Leben in Bayern

In Limmersdorf tanzen erst die jungen Mädchen und Burschen um den Stamm – dann sind auch die Gäste dran. Fotos: Ulrich Traub

10.06.2022

Der Baum der Liebe lädt zum Tanz

Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause lebt in der Fränkischen Schweiz die alte Tradition der Lindenkirchweih wieder auf

Sie sind heute nur noch ganz selten zu finden: Tanzlinden. Besonders schön und gewaltig: der Baum in Peesten in der Fränkischen Schweiz. Endlich tanzen im Juni nach zwei Jahren Corona-Pause wieder Burschen und Mädchen in drei Metern Höhe um den Stamm. Und auch in Limmersdorf findet dieses alte Traditionsfest wieder statt. Die dortige Lindenkirchweih zählt sogar zum Unesco-Kulturerbe.

Dieser Baum ist prominent, sehr prominent sogar. Und fotogen. Er ziert Bildbände und Kalender und wurde von National Geographic zu einem der zehn bemerkenswertesten Bäume der Welt gewählt – als einziger Vertreter aus Europa. Er sieht aber nicht nur gut aus, sondern ist auch von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung.

Peesten in der Fränkischen Schweiz ist ein Dorf wie viele, wäre da nicht dieses grüne Monument, das neben der alten Kirche aufragt. Ein gewaltiger Kubus, getragen von Sandsteinsäulen und überragt von einem schmaleren Teil, das den seltsamen Baum krönt wie ein Dutt. In die grünen Laubwände sind mehrere fenstergroße Öffnungen geschnitten. Seitlich führt eine repräsentativ geschwungene Steintreppe, ja, wohin eigentlich?

Helga Dressel weiß Rat: „Dieser Baum ist eine der heute ganz seltenen Tanzlinden. Gehen Sie doch mal nach oben“, empfiehlt sie. Als man jung war, ist man auf die Bäume geklettert, in Peesten schreitet man nun staunend und ein wenig ungläubig nicht weniger als 22 Stufen hinauf. Sie führen auf einen großen Eichenholzboden, der um den gewaltigen Stamm der Linde verlegt worden ist. Hier befindet sich mitten im Baum quasi ein knapp 90 Quadratmeter großer Saal in drei Metern Höhe.

„Unsere Linde ist der Dorfmittelpunkt“, erklärt Helga Dressel, die den Förderkreis Tanzlinde Peesten mitbegründet hat. Zur Kirchweih, die man hier Kerwa nennt, hat sie ihren großen Auftritt, immer am zweiten Juniwochenende. Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause findet die Lindenkerwa an diesem Wochenende endlich wieder statt. „Dann wird auf der Linde getanzt, nicht unter ihr.“

Herzförmige Blätter: Linden gelten als Symbol der Liebe

Als die alte Linde aus dem 16. Jahrhundert 1947 gefällt werden musste, musste natürlich eine neue her. Wieder wurde ein Baum gepflanzt. Der war aber noch lange keine Tanzlinde. Dafür bedurfte es besonderer Kunstfertigkeiten, vieler ehrenamtlicher Helfenden und sehr viel Zeit, erinnert sich die Peestenerin. „Erst einmal mussten ja die jungen Äste in die Breite zu einem waagerechten Laubdach gezogen und dann gestützt werden.“ Das Leiten der Äste und der Baumschnitt waren weitere regelmäßige Arbeiten. Aber erst nach rund 50 Jahren konnte wieder eine Holzkonstruktion eingezogen werden, auf der seither getanzt wird. „Aber nicht nur“, betont die engagierte Dame. Es fänden auch Musik- und Theateraufführungen statt. „Und natürlich der Festgottesdienst, mit dem die Kerwa eröffnet wird.“ Anders als in den beiden benachbarten Tanzlinden-Orten, Langenstadt und Limmersdorf, bleibt in Peesten der Boden das ganze Jahr in der Linde. „Der Baum ist für uns identitätsstiftend“, sagt Helga Dressel.

Identitätsstiftend ist die Linde aber auch für die Menschen in Limmersdorf. Immerhin hat es die Lindenkirchweih 2014 sogar auf die bundesweite Liste des immateriellen Kulturerbes geschafft. Weil die Tradition in Limmersdorf am konsequentesten aufrechterhalten wurde. Doch auch in dem oberfränkischen Ort musste die Lindenkirchweih Corona-Zwangspause machen. Vor der Pandemie ist die seit 1729 gefeierte Kerwa nur während des Zweiten Weltkriegs und 1949 wegen einer Polioepidemie ausgefallen. Heuer aber findet auch sie wieder statt: vom 27. bis 30. August. In Limmersdorf wird immer noch auf der Linde, die Ende des 17. Jahrhunderts gepflanzt worden ist, getanzt. Die erste Kerwa hat zur Einweihung der Kirche stattgefunden. Damit die Tradition des Tanzes auf der Linde weiterleben kann, hat man schon vor Jahren eine zweite Linde gepflanzt, die soll in ein paar Jahren die altgediente ablösen.

Alter Glaube: Die Götter wohnen oben in der Linde

Die Tradition will, dass unverheiratete Burschen die ledigen Mädchen von zu Hause abholen; gemeinsam ziehen sie dann von Musik begleitet durch das Dorf zum Lindenplatz. In Tracht, versteht sich. Und dann wird erst einmal ein wilder Reigen aufgeführt. Immer rund um den mächtigen Stamm, dessen Umfang nicht weniger als fünf Meter misst. Danach geht es schnellen Schrittes und Hand in Hand über die Treppe auf den Tanzboden in vier Metern Höhe. Die ausgelassenen Tänze oben sind vor allem ein Um-den-Lindenstamm-Wirbeln, schnelle Richtungswechsel und ständige Kreisbewegungen inklusive. Bei der letzten Lindenkirchweih wurde es einem schon vom Zusehen fast schwindlig. Die Kerwa-Baum und -Madl strahlen und schwitzen um die Wette. Und nach ein paar Minuten ist alles auch schon wieder vorbei. Denn nach dem Tanz beginnt die Arbeit für die sogenannten Platzpaare. „Sie sind traditionell die Organisatoren der Kerwa“, erklärt Veit Pöhlmann vom Förderverein der Limmersdorfer Lindenkirchweih-Tradition. Zu ihren Aufgaben gehört auch, für das leibliche Wohl zu sorgen. Und während die Kerwa-Buben und -Mädel die Bier- und Würstelversorgung sicherstellen, können die ersten Gäste den Tanzboden erklimmen. „Wir legen Wert darauf, die Tradition zu pflegen und nicht den Kommerz“, betont Pöhlmann. Dazu gehört es eben schon seit Langem, dass die jährlich wechselnden Platzpaare die Kirchweih durchführen.

Aber warum wird eigentlich auf der Linde getanzt? Veit Pöhlmann empfiehlt den Besuch im Lindenbaum-Museum in der nahegelegenen Gemeinde Neudrossenfeld. Dort erfährt man: Die Verehrung des Baumes, ein Ort des Kultes, reicht bis in die vorchristliche Zeit zurück. Wegen des herzförmigen Blattes galt die Linde als Baum der Liebe, später wurde sie sogar als heilig angesehen. Unter Linden wurde Recht gesprochen und gefeiert – am Hof, auf dem Dorf und in der Stadt. „Geleitete Linden“ oder „Stufenlinden“, die von Menschen geformt wurden, sind seit über 1000 Jahren nachweisbar.

Und schon früh muss sich auch das Geschehen sozusagen in die obere Etage verlagert haben, wie Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren und Städteansichten von Matthäus Merian belegen. Weil man glaubte, dass unten Dämonen wohnen. Und wer will schon mit denen ein Tänzchen wagen? Ganz oben in der Linde hingegen sollten die Götter wohnen, so der damalige Glaube.
(Ulrich Traub)

Foto im Text: Die Peestener Linde wartet auf ihre Kirchweih-Gäste

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