Leben in Bayern

19.05.2021

Baustelle Klimawandel

Die Münchnerin Andrea Heil (28) kämpft mit ihrer Gruppe Architects for Future für eine ökologische Bauwende

Die Bauindustrie ist für 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Sie verursacht damit mehr Emissionen als der Verkehr. Ohne eine Bauwende sei Klimaneutralität deshalb nicht zu erreichen, sagt Andrea Heil, Bauingenieurin und Sprecherin von Architects for Future in Bayern. Eine der Hauptforderungen der Gruppe: Gebäude zu sanieren, statt sie abzureißen.

Wenn Andrea Heil vom Rathaus im niederländischen Venlo spricht, gerät sie richtig ins Schwärmen. Denn das Gebäude mit seiner grünen Fassade gilt als Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen. Es wurde gefertigt nach dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip, das für eine nachhaltige Wirtschaft steht, die in Kreisläufen statt linear denkt. „Am Ende kann man die Rohstoffe wieder für ein neues Gebäude entnehmen, ohne Verluste und ohne dass Müll entsteht“, erklärt die Münchner Bauingenieurin. Und das sei dringend nötig. Denn die Bauwirtschaft sei einer der maßgeblichen Faktoren bei den deutschen Treibhausgas-Emissionen, erklärt Heil.

Die 28-Jährige ist Gruppensprecherin von Architects for Future (A4F) in München und Bayern. Architects for Future wurde 2019 in Wuppertal gegründet, ist heute deutschlandweit vertreten und mit Fridays for Future solidarisch. „Wir unterstützen Fridays for Future regional bei Projekten, helfen bei der wissenschaftlichen Fundierung von Forderungen, arbeiten in der Öffentlichkeitsarbeit zusammen und sind gemeinsam im Bündnis zur Bundestagswahl“, erklärt Heil. Sie selbst engagierte sich schon früher in der Baubewegung Cradle to Cradle, die in München eng mit A4F verzahnt ist. Die 45 aktiven Mitglieder der Münchner Architects for Future treffen sich derzeit online einmal im Monat, um Projekte zu entwickeln. Weitere Gruppen gibt es in Augsburg und Nürnberg, in Ingolstadt ist eine geplant.

In einer Petition, die bereits die 60 000 nötigen Unterschriften erreicht hat, fordert Architects for Future in Deutschland den Bundestag zu einer nachhaltigen Bauwende auf. „Ohne die geht es nicht, wenn wir klimaneutral werden wollen“, so Heil. „Wir schreiben zudem viele Stellungnahmen, etwa zur Novelle der Bayerischen Bauordnung, zum Gebäudeenergiegesetz oder zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.“ Auch lokal bezieht die Gruppe Stellung zu geplanten Bauprojekten oder Abrissmaßnahmen. In Webinaren informieren die Mitglieder überdies Architekt*innen und Interessierte über den neusten Stand beim nachhaltigen Bauen.

Was den wenigsten wohl bewusst ist: Die deutsche Bauindustrie sei für sage und schreibe 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich, betont Heil. Der Verkehr sei für nur halb so viel CO2-Ausstoß verantwortlich. Heil: „Zement, der 95 Prozent der CO2-Emissionen bei der Betonherstellung ausmacht, verursacht weltweit drei- bis viermal so viel CO2 wie der Flugverkehr.“ Dazu komme der Flächenfraß durch Deponien und Kiesabbau, der in Bayern besonders stark betrieben werde. Außerdem seien 60 Prozent des deutschen Abfallaufkommens Bau- und Abbruchabfälle. „Abfall aber ist ein Designfehler“, betont Heil. Schon beim Bauen sollte an die Wiederverwertung gedacht werden. Eine der Hauptforderungen von Architects for Future ist daher, Gebäude zu sanieren, statt sie abzureißen.

Am Beispiel des Rathauses von Venlo zeigten sich die Vorzüge des nachhaltigen Bauens, erklärt Heil. Im Innenraum gebe es sehr viele grüne Wände, die die Luft befeuchten und reinigen. „Die Fassadenbegrünung außen ist ein Feinstaubfilter, gibt gute Luft an die Umwelt ab und bietet gleichzeitig Lebensraum für verschiedene Tiere.“ Architektur und die Materialien sorgten dafür, dass man sich wohlfühlt. Das Gebäude trage nachweislich dazu bei, dass die Menschen seltener krank werden, so Heil. „Dadurch spare ich Kosten ein, die ich wiederum für gute Baumaterialien verwenden kann.“ Außerdem könne man die Wertstoffe am Ende verkaufen und müsse nicht für die Müllentsorgung zahlen.

Problem: Sanierungen sind meist teurer als ein Abriss

In Berlin gibt es schon Beispiele für eine Sanierung nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, auch in Essen mit der Zeche Zollverein. In Hamburg, Wolfsburg und Düsseldorf sind Gebäude nach dem Kreislaufprinzip geplant oder im Bau. „In Bayern aber ist mir derzeit noch nichts bekannt“, bedauert Heil. „Da müssen wir nachziehen.“

Ein Hindernisgrund: Sanierungen sind meist teurer als ein Abriss. Architects for Future fordert deshalb eine neue Umbauordnung, die an einen Umbau andere Maßstäbe als an einen Neubau anlegt. „Wenn ich in München beispielsweise zwei neue Geschosse auf ein Haus baue, brauche ich auch mehr Autostellplätze“, erklärt Heil. Sonst wird eine Gebühr fällig. Platz für Stellplätze in München ist aber rar. „Also reißt man das lieber ab und baut dann eine riesige Tiefgarage für die nötigen Stellplätze.“

Die berufliche Beschäftigung mit dem Thema wirke sich auch auf das Privatleben aus, erzählt die Bauingenieurin und lacht. „Ich habe einen Balkon voller Kräuter und Pflanzen, achte auf gesunde Baustoffe, vermeide Pressspan und kaufe Second-Hand-Kleidung, bei der die Schadstoffe schon ausgewaschen sind.“ Und natürlich kaufe sie auch im Bio-Markt möglichst verpackungsfrei ein. „Aber wenn es mal nicht geht, geht es eben nicht“, so Heil. „Und meine Putzmittel stelle ich auch nicht selbst her“, sagt sie. „Da finde ich die Zeit besser investiert, wenn ich für Architects for Future arbeite.“ Es ist ein ehrenamtliches Engagement, das außerhalb der Arbeitszeit läuft.

Bei einem Abriss wird jede Menge CO2 freigesetzt

Für manche ihrer Forderungen erhalten Heil und ihre Mitstreiter Unterstützung von der Wirtschaft. „Wir haben einen engen Austausch mit der Bayerischen Architektenkammer“, freut sich die Bauingenieurin. Gemeinsam fordere man zum Beispiel, dass die graue Energie, also der CO2-Ausstoß, der bei einem Abriss anfällt, in die Klimabilanz bei der Herstellung des neuen Gebäudes miteinberechnet werde. Außerdem plädiert Architects for Future dafür, einen Gebäudepass einzuführen, der dokumentiert, welche Materialien in einem Haus stecken. „Wenn man das nicht weiß, macht man bei einer Sanierung eine Wand nach der anderen auf und erlebt sehr oft böse Überraschungen“, so Heil. Das sei neben den Kosten einer der Gründe, warum oft lieber gleich neu gebaut werde.

Heil hat Hoffnung, dass sich der Nachhaltigkeitsgedanke in Bayern auch beim Bauen bald stärker durchsetzen wird. Der Koalitionsvertrag von Grün-Rot in München enthalte bereits einige Elemente, auch das Cradle-to-Cradle-Prinzip stehe dort drin. Und es habe seit der Gründung der Münchner A4F-Gruppe schon zahlreiche Stadtratsanträge zu kreislaufgerechtem Bauen oder klimafreundlichem Bauen gegeben. Auch Materialausweise seien schon gefordert worden.

„Jeder möchte schließlich gerne in einem gesunden Haus oder einer Wohnung wohnen“, ist sich Heil sicher. Sie wünscht sich, dass Bayern ein Innovationsstandort für kreislauffähige Produkte wird. „So ein Know-how kann man schließlich auch exportieren.“
(Lucia Glahn)

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