Landtag

09.04.2020

"Wir brauchen dringend eine Exit-Strategie"

Martin Hagen, Fraktionschef der Landtags-FDP, über die fundamentale Einschränkung der Freiheitsrechte und die Rolle der Opposition in der Corona-Krise

Eine Krise ist immer die Zeit der Exekutive. Angesichts der Corona-Pandemie tragen sogar die Liberalen die massiven Einschränkungen der Grundrechte mit. Trotz Bauchschmerzen, wie Martin Hagen, Chef der FDP im Landtag, betont. Er fordert von Markus Söder einen Fahrplan, wie das Land aus dem Shutdown wieder herauskommt. Sein Vorschlag: eine Maskenpflicht für alle.

BSZ Herr Hagen, im Kampf gegen Corona wurden die Grundrechte massiv eingeschränkt. Die FDP hat das mitgetragen. Haben Sie als Liberaler da keine Bauchschmerzen?
Martin Hagen Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Natürlich hat ein Liberaler Bauchschmerzen, wenn Bürger durch Ausgangsbeschränkungen in ihren fundamentalsten Freiheitsrechten beschnitten werden und wenn Unternehmen von heute auf morgen die Geschäftsgrundlage entzogen wird. Ja, das ist dramatisch. Aber es geht um das Eindämmen einer Seuche, die ohne diese Einschränkungen viele Menschen das Leben kosten könnte. Für uns sind drei Dinge wichtig: Augenmaß bei den Maßnahmen, deren zeitliche Befristung und deren parlamentarische Kontrolle.

BSZ Stichwort Augenmaß: Bayern hat die strengsten Ausgangsbeschränkungen. Dort darf man – anders als im Rest von Deutschland – keine weitere Person aus einem anderen Hausstand treffen. Ist das denn noch verhältnismäßig?
Hagen Ich finde es richtig, dass Bayern hier vorgeprescht ist. Bayern hat durch die Nähe zu Österreich und Italien die meisten Infektionen. Und ich glaube auch, dass der bayerische Weg effektiver ist: Wenn man in anderen Bundesländern beliebig viele Menschen treffen kann – nur eben nicht gleichzeitig, aber im Laufe des Tages immer wieder hintereinander –, ist das ja auch nicht Sinn der Sache.

BSZ Wenn die Staatsregierung alles richtig macht und alle alles abnicken, wofür braucht es in Corona-Zeiten dann eigentlich noch eine Opposition?
Hagen Wir nicken nichts ab, wir konnten zum Beispiel beim Infektionsschutzgesetz wichtige Änderungen durchsetzen. Außerdem pochen wir als FDP auf eine Exit-Strategie. Ich halte es für inakzeptabel, dass die Diskussion darüber vonseiten der Regierung einfach abgewürgt wird. Denn sie ist nicht nur zulässig, sie ist absolut notwendig – gerade angesichts der so drastischen Einschränkungen für die Bürger und die Unternehmen. Jede zusätzliche Woche kostet die bayerische Volkswirtschaft zwischen fünf und elf Milliarden Euro. Wir brauchen deshalb einen Fahrplan, wie wir aus dem Shutdown wieder herauskommen können. Die Regierung muss aufzeigen, wie sie die gesundheitspolitischen Voraussetzungen dafür schaffen will.

"Maskenpflicht und Geschäfte öffnen: warum nicht sofort?"

BSZ Österreich will die Maßnahmen bereits nach Ostern lockern. Könnte das ein Vorbild für Bayern sein?
Hagen Eine generelle Lockerung muss man von der Infektionsrate abhängig machen, da müssen wir in Bayern erst mal evaluieren, wie die Maßnahmen bislang gewirkt haben. Ich glaube aber, dass man bestimmte Maßnahmen bereits jetzt anpassen könnte. Auch Söder ist nun zwar für eine Maskenpflicht. Aber für irgendwann. Warum nicht sofort? Ich schlage vor, dass wir jetzt beim Einkaufen eine Maskenpflicht einführen und im Gegenzug auch Geschäfte abseits von Lebensmittelmärkten und Drogerien wieder öffnen dürfen. Das wäre eine Erleichterung für die Bürger und den Einzelhandel und zugleich eine Verschärfung des Infektionsschutzes. Schließlich reduziert ein Mund-Nasen-Schutz das Risiko, andere durch Tröpfchen anzustecken.

BSZ Abgesehen davon, dass ein großer Mangel an Mundschutzmasken besteht, befürchtet die Bundesregierung, die Menschen würden sich bei einer Mundschutzpflicht in falscher Sicherheit wähnen und deshalb notwendige Regeln der Hygiene vernachlässigen.
Hagen Das halte ich für ein abenteuerliches Argument. Damit könnte man genauso gut gegen die Gurtpflicht argumentieren: Schnallen sich Menschen im Auto an, wähnen sie sich in falscher Sicherheit und fahren unvorsichtiger. Das ist doch absurd. Die Zurückhaltung der Regierung hat meiner Meinung nach vielmehr damit zu tun, dass sie bei der Beschaffung von Atemschutzmasken bislang ziemlich versagt hat. Aber es geht bei der Maskenpflicht ja gar nicht um medizinische Schutzmasken: Beim Einkauf oder der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wäre es schon hilfreich, wenn die Bürger einen einfachen Mundschutz tragen – der kann auch selbst genäht sein, zur Not hilft schon ein Schal.

BSZ Andere machen eine Lockerung der Einschränkungen von der Einführung einer Tracking-App für die Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten abhängig. Was halten Sie davon?
Hagen Die Corona-App, die jetzt in der der Diskussion steht, sieht vor, dass Daten nicht zentral erfasst werden. Über Bluetooth misst die App den Abstand zu anderen Handys und speichert diese Information dann dezentral auf dem jeweiligen Gerät. Wird jemand positiv auf Corona getestet, werden die Kontakte dementsprechend informiert. Das halte ich für sehr sinnvoll. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der die Bewegungsdaten von 82 Millionen Deutschen pauschal erfassen lassen wollte. Das wäre ein datenschutzrechtlicher Dammbruch gewesen.

"Hilfe für Unternehmen und Selbstständige über eine negative Gewinnsteuer"

BSZ Eine App ergibt nur Sinn, wenn sie möglichst viele nutzen. Würden Sie auch eine Nutzungspflicht mittragen?
Hagen Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger freiwillig bereit wären, so eine App zu nutzen. Sie haben ja auch selbst dadurch den Vorteil, dass sie darüber informiert werden, wenn sie Kontakt mit einer infizierten Person hatten. Eine allgemeine Pflicht braucht es deshalb meiner Auffassung nach nicht. Außerdem: Was macht denn der Staat, wenn mein Akku leer ist? Darf er mich dann einsperren? Statt über eine Pflicht sollte man aber über Anreize nachdenken.

BSZ In Bayern stehen durch die Corona-Einschränkungen viele Existenzen auf dem Spiel. Reichen die Hilfspakete aus?
Hagen Tatsächlich wurden sehr umfangreiche Hilfspakete geschnürt – sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Entscheidend ist, dass die Hilfe jetzt schnell ankommt, da scheint es noch Verbesserungsbedarf zu geben. Außerdem glaube ich, dass wir – über die ersten Maßnahmen hinaus – das Problem am besten über die Finanzämter lösen könnten. Anstatt jetzt für jede einzelne Branche ein Sonderprogramm aufzulegen, sollten Unternehmen und Selbstständige mit Umsatzeinbruch unbürokratisch eine negative Gewinnsteuer ausbezahlt bekommen, basierend auf dem letzten Steuerbescheid. Verbunden muss das mit einer allgemeinen Steuersenkung sein.

BSZ Noch etwas anderes: Dominik Spitzer, gesundheitspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, fordert eine Influenza-Pflichtimpfung. Wie passt diese Forderung zu einer Partei, die das Wort Freiheit im Namen trägt?
Hagen Die Idee ist, dass eine einmalige Influenza-Pflichtimpfung dazu beitragen kann, andere Freiheitsbeschränkungen schneller wieder zu lockern. Verhindern wir, dass Grippe-Patienten Klinikbetten belegen, die für Corona-Patienten gebraucht werden, entlasten wir das Gesundheitssystem und könnten damit schneller zur Normalität zurückkehren. Ich finde, darüber darf man nachdenken.
(Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (2)

  1. M K am 15.04.2020
    Ich finde es erschreckend, dass hier über Impfpflicht und Tracking-App ernsthaft nachgedacht wird. Das Corona-Virus wird wieder verschwinden, Grippeimpfungen brachten vorher schon nicht viel und wenn die Regierung und seine Exekutive immer weiß wo man sich gerade befindet ist meiner Meinung nach extrem bedenkenswert, sogar mit besten Absichten lässt sich das so einfach mißbrauchen. Garantien von Poltikern sollte man nie über den Weg trauen, deren Arbeit besteht zum großen Teil aus "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern". Die ganze Situation ist aufgrund von statistischen Zahlen (frei übersetzt : geraten) und sehr viel Panikmache durch die Medien so aufgebauscht, dass hier scheinbar politische Narrenfreiheit herrscht.
  2. Adi aus Thierhaupten am 11.04.2020
    Ich finde, gerade die FDP sollte sich in der derzeitigen Krise massiv zurückhalten! Die waren es doch, die am meisten drauf gedrungen haben, dass der medizinische Sektor kostendeckend arbeiten müsse. Nur ja keine staatliche Gehaltsvorgaben für Pfleger und Schwestern, das müsse alles der verfluchte „freie Markt“ aushandeln. Das Ergebnis sehen wir jetzt: KKH’s die personell und strukturell auf Kante genäht sind. Und immer hübsch Verständnis zeigen wenn selbst systemrelevante Firmen in Billiglohnländer abwandern, weil die Menschen hier ja so unverschämte Lohnforderungen stellen. Setzen, Hagen, Sechs!!!
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