Landtag

Bayerische Kommunalpolitiker mit britischem Pass müssen am 29. März unverzüglich ihre Mandate zurückgeben. (Foto: dpa/Jens Kalaene)

15.02.2019

Sorge vor einem No-Deal-Brexit

Ein neues Gesetz der Staatsregierung soll Rechtssicherheit für Bürger, Unternehmen und Behörden im Fall eines geregelten EU-Austritts Großbritanniens schaffen

Die Staatsregierung hat dem Landtag ein Brexit-Übergangsgesetz vorgelegt. Es soll für Bürger, Unternehmen und Behörden für den Fall Rechtssicherheit schaffen, dass das britische Parlament doch noch für einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU stimmt. Dann träte eine zweijährige Übergangsfrist in Kraft, in der die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien neu verhandelt werden sollen. Bis dahin sieht der Gesetzentwurf der Staatsregierung vor, dass – mit Ausnahme des Wahlrechts – alle rechtlichen und vertraglichen Bindungen zwischen Bayern und Großbritannien unverändert Gültigkeit haben. Der Brexit erfolgt laut Antrag der britischen Regierung am 29. März, egal ob bis dahin der Austrittsvertrag ratifiziert ist.

Erste Betroffene des Brexit werden alle in Bayern lebenden Briten sein. Sie verlieren mit dem Austrittstag ihr Wahlrecht bei der Europawahl im Mai sowie für die Kommunalwahlen im März 2020 – und zwar unabhängig davon, ob es zu einem harten Austritt („No Deal“) oder der geplanten Übergangsregelung bis Ende 2020 kommt. Der Verlust des Wahlrechts sei mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU rechtlich zwingend, betonte Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU). 2014 bei der letzten Kommunalwahl gewählte Gemeinde-, Stadt- und Kreisräte mit britischem Pass müssten mit dem Austrittsdatum 29. März ihre Mandate unverzüglich zurückgeben und durch Listennachfolger ersetzt werden. Briten in Bayern dürfen sich dann auch nicht mehr an Bürgerbegehren und -entscheiden beteiligen.

Sollte es einen „No-Deal-Brexit“ geben, wäre das Übergangsgesetz obsolet, da alle Vereinbarungen mit Großbritannien mit einem Schlag unwirksam wären. „Das wäre ein gewaltiger historischer Rückschritt, denn das Vereinigte Königreich ist seit jeher ein wichtiger Partner des Freistaats“, erklärte Herrmann. Großbritannien wäre dann wie ein beliebiger Drittstaat zu behandeln, die Wirtschaftsbeziehungen würden auf das Standardniveau der Welthandelsorganisation WTO zurückgeworfen. Das bedeute mehr Bürokratie und neue Zölle. Betroffen wäre vor allem die bayerische Automobilindustrie. Zudem entfalle der beiderseitige Datenaustausch im Sicherheitsbereich, zum Beispiel bei der Terrorbekämpfung. Auch die für Bayern bedeutenden Bereiche Wissenschaft und Forschung seien betroffen.

Herrmann betonte, dass die Staatsregierung auch auf die „leider sehr wahrscheinliche Variante“ eines harten Brexit vorbereitet sei. Unter anderem sei gewährleistet, dass es keine Versorgungsengpässe mit in Großbritannien hergestellten Medikamenten geben werde. Herrmann bedauerte, den Gesetzentwurf einbringen zu müssen. „Der Brexit ist nach wie vor ein historischer Fehler und ein zivilisatorischer Rückschritt für die gesamte europäische Entwicklung“, sagte er. Die europäische Integration sei für die Staatsregierung weiterhin ein wichtiges Zukunftsprojekt. Nachverhandlungen am Brexit-Vertrag, wie sie die britische Regierung anstrebt, erteilte Herrmann eine klare Absage.

Der Übergangsentwurf der Staatsregierung fand im Landtag breite Zustimmung. Die Grünen allerdings kritisierten den Wegfall des Wahlrechts für Briten bei Kommunalwahlen. Hier lebende Menschen sollten nicht von der kommunalen Teilhabe ausgeschlossen werden, erklärte Florian Siekmann. Er forderte ein Kommunalwahlrecht auch für alle Nicht-EU-Bürger in Bayern. Siekmann sprach sich dafür aus, dass Großbritannien auch nach dem EU-Austritt „Nachbar und Partner bleiben“ müsse. Dabei müsse aber klar sein, „dass ein Drittstaat nicht alle Vorteile der EU genießen kann, ohne die Pflichten der Union mitzutragen“.

Die AfD begrüßte den Brexit. Die Briten würden damit ihre Souveränität wiedererlangen, auch wenn dies absehbar wirtschaftlich negative Folgen für das Land haben werde, sagte der AfD-Abgeordnete Uli Henkel. Die Briten hätten nun aber die Chance, friedliebend mit ihren Nachbarn Handel zu treiben, ohne sich den „gegen die eigene Lebensweise“ gerichteten Brüsseler Zeitgeist oktroyieren lassen zu müssen. Zudem müsse das Land nicht mehr auf Geheiß der EU mit Migranten „zwangsbeglückt“ werden. Die EU müsse mit grundlegenden Reformen auf den Austritt Großbritanniens reagieren, forderte Henkel.

Markus Rinderspacher (SPD) erklärte, mit dem Gesetzentwurf mache die Staatsregierung ihre „legislativen Hausaufgaben“. Der CSU warf er vor, bezüglich des Brexit Krokodilstränen zu vergießen. Rinderspacher erinnerte daran, dass die CSU-Fraktion den früheren britischen Premierminister David Cameron, der das Brexit-Referendum initiiert hatte, als Gast auf ihrer Klausurtagung empfangen und mit den Worten begrüßt habe, dieser stehe für „CSU-Politik pur“. Helmut Markwort (FDP) bezeichnete den Gesetzentwurf der Staatsregierung als „kleines Pflaster auf eine große Wunde“. Das sei „korrekt und ehrenwert“, werde aber der „Katastrophe Brexit nicht annähernd gerecht“. Vor allem die bayerische Wirtschaft müsse dramatische Schäden fürchten. Markwort kritisierte, dass sich Bayern anders als andere Bundesländer noch nicht intensiv um die Ansiedlung britischer Firmen bemüht habe, die nach dem Brexit einen Standort in der EU suchten.

Nach Ansicht von Franz Rieger (CSU) schafft der Gesetzentwurf Kontinuität, Rechtssicherheit und Berechenbarkeit für den angestrebten zweijährigen Übergangszeitraum – falls dieser je kommt. „Mit bangem Blick schauen wir nun seit Wochen über den Ärmelkanal und hoffen alle, dass die Briten noch einen guten Austritt schaffen“, sagte Rieger. „Bayern ist bestens auf den Brexit vorbereitet – so gut es eben geht“, ergänzte Tobias Gotthardt (Freie Wähler). Insgesamt sei der Brexit aber ein „großer Schmarrn“, klagte Gotthardt. (Jürgen Umlauft)

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