem Deutschen Museumsbund geführt wird: Soll irgendwo ein zentrales Haus für Migration errichtet werden? Oder muss man den Topos Einwanderung in sämtlichen Museen des Landes im Rahmen anderer Ausstellungen mitbehandeln?

Ein Museum für Migration oder Häuser der Kulturen

Darüber gehen die Meinungen sowohl auf deutscher als auch auf bayerischer Ebene auseinander. Nichtsdestotrotz herrscht über Folgendes Einigkeit: „Bayern war schon immer ein Migrationsland. Allerdings hat die Geschichte der Einwanderer in bayerischen Museen und Archiven bislang zu wenig Aufmerksamkeit erhalten“, findet Isabell Zacharias, integrationspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Sie hatte im Rahmen der Diskussionsreihe „Mittendrin statt parallel“ zum Austausch über „Integration durch Kultur: Zuwanderergeschichte in bayerischen Museen“ eingeladen.
Dass Einwanderergeschichte in den Erinnerungsort Museum gehört, darüber waren sich auch die beiden Hauptredner des Abends einig: Michael Henker, Leiter der Landesstelle der nichtstaatlichen Museen in Bayern, und Zeki Genc, Vorstandsvorsitzender des bayerischen Instituts für Migration (BIM). Dennoch sind die beiden Antipoden: Henker ist nach eigener Aussage „kein Anhänger eines Migrationsmuseums, denn wir würden es uns zu einfach machen“. Er vertritt die Ansicht, dass die verschiedenen Facetten des Themas Einwanderung nur dann differenziert beleuchtet werden können, „wenn sie auf unterschiedlichen Wegen in verschiedenen Ausstellungen aufbereitet werden“. Und dies sei Aufgabe sämtlicher Museen, nicht nur eines speziellen.
Genc dagegen fordert einen Bau für ein zentrales Einwanderungsmuseum. Er scheint ein solches auch so zu verstehen: als materialisierte Würdigung für die Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland eingewandert sind und das bis heute tun. Genc, der sich selbst als bibelfester Moslem und bekennender Bayer bezeichnet, erklärte die Arbeit des BIM folgendermaßen: „Wir erforschen uns selbst. Wir sind die Erben der Gastarbeiter. Sie und wir haben viele Geschichten, von denen viele schrecklich schön sind.“
Diese Lebenslinien zeichnen der Grafiker und seine BIM-Mitstreiter mit der Kamera auf: „Die Leute haben viel zu erzählen. Aber keiner hat sie bis jetzt gefragt: Wie geht es euch? Was fühlt ihr? Warum bleibt ihr hier?“ Über all dies sprechen sie stundenlang mit den BIM-Mitgliedern. Diese Bänder gehören zur sogenannten Sachkultur, die die BIMler zusammentragen. Hinzu kommen Dokumente wie Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse, Pässe, Fotos und andere Gegenstände, die das Phänomen Einwanderung dokumentieren. „Die Einwanderer haben aus ihren Ländern vielleicht keine Statuen mitgebracht. Dafür aber Koffer, Tassen, Pfannen, Zeitungen und noch wichtiger ihre Sprache und Kultur“, zählte Genc auf. Außerdem: „Wir sammeln all das, aufbewahren müssen wir es zusammen.“
Mit seiner Auflistung potenziellen Inventars für ein Migrationsmuseum widersprach er Henkers Einschätzung über das Vorhandensein von charakteristischen Exponaten. Dieser vertritt nämlich die Meinung, dass Migranten weniger Sachkultur mit nach Deutschland gebracht hätten als beispielsweise Flüchtlinge. „Der Grund ist, dass die Migranten davon ausgingen, dass sie eines Tages in ihre Heimat zurückkehren würden. Und deshalb haben sie in der Regel keine Möbel mitgebracht.“ Flüchtlinge dagegen hätten – sofern möglich – ihr gesamtes Hab und Gut nach Deutschland transportiert, weil sie gewusst hätten, dass für sie kein Weg zurück führt.
Museal aufbereitete Migrationsgeschichte soll aus Henkers Sicht kein Solitär sein, sondern integraler Bestandteil in allen Museen. „Wäre es nicht viel schöner, wenn sie Teil unserer Heimatmuseen und somit unserer Geschichte würde?“, fragte er das Publikum. Auf Symposien und Tagungen der Museumsfachwelt werde schon länger intensiv diskutiert, wie das Thema Einwanderung in den Museen präsentiert werden könne. Eine Fachgruppe des Deutschen Museumsbundes arbeite an einer Handreichung, an der auch Vertreter der Migranten mitarbeiten würden. Deren Schlussfassung solle im Jahr 2015 vorliegen.
Aus dem Publikum meldete sich Natalie Bayer, Kulturanthropologin an der Universität Göttingen, zu Wort: „Im Ausland hat man kein Verständnis dafür, dass in Deutschland so eine entweder-oder-Diskussion geführt wird“, sagte sie. Auch die Zuhörer im Landtag sprachen sich mehrheitlich für eine sowohl-als-auch-Lösung aus: Sie wollen eine als Migrationsmuseum ausgewiesene Bewahrungsstätte neben Ausstellungen in anderen Häusern, die den Aspekt Migration berücksichtigen.
Ein zentrales Museum oder ein Haus der Kultur in jeder Kommune? Mit dieser Frage will Isabell Zacharias den amtierenden Bürgermeister Christian Ude (SPD) behelligen, erklärte sie zum Abschluss. Immerhin werde der als Ministerpräsident aus der Landtagswahl 2013 hervorgehen, nutzte sie die Gelegenheit, ein bisschen Wahlkampf zu machen. Würde sie in dessen Kabinett Kunstministerin , spann sie sie den Faden weiter, dann würde sie auf jeden Fall solche Museumsprojekte zur Migration unterstützen, „die ganz eng mit den Ausländerbeiräten zusammenarbeiten“. (Alexandra Kournioti)

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