Landtag

Psychisch kranke Menschen wollen nicht länger mit Kriminellen in einen Topf geworfen werden. (Foto: dpa)

29.09.2017

Patienten vergessen, Experten überhört

Die Eckpunkte der Staatsregierung zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz stehen fest – Praktiker sind skeptisch

Seit fast 20 Jahren wird in Bayern um ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) gerungen. Mittlerweile ist der Freistaat das letzte Bundesland, in dem noch das primär sicherheitsrechtlich orientierte Unterbringungsgesetz für psychisch Kranke gilt. Die Zeit drängt: Zum einen ist die Suizidrate in Deutschland nirgends höher als in Bayern, zum anderen werden im Freistaat wesentlich häufiger psychisch kranke Menschen eingewiesen als in anderen Bundesländern. Im August hat der Ministerrat die neuen Eckpunkte für das Gesetz beschlossen (siehe Info), die beim Fachgespräch im Gesundheitsausschuss mit Experten diskutiert wurden – und auf keine große Begeisterung stießen.

Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags, kritisierte, die ambulante Krisenhilfe in Oberbayern dürfte nicht allein von den Kommunen finanziert werden. „Freistaat und Krankenkassen sind auch in der Pflicht.“ Michael Mauerer-Mollerus vom AWO Bezirksverband Oberbayern sprach sich für eine flächendeckende psychiatrische Krisenversorgung aus. „Leider findet sich der Punkt in den Angebotsmerkmalen nicht wieder.“ Für die Polizei sei in Notfällen ein mobiler Krisendienst eine große Hilfe. Mauerer-Mollerus kritisierte auch, dass es keine Zahlen geben soll, wie viele Menschen untergebracht sind.

Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost, betonte, Hilfe für Betroffene müsse immer über die Abwehr von Gefahren gestellt werden. „Wir können auch nicht erkennen, welchen Gewinn eine zentrale Unterbringungsdatei hat.“ Thomas Petri, Landesbeauftragter für den Datenschutz, ergänzte, die Staatsregierung müsse sich überlegen, ob sie die hochsensiblen Daten der Unterbringungsdatei der strengen Datenschutzgrundverordnung oder der eher lockeren Richtlinie zur Strafjustiz zuordnen soll. „Wenn dies falsch verortet wird, bricht möglicherweise die ganze Gesetzesarchiktektur zusammen“, warnte Petri.

Nicht alle Eckpunkte werden zwingend den Eingang ins Gesetz finden, so der Ministerrat

Franz Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor des Heckscher-Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie, forderte, die Belange von Kindern und Jugendlichen explizit im PsychKHG zu nennen. Jeder fünfte Betroffene sei inzwischen minderjährig – 80 Prozent davon Notfälle. Nikolaus Melcop, Präsident der Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten, kritisierte, die Vorschläge der Arbeitsgruppen seien übergangen worden. Außerdem sind seiner Meinung nach persönliche Ansprechpartner wie Patientenfürsprecher unersetzlich. „Der in den Eckpunkten vorgesehenen Fachaufsichtsbehörde trauen wir das nicht zu.“ Auch dass Behinderung als möglicher Unterbringungsgrund erfasst wird, sei bedenklich.

Oliver Pogarell von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni München wünscht sich, dass die in der Arbeitsgruppe herausgearbeiteten therapeutischen Hilfsangebote Einzug in den Gesetzentwurf finden; und Margarete Blank vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener, will, dass trotz der Paragraphenbremse gerade im Bereich Hilfe für Betroffene ein nicht zu schlankes Gesetz entsteht.

Kerstin Celina (Grüne) nannte die Eckpunkte eine „katastrophal schlechte Vorlage“. Der Gesetzesentwurf habe aus den Augen verloren, was vor drei Jahren Konsens war: den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. „Wie soll dadurch die Zahl der Unterbringungen reduziert werden?“ Kathi Petersen (SPD) wunderte sich über den Satz im Papier des Ministerrats, wonach nicht alle Eckpunkte später zwingend Eingang ins Gesetz finden. „Warum wird im Vorfeld ein runder Tisch mit Experten gebildet, wenn deren Forderungen nicht aufgenommen werden?“ Der Zug fahre in die richtige Richtung, sagte Karl Vetter (Freie Wähler) – aber er schlingere noch gewaltig. Wichtig sei vor allem, dass alles im Gesetz geregelt wird. „Sonst wird der Landtag ausgeschaltet.“ (David Lohmann)

INFO: Eckpunkte der Staatsregierung für ein PsychKHG
Der Ministerrat hat am 1. August die Eckpunkte für das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) beschlossen. In dem Papier seien die Anregungen und Forderungen der runden Tische mit aufgenommen worden – das sehen freilich nicht alle Experten so.

1) Die psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Hilfesysteme sollen durch den flächendeckenden Ausbau von ambulanten Krisendiensten verbessert werden.

2) Die Prävention psychischer Störungen soll gestärkt werden, um Selbst- oder Fremdgefährdung zu verhindern.

3) Die Stellung der organisierten Selbsthilfe der Psychiatrie-Erfahrenen und deren Angehöriger soll durch Hilfesysteme gefestigt werden.

4) Die Psychiatrieberichterstattung soll zur Qualitätssicherung und als Steuerungselement ausgebaut werden.

5) Die Bevölkerung soll besser vor Menschen mit psychischen Erkankungen, von denen eine Gefahr ausgeht, geschützt werden.

6) Eingewiesene Menschen, deren Angehörige und Beschäftigte in den Unterbringungseinrichtungen sollen durch Rechtssicherheit und Transparenz besser geschützt werden.

7) Die Qualität und die Qualitätssicherung bei der Unterbringung soll gestärkt werden.

8) Ein modernes Recht soll dazu beitragen, dass die Unterbringung zur Betreuung oder zum Selbst-/Fremdschutz optimal zur Anwendung kommt. (loh)

Kommentare (1)

  1. Toni am 09.10.2018
    Bedenken Sie die Unterstützung der sog. “freien” Selbsthilfe Betroffener
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