Landtag

Yvonne Hofstetter, Ursula Münch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (von links) sorgen sich um die Gefahren der digitalen Revolution. (Foto: LOH)

14.11.2014

"Wir sind nicht die Kunden, sondern die Ware"

Akademiegespräch im Landtag: Unternehmen sammeln und analysieren immer mehr Nutzerdaten - ohne neue Regeln könnte das katastrophale Konsequenzen haben

Daten sind die Währung unserer Zeit. Egal ob wir im Internet surfen oder das Smartphone benutzen – ständig werden Informationen über uns gesammelt und ausgewertet. „Damit können nicht nur unsere Vorlieben in der Vergangenheit rekonstruiert, sondern auch unser zukünftiges Handeln vorausgesagt werden“, erklärt die Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing, Ursula Münch, beim Akademiegespräch „Die Macht der Algorithmen“ im Landtag. Wer im Auto ein Restaurant für bayerische Spezialitäten suche, erklärt sie, könnte zukünftig von seinem Navigationsgerät gesagt bekommen: „Ihre Cholesterinwerte sind zu hoch, essen Sie lieber vegetarisch!“

Das Beispiel sei allerdings noch harmlos, ergänzt Yvonne Hofstetter. Die Informatikerin arbeitet bei Teramark Technologies, einem Unternehmen, welches sich auf die Auswertung großer Datenmengen spezialisiert hat. „Schon jetzt lesen Yahoo, Google und Co unsere E-Mails mit“, erläutert sie. Zusammen mit den Spuren, die wir auf Facebook, beim Einkaufen oder mit dem Smartphone hinterlassen, würden daraus Dossiers erstellt. Allein die US-Firma Acxiom habe bereits die Eigenschaften von 700 Millionen Menschen gespeichert – darunter 44 Millionen Deutsche.

Richtig ernst wird Hofstetter allerdings, wenn es ums Geld geht. Wer sich online oft vertippe, habe möglicherweise eine schlechte Schulbildung und könnte dadurch von den Banken zukünftig keinen Kredit mehr bekommen, warnt sie. Grund: „Jeder Tastenanschlag wird mitgetrackt.“ In den USA gibt es laut Hofstetter sogar Krankenversicherungen, die Anhand des Profils in sozialen Netzwerken den Beitragssatz berechnen. Wer online nicht aktiv ist, müsse einen 15-prozentigen Risikoaufschlag zahlen. Außerdem kritisiert sie den Hochfrequenzhandel, der an amerikanischen Börsen bereits 80 Prozent des Handels ausmacht. Dabei werden ebenfalls durch die Verarbeitung riesiger Datenmengen Wertpapiere innerhalb von Millisekunden – durch neue Lasertechnologien zukünftig sogar in Lichtgeschwindigkeit – gehandelt. „Das geht alles von unserer Pension runter“, schimpft sie. Doch wegen der guten Lobby breite sich die Handelsform trotz Marktversagen weiter aus.

Natürlich lässt sich die neue künstliche Intelligenz auch für gute Zwecke nutzen. So gibt es laut Hofstetter im Gesundheitsbereich bereits einen Rollstuhl, der die Gedanken von Behinderten lesen kann. Denkt dieser fest links, biege der Rollstuhl links ab, verdeutlicht sie. Das Problem dabei: „Google hat in letzter Zeit drei solche lernenden Maschinen gekauft“, klagt sie. Da zwei davon unter deutscher Beteiligung gegründet wurden, befürchtet sie einen „Braindrain“, also das Abwandern deutscher Fachkräfte ins Ausland. „Google schnappt sie alle weg, weil sie in Deutschland keine technologische Heimat haben“, mahnt sie.

Hofstetter fordert jetzt von der Politik, „neue Regeln für eine neue Zeit“ zu entwerfen. Außerdem sollte es das Recht auf Gegenleistung wie zum Beispiel Mikrozahlung für Facebook-Posts geben, damit Bürger nicht wie zu Zeiten der industriellen Revolution ausgebeutet werden. Nicht zuletzt appelliert sie aber auch an die Informatiker in Europa, eine grundrechtssichere Infrastruktur zu schaffen. Sonst seien wir nicht die Kunden, sondern bloß die Ware.

„Nach den Schilderungen wirkt Orwells 1984 wie ein Märchen“, konstatiert die Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Diskussionsrunde. Sie mahnt Bürger, sorgsamer mit ihren Daten umzugehen, aber auch Unternehmen, den Datenschutz ernster zu nehmen. „Dieser ist kein lästiges Anhängsel, sondern sorgt für Menschenwürde.“ Auch
Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) sieht es als notwendig an, dass sich die Politik mit dem Datenschutz beschäftigt. „Das Thema ist eine große Herausforderung.“ (David Lohmann)

INFO: Teilnehmer und Fachbegriffe       

Ursula Münch: Die Politologin lehrt an der Universität der Bundeswehr in München. Derzeit ist sie für ihre Tätigkeit als Direktorin der Akademie für Politische Bildung beurlaubt. Seit Oktober sitzt sie im Hochschulrat der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Yvonne Hofstetter: Die Juristin ist seit 2009 Geschäftsführerin der Teramark Technologies mit Sitz bei München. Die Firma hat sich auf die Auswertung großer Datenmengen mit lernenden Maschinen für private und staatliche Einrichtungen spezialisiert.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die frühere Bundesjustizministerin war von 2000 bis 2013 bayerische FDP-Landesvorsitzende. Sie ist Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung und Mitglied beim umstrittenen Google-Lösch-Beirat „Recht auf Vergessen“.

Data-Mining: Zu deutsch „Daten-Schürfen“. Verdecktes Sammeln von Nutzerdaten. Das Geschäftsmodell von Google, Facebook & Co für den Anzeigenverkauf.
Big Data: Ein neuer Begriff, der aber schon länger in Militärkreisen verwendet wird. Er beschreibt Technologien, die riesige Datenmengen sammeln und analysieren, die früher nicht verarbeitet werden konnten.
Algorithmen: Sie helfen, aus den Big Data neue Informationen abzuleiten. Inzwischen vergleichbar mit intelligenten Maschinen, die lernfähig sind und immer öfter alleine entscheiden.
Big Speed: Die Bezeichnung für Big Data beim Hochfrequenzhandel an amerikanischen Börsen. Wird gerne genutzt, um Aktienverläufe zu beeinflussen. Dadurch kam es seit 2006 zu 18 000 „Flash Crashs“. (LOH)

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