Landtag

Italiener, Politiker und Professoren seien dafür bekannt, viel zu reden, warnte Rocco Buttiglione die Zuhörer. „Ich bin alles drei.“ (Foto: Landtag/Poss)

07.04.2017

"Wenn die EU zerbricht, haben wir in 30 Jahren Krieg"

Akademiegespräch: Italiens ehemaliger Europa- und Kulturminister sprach im Landtag über Populisten, die Liebe zur Nation und den US-Protektionismus

Ausgerechnet zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge ist die Europäische Union (EU) in der Krise. Großbritannien tritt aus der Gemeinschaft aus, und in vielen Ländern erstarken politische Strömungen, welche die EU in „Bausch und Bogen“ ablehnen, so Landtagsvizepräsident Peter Meyer (Freie Wähler). „Denk ich an Europa in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“, sagte er in Anlehnung an Heinrich Heine beim Akademiegespräch Europa gestalten im bayerischen Landtag. Gleichzeitig verwies er auf die vielen pro-europäischen Demonstrationen auf unserem Kontinent. „Sie machen unmissverständlich klar, dass das Herz Europas durchaus noch schlägt – und zwar kräftig.“

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung, räumte ein, dass der Zustand der EU nicht der „allerbeste“ sei. „Der gefühlte Abstand zwischen Volk und Eliten ist größer denn je“, erklärte sie. Ein Grund dafür sei das Verhalten nationaler Politiker. Sie verkaufen laut Münch Errungenschaften der Mitgliedsstaaten regelmäßig als eigenen Erfolg. „Wenn es aber zum Beispiel um Probleme wie das Thema Gemüsekrümmungen geht, wird ausnahmslos Brüssel dafür verantwortlich gemacht.“ Das bereite denjenigen den Boden, die das europäische Projekt ablehnen. Um das Thema aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, hatte sie für diesem Abend den ehemaligen italienischen Europa- und Kulturminister Rocco Buttiglione eingeladen.

Italien ist der viertgrößte Mitgliedsstaat der EU. Das Land macht zwölf Prozent ihrer Gesamtbevölkerung aus, besetzt mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini eine Schlüsselposition in der EU-Kommission, ist einer der größten Nettozahler und spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Doch obwohl die italienische Bevölkerung der EU lange wohlgesonnen war, haben die Zustimmungswerte drastisch abgenommen. Nur noch 51 Prozent sprachen sich Ende letzten Jahres für den Verbleib in der europäischen Gemeinschaft aus – damit liegt Italien deutlich unter dem Durchschnitt anderer Mitgliedsstaaten. Einer der größten Vorwürfe in Italien lautet, die Gründungsväter hätten sich von der Idee der EU entfernt.

Für Buttiglione ist daran die Politik schuld. „Die regierende Klasse hat oft gesagt, wir müssen sparen, weil die EU das sagt.“ Keiner habe den Mut aufgebracht, auszusprechen, dass keine Nation auf Dauer von Schulden leben kann. Wenn früher die Staatsausgaben stiegen, wurde laut Buttiglione einfach die Währung entwertet. Das ist seit dem Beitritt zum Euroraum nicht mehr möglich. „Wir müssen unsere Mentalität ändern und uns eine Kultur der Stabilität aneignen.“ Nicht, weil es sonst einen Streit mit der EU-Kommission über die Drei-Prozent-Defizitgrenze gebe, sondern aus Eigeninteresse.

„Trump gibt die falschen Antworten auf die wirklichen Probleme“

Kritisch äußerte sich Buttiglione über den Protektionismus von US-Präsident Donald Trump. „Er gibt die falschen Antworten auf die wirklichen Probleme.“ In den 50er-Jahren hätten die Vereinigten Staaten noch über die Hälfte der ökonomischen Macht in der Welt verfügt – heute seien es wie in der EU noch 20 Prozent. Das habe auch Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik. „Wir und die Amerikaner könnten die Globalisierung steuern“, versicherte er. „Aber keiner von beiden allein und erst recht nicht gegeneinander.“ Schon in den 90er-Jahren hätten die beiden Kontinente drei Prozent des Nettoinlandsprodukts für Forschung ausgeben wollen, um den Wettbewerb im Bereich „Knowledge Economy“ mit China und Indien zu gewinnen. „Wir haben das aber nie gemacht“, klagte das Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer.

Beim Thema Einwanderung plädiert Buttiglione für eine Art Multikulti in Maßen: Zum einen müsse allen Menschen eine neue Heimat geboten werden. Andererseits dürften Menschen abgewiesen werden, die sich die Kultur des Landes nicht aneignen wollen. „Nur mit denen, die bereit sind, diese Prüfung zu bestehen, können wir eine multikulturelle Gesellschaft aufbauen.“ Ähnlich verhalte es sich mit Flüchtlingen. Auf Basis der christlichen Werte müsse jedem Zuflucht gewährt werden. „Wir können aber nicht die Verantwortung für alle übernehmen“, erläuterte er. Stattdessen sollten Kooperationen geschaffen werden, um Fluchtursachen zu verringern.

Eine weitere Herausforderung der EU sah Buttiglione beim Thema Sicherheit. „Wenn die EU zerbricht, haben wir in 30 Jahren wieder Krieg“, prophezeite er. Es gebe einfach zu viele konkurrierende Märkte, um ohne eine Wertegemeinschaft dauerhaft in Frieden leben zu können. Um das zu verhindern, empfahl das Mitglied der päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften – ein katholischer Think Tank – , den sozial abgehängten Menschen mehr Chancen zu bieten. „Sonst sind sie bereit, den Populisten zuzuhören“, glaubt er. Dazu müsse auch die Identität der Bevölkerung gestärkt werden: Wenn eine Nation meine, keine Kultur zu haben, fürchte sie sich und sei nicht bereit für einen Dialog mit anderen Ländern. Buttiglione erinnerte daran, dass Deutschland und Italien nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe „völlig zugrunde“ gegangen wären. Dennoch dürften beide Nationen wieder die Liebe zu ihrer Heimat entdecken. „Die Nation lieben heißt aber nicht: Wir lieben uns mehr als euch“, mahnte er. Kein Land sei mehr in der Lage, seine Probleme allein oder gar gegen Europa zu lösen. Zum Abschluss zitierte er die Europahymne. Dort heißt es „Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum.“ „Wenn Völker zusammenleben wollen, bauen sie sich ein Heiligtum“, konkretisierte er – gemeint ist in diesem Fall die EU. „Ohne eine Begeisterung, eine Liebe“, mahnte er, „werden wir es in Europa nicht schaffen.“
(David Lohmann)

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