Landtag

Reden und Zuhören – das ist das Wichtigste, sagen Armin Nassehi, Ursula Münch, Frank Richter und Heinrich Oberreuter (von links). (Foto: Foto Landtag/Poss)

13.03.2015

"Worte öffnen Fäuste"

Akademiegespräch: Misstrauendes Volk – unverstandene Politik: Wie gefährdet ist unsere Demokratie?

Um das Fazit vorwegzunehmen: Gegen Misstrauen zwischen Volk und Politikern und überhaupt bei jeglichen Konflikten gibt es eine so wirksame wie alte Medizin: Das Gespräch. Darüber war man sich beim 50. Akademiegespräch im Landtag einig, zumindest auf dem Podium. Johann Böhm, der als Landtagspräsident die Akademiegespräche gemeinsam mit Heinrich Oberreuter 1996 aus der Taufe gehoben hatte, erinnerte sich, dass er vor allem den Abgeordneten eine Veranstaltung bieten wollte, in denen sie ihren Horizont über das Tagesgeschäft hinaus erweitern sollten.

Böhm zitierte den nicht mehr ganz so geläufigen Satz „Extra Bavaria non est vita“ und übersetzte ihn frei mit „Nirgends lebt es sich so wohlig wie bei uns.“ Er selbst habe erst im Laufe seiner politischen Karriere festgestellt, „dass die Musik nicht nur in Bayern spielt“. Die Akademiegespräche hätten dazu beigetragen, diese Erkenntnis im  Laufe der Jahre auch im Landtag zu verankern – vor allem dank Politikprofessor Oberreuter. Dieser bedankte sich, indem er leidenschaftlich für den intellektuellen Diskurs im Allgemeinen sowie für das Akademiegespräch im Besonderen warb.

Idioten gehören zum Volk

„Hätten die Menschen all dem zugehört, was wir in 50 Veranstaltungen hier im Landtag besprochen haben, stände es heute besser um die Qualität der politischen Debatte“, konstatierte Oberreuter und fügte hinzu: „Und hätten die Mitglieder des Hohen Hauses öfter zugehört, stände es heute auch besser um die Qualität der politischen Entscheidungen.“ Dass er bei solchen Sätzen stets den Schalk im Nacken trägt, war dabei nicht jedem im Saal bewusst. Das leise Murren im Publikum zeigte aber auch, dass Ironie eben nicht immer verstanden wird.

„Die Bürger erwarten heute, dass Politiker von allem alles verstehen“, sagte Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung. Ihr Hochschullehrerkollege Armin Nassehi, ein Soziologe, wünschte sich, dass sowohl Wissenschaftler als auch Politiker öfter einmal zugäben „ich weiß es nicht“, als ihre Zuhörer mit wohlklingenden Sätzen zu beruhigen. „Die Kanzlerin hat geredet, aber was hat sie gesagt?“, zitierte Oberreuter den FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube. Die Kunst der Überzeugung besteht für Nassehi nicht darin, das richtige Sachargument parat zu haben, sondern darin, „sich in sein Gegenüber hineinversetzen zu können. Und das heißt auch: den anderen ernstzunehmen“. Und damit war die Diskussion am eigentlichen Angelpunkt des Abends angelangt: Wie umgehen mit dem Phänomen Pegida?

Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, verglich die Dresdner Bewegung und ihre wöchentlichen Demonstrationen gegen eine angeblich drohende Islamisierung mit den 1968er-Aufständen in Westdeutschland: „In beiden Fällen ist eine Blase geplatzt – im Westen 25 Jahre nach Kriegsende, im Osten 25 Jahre nach der Einheit. Und in beiden Fällen verlangen Menschen, dass man ihnen zuhört.“ Pegida bündele diffuse Ängste und vertrete teils inakzeptable Positionen, „aber die ostdeutsche Gesellschaft kann durch Pegida gewinnen“, meint Richter. Voraussetzung dafür sei, dass man Pegidas Positionen ernst nehme und ihnen mit Gegenargumenten begegne. Dann werde Pegida irgendwann erkennen, „dass die Demokratie eine Problemlösungskompetenz besitzt wie keine andere Staatsform“. Es sei vielen gelernten DDRlern immer noch fremd, dass ein demokratischer Staat seine Positionen im Rahmen eines politischen Dialogs anpassen könne.

Oberreuter lobte Richter, der zu den ersten gehört hatte, die Pegida ins Gespräch mit den Medien brachten. Und er kritisierte die Gegendemonstranten: „Einen Cordon sanitaire um Pegida zu legen ohne gleichzeitig Argumente auszutauschen, das ist schlicht eitel. Worte öffnen Fäuste.“ Wer sage „mit diesen Idioten reden wir nicht“, müsse wissen: „Auch diese Idioten gehören zum Volk.“
Phänomene wie Pegida nur zur Kenntnis zu nehmen „und dann zur Tagesordnung überzugehen, diesen Fehler müssen wir vermeiden“, warnte Ursula Münch, damit aus Pegida keine Gefährdung für die Demokratie erwächst. Politische Bildung könne hier zur Aufklärung beitragen, „zum Beispiel darüber, dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Zahl der Flüchtlinge hat“. Auch warnte Münch die Parteien davor, ihre Wähler nur noch in der Mitte der Gesellschaft zu suchen. Politische Positionen müssten sich wieder deutlicher unterscheiden, „damit die Menschen nicht irgendwann die Demokratie in Frage stellen“. Hiergegen helfe indes das persönliche Gespräch. Umfragen zeigten, dass Bürgerinnen und Bürger, die einen Politiker persönlich getroffen haben, ihn und sein politisches Handeln regelmäßig positiver beurteilten als Politiker, denen sie noch nie begegnet sind. Deshalb sei es Aufgabe der politischen Bildung, Politikern „die knappste ihrer Ressourcen, die Zeit, abzuringen“ und sie ins Gespräch mit ihren Wählern und Nichtwählern zu bringen.

Dazu biete das 50. Akademiegespräch „erneut einen wunderbaren Anlass“, warb Gastgeberin und Landtagspräsidentin Barbara Stamm für den inoffiziellen Austausch im Anschluss an die Podiumsdiskussion: „Und da gehören ein gutes Glas Frankenwein oder ein schönes Helles bei uns einfach dazu.“ Ganz so unrecht hat Johann Böhm eben doch nicht. Nirgends lebt es sich so wohlig wie bei uns. (Jan Dermietzel)

ARD alpha zeigt am 21. März um 22.30 Uhr eine Aufzeichnung der Diskussion in der Reihe „Denkzeit“.

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