Leben in Bayern

Jung trifft auf Alt: In der Münchner Seniorenresidenz Tertianum sind zehn Studierende zu Gast. (Foto: David Lohmann)

29.11.2019

Austausch zwischen den Generationen

Was denken junge Menschen? Was alte? Mit großer Neugier treffen in München zehn Studierende und zehn über 80-Jährige aufeinander

Bis spät in die Nacht plaudern sie. Das Essen ist längst abgeräumt, doch die Teilnehmer des Generationendinners in München finden kein Ende. Es sind Gespräche zwischen Alt und Jung, die im Alltag selten zustande kommen. Weil die Großeltern nicht mehr leben. Oder die Enkel keine Zeit haben. Eine Erkenntnis des Abends: Manche Dinge ändern sich nicht, egal welche Generation sie betreffen.

Markus Strube kommt aus einer kleinen Familie, eigentlich einer winzigen. Mutter, Sohn. Weiter nichts. „Ich bin noch keine 30 und habe schon keine Großeltern mehr“, erzählt der Student. Aber man könnte sich seine Familie ja auch selbst zusammensuchen. WG-Mitbewohner. Gute Nachbarn, die man zum Essen einlädt, wenn zu viel gekocht wurde. Freundinnen und Freunde. „Familie ist ein dehnbarer Begriff!“

Seine Tischnachbarin Sonja Umari, 83, hört aufmerksam zu. Als sie 30 war, erzählt sie, starb ihr Vater. Aber zu wenig Familie? Das hatte sie nie. Noch heute trifft man sich alle zwei Jahre, 20 Erwachsene, viele Kinder, in der Eifel. In München allerdings hat sie keine Verwandten, aber eine Freundin, mit der sie viel unternimmt.

Flugscham? So was gab es früher nicht

Zehn Damen „ü80“ und zehn Studierende haben sich zum Generationendinner im Tertianum, einer Seniorenresidenz im Münchner Glockenbachviertel, eingefunden. Vorspeise, Hauptspeise und Dessert sind schon abgeräumt. Aber die Gespräche finden noch lange kein Ende.

Es ist das dritte Dinner dieser Art und das erste in München. Den Auftakt des Dialogs zwischen Alt und Jung hatte eine Aktion im Konstanzer Tertianum im Jahr 2017 gemacht: Ein Jahr lang lebte eine Studentin im Haus – in einer Wohnung in Bestlage. Mit hervorragendem Essen. Behaglichem Komfort. Und bezahlte mit ihrer Zeit. Zwanzig Stunden monatlich widmete die Studentin den Bewohnerinnen und Bewohnern der Residenz.

Das Tertianum setzt den Austausch zwischen den Generationen seither mit Tischgesprächen fort. In München also: Plaudereien im Kaminzimmer, ein Tannenbaum neben dem schwarzen Flügel und immer wieder Passanten, die neugierig durch die Scheiben schauen. Das ganze Gebäude ist ein gediegener Ort im Luxuspreissegment, bewohnt vor allem von älteren Damen aus München und Bayern und einigen wenigen Herren. Allesamt Singles. Altersdurchschnitt: 83 Jahre.

106 Wohnungen stehen im Tertianum zur Verfügung, zwischen 60 und 140 Quadratmeter groß. Arrangiert um einen Innenhof, in dem man an warmen Tagen essen kann. Drinnen ein kleiner Pool, ein Saal, viele Kulturveranstaltungen im Jahr. Zwei Restaurants. Auch die kleine Pflegestation für alle, die irgendwann mehr Zuwendung brauchen, wirkt eher behaglich. Das liegt auch und vor allem am Betreuungsschlüssel. Drei Vollzeitstellen sind hier einer Gruppe von zwanzig Patienten zugeordnet. Der Haken: 5200 Euro monatlich zahlt man für die einfachste Wohnung. 12 000 für eines der beiden Penthäuser. Darum wohnen hier viele Leute, die ihren Namen nicht gern auf den Türschildern sehen. Adel. Unternehmertum. Die bessere Münchner Gesellschaft.

Fehlende Großeltern, allgemeines soziales Engagement und Neugier gaben die Studierenden bei ihrer Bewerbung um einen Platz beim Dinner an. Und was erwarten sich die Seniorinnen? „Wie alte Menschen denken, weiß ich“, sagt Sonja Umari, die seit sieben Jahren im Tertianum lebt. „Mich interessiert, was junge Menschen denken.“

Die Veranstalter haben auch einen jungen Unternehmer eingeladen. Alex Westhuis produziert Hörbücher und plant einen Generationenpodcast. Einen Podcast? Die Studierenden wissen natürlich alle , was gemeint ist. Nicht aber die Bewohnerinnen der Residenz. „Eine Fernsehserie zum Hören“, erklärt Westhuis. „Global steht uns alles offen, aber wir vereinsamen“, so der Unternehmer. Die Generation der Millennials sei überfordert von all den Entscheidungen, vor denen sie stehe. Wie findet man den richtigen Partner? Wie den passenden Job? Antworten kann man sich zwar überall holen. Von Gleichaltrigen. Aus Büchern oder im Interner. Aber ist nicht besonders kostbar , was persönlich durchlebt wurde? Und wenn man aus dem Gespräch mit erfahrenen Menschen eine ganze Menge lernen kann?

„Das Interesse an uns Älteren macht glücklich“

Ums Reisen soll es an diesem Abend gehen, ums Fernweh. Über 25 Länder habe sie in ihrem Leben bereits bereist, erzählt eine alte Dame. Darunter Länder, in die früher kein Tourist seinen Fuß setzte. Eine Studentin wundert sich. Dass junge Menschen reisen, logisch. Ihr sei aber gar nicht klar gewesen, dass auch frühere Generationen so mobil waren. An einem anderen Tisch unterhält man sich rege über Flugscham. So was gab es früher nicht.

Sonja Umari hat sich zwischenzeitlich längst erkundigt, was ihr Tischherr Markus Strube so macht. Und findet es „super“. Er studiert BWL und will nach seinem Masterstudium an der privaten Fresenius Hochschule ein Café aufmachen, in dem er überschüssige Lebensmittel anbietet. So möchte er gegen die Lebensmittelverschwendung angehen. Schon jetzt sammelt Strube ehrenamtlich für die Initiative Foodsharing Lebensmittel ein, die in Geschäften nicht mehr verkauft werden können.

Die beiden sind sich einig: Es kostet Mut, ein solches Café zu eröffnen. Aber Strube findet: „Die besten Erfahrungen macht man doch, wenn man etwas nicht kennt. Dann kann man am meisten lernen.“ „Genau!“, sagt Sonja Umari. Sie erinnert sich: „Ich habe früher auch die verrücktesten Sachen gemacht.“ „Davon profitiert man“, sagt Strube. „Und ob!“, sagt Umari. „Du wagst es, für etwas einzustehen, das finde ich großartig! Das gibt Hoffnung in einer Zeit, in der jeder auf jeden schimpft.“ Keiner könne allein die Welt verändern. Noch heute, erzählt Umari, denke sie oft an das, was ihre eigene Großmutter einst sagte: „Auf jeden Einzelnen kommt es an!“

Bis elf Uhr nachts werden die beiden noch miteinander plaudern. „Zu spüren, dass junge Leute noch Interesse an uns Älteren haben – der Austausch macht glücklich“, wird auf den Fragebögen stehen, die zur Evaluation des Abends ausgeteilt wurden. Und: „Ich würde mir mehr Begegnungen von Jung und Alt im Alltag wünschen. Das Kennenlernen mit anderen Generationen bietet sich im Alltag fast nie an.“ Und eine andere alte Dame bilanziert: „Manche Dinge ändern sich nie, egal welche Generation sie betreffen.“
(Monika Goetsch)

Foto (Mike Krüger): Zwei, die sich auf Anhieb verstehen: Markus Strube und Sonja Umari.

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