Leben in Bayern

Romina Grolla war bis Anfang des Jahres in der Krisenregion im Nordirak. Dort erklärte sie Soldaten die Waffen aus Deutschland. (Foto: Hans-Rudolf Schulz)

14.09.2018

Die bayerische Raketenfrau

Von der Mädchenschule zur Bundeswehr: Romina Grolla wartet als einzige Soldatin in Deutschland die Panzerabwehrwaffen Milan und Tow

Es war eine Entscheidung nach dem Coolnessfaktor. Als Romina Grolla nach dem Einstellungstest der Bundeswehr gefragt wurde, ob sie sich lieber mit Fernmeldetechnik oder Panzerabwehrraketensystemen beschäftigen wolle, überlegte sie nicht lange. „Ich dachte: Wenn ich in 20 Jahren beim Klassentreffen bin, hört sich ein Job mit Raketen eindeutig besser an“, erinnert sich die 30-Jährige und grinst.

Damals war sie gerade mal 18 Jahre alt, liebte Pferde und kam direkt von der Katholischen Mädchenschule in Altötting zur Armee. Bereut hat die Bayerin aus Burgkirchen an der Alz diese Bauchentscheidung nie. Sie behauptete sich in der Männerdomäne: Grolla ist die einzige Soldatin, die bei der Bundeswehr die Panzerabwehrwaffen Milan und Tow instand setzt – und im Nordirak Peschmerga-Kämpfer ausbildet. Das macht die 1,74 Meter große Frau mit den blonden langen Haaren zur Vorzeigekandidatin.

Denn Frauen sind zwar keine Seltenheit mehr bei der Bundeswehr – von den knapp 180 000 Soldaten sind aktuell fast 21 300 weiblich. Mit ihrer Karriere im Technikbereich ist Hauptfeldwebel Grolla aber noch immer eine Exotin: Knapp 40 Prozent der Soldatinnen gehören dem Sanitätsdienst an. Ein typischer Frauenberuf eben.

Der Vater lachte sie aus, als sie sich verpflichtete

Grolla sitzt im Feldanzug im Stabsgebäude der Gebirgsjägerbrigade 23 in der Hochstaufenkaserne in Bad Reichenhall. Draußen Bergpanorama, drinnen Linoleum. Im Rückblick kann sie ihre Laufbahn manchmal kaum fassen. „Im Sportunterricht war ich die Königin der Entschuldigungsschreiben und wenn’s auf den Berg ging, habe ich schon nach fünf Minuten gefragt, ob wir nicht das Auto nehmen können.“ Ihr Umgangston ist locker – obwohl ein Presseoffizier das Gespräch aufmerksam verfolgt.
Von Soldaten hielt Grolla als Mädchen nicht viel: „Ich dachte, das sind eh nur rangelnde Männer.“ Für eine befreundete Zahnarzthelferin, die zur Bundeswehr ging, hatte sie zunächst nur Spott übrig. „Ich habe gefragt, ob sie dem Feind Zahnpasta ins Auge spritzen wolle.“ Einmal selbst der Truppe anzugehören? „No way.“

Doch der Schritt ihrer Bekannten ließ sie nicht los. „Ich hatte schlicht keine Ahnung, wie viele Berufe hier gefragt sind“, erzählt Grolla. Ihre Mutter habe sie dann zu einer Ausbildungsmesse in Mühldorf geschleppt. Kurz darauf verpflichtete sie sich für 16 Jahre, landete beim Heer und machte eine Ausbildung mit staatlichem Abschluss zur Elektronikerin für Geräte und Systeme.

„Mach das, Mädel“, unterstützte die Mutter sie. „Hätte Mama selbst diese Möglichkeit gehabt, wäre sie nicht Sekretärin geworden.“ Und der Vater? „Hat mich ausgelacht“, sagt die 30-Jährige und ihr Blick verdunkelt sich für eine Sekunde. Mittlerweile sei ihr klar, dass ihre Berufswahl auch eng mit dem Verhältnis zum Vater, einem Elektroingenieur, verknüpft war. „Ich wollte mit meinem Papa eine Kommunikationsebene haben, fachliche Gespräche führen. Ihm zeigen, dass ich erwachsen geworden bin.“ Direkt gezeigt hat er seinen Stolz seiner Romi, wie sie Familie und Freunde nennen, zu Lebzeiten nie. Nur gegenüber Dritten äußerte er Lob. Beide Eltern starben früh.

Beweisen muss sich Grolla selbst nichts mehr. Anderen schon. Kameraden unterschätzten die junge Frau gerne mal. „Wenn ein Soldat bei einer Unterweisung denkt, er braucht mich nicht, warte ich einfach ab. Irgendwann kommen alle mit fragendem Blick und bitten um Hilfe.“ Dass im Berufsalltag der Umgangston manchmal rauer ist, stört Grolla nicht. „Mir war schon klar, dass es hier anders zugeht als im Nagelstudio. Aber ich sage nur: Auch Männer können tratschen.“ Und andersherum: „Das Schlimmste an meiner Grundausbildung war eine Frau.“

Aus der Bahn, das merkt man ihr an, wirft die 30-Jährige so schnell nichts. Selbstbewusstsein gehört zu ihrem Job allein unter Männern. Mit zwei weiteren Kollegen des Gebirgsversorgungsbataillons 8 kümmert sie sich an den Standorten Bad Reichenhall, Mittenwald und Füssen um die Wartung der Waffensysteme Tow und Milan. Immer wieder ist sie mit ihrer mobilen Werkstatt aber auch bei Manövern unterwegs. Jüngst bei der multinationalen Übung „Hedgehog“ im Süden Estlands. Vor jedem scharfen Schuss prüft die Expertin die Waffen. „Die Funktionsweise und die Reichweite beider drahtgelenkter Systeme sind ganz ähnlich. Bei beiden kann die Flugrichtung durch elektronische Impulse nach dem Abschuss noch beeinflusst werden, beide können immensen Schaden anrichten“, erklärt Grolla.

Das amerikanische Waffensystem Tow wiegt 110 Kilogramm, hat eine Reichweite von 3000 Metern und wird auf das Kettenfahrzeug Wiesel montiert. Die knapp 30 Kilo schwere deutsch-französische Panzerabwehrlenkrakete Milan wird von den Soldaten meist getragen. Sie hat eine Reichweite von 2000 Metern. Die kurdischen Peschmerga-Soldaten im Nordirak feuern die von Deutschland aus Bundeswehrbeständen gelieferte Lenkrakete als Wunderwaffe im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. „Manche nennen sogar ihre Kinder Milan“, erzählt Grolla. Im Januar kam sie von einem viermonatigen Einsatz aus der Krisenregion zurück.

Skepsis von kurdischen Widerstandskämpfern gegenüber einer Frau

„Eigentlich war ich für Mali eingeplant, genauso wie mein Verlobter.“ Zwei Monate vor dem Abflug nach Gao wurde der Plan geändert und die Waffenexpertin vergangenen September als Einzelabstellung in den Irak geschickt. „Da habe ich schon erstmal geschluckt. Aber mir war klar: Wenn wir diese Zeit überstehen, dann passen wir wirklich zueinander.“ Angst um sich oder ihren Partner habe sie in der Zeit nicht gehabt. „Wenn man bei der Bundeswehr ist, ist es etwas leichter, nicht gleich immer in Gedanken ein Worst-Case-Szenario zu formen, wenn man sich ein paar Tage nicht hört“, sagt Grolla, die 2010 bereits im Kosovo war.

Auf dem Stützpunkt in Erbil zeigte sie als Mitglied der sogenannten Military Training Unit (MTU) den kurdischen Widerstandskämpfern, wie die Waffe aufgebaut und Fehler behoben werden können. „Natürlich gab es da anfangs skeptische Blicke. Denn Frauen stehen dort in der Regel nicht am Rednerpult, sondern hinterm Herd“, sagt Grolla. Aber schnell hatte sie sich den Respekt verdient: Von den Pesch-merga gab es zum Abschied eine Schatulle mit einem silbernen Schriftzug in kurdischer Schrift. Er steht in ihrer Werkstatt. „Grob übersetzt heißt das so viel wie: Danke für die Ausbildung. Milan ist toll.“

Bei der Frage, ob sie auch manchmal den Sinn der Bundeswehr-Einsätze hinterfragt, zögert Grolla. Dafür springt der Presseoffizier ein: Es sei die Politik, die dies bewerten müsse. Die Soldatin ergänzt: „Ich sehe mich als Unterstützerin für meine Kameraden. Damit sie funktionierende Waffen haben und im Ernstfall ihr Leben verteidigen können.“ An der Tür ihres Büros hängt eine Postkarte mit der Aufschrift: „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.“

Die „Firma“, wie sie die Bundeswehr nennt, ist nach fast zwölf Jahren auch ein Stück Heimat für Grolla geworden. Sie kämpft gegen die Vorurteile an, die sie früher selbst hatte – und für mehr Frauen bei den Streitkräften. „Das würde der Truppe guttun. Weil unser Führungsstil anders ist und gemischte Teams sich besser ergänzen.“ Die Bundeswehr sei inzwischen auch für „Mädels“ ein ganz normaler Arbeitgeber. Fast. Denn wer sich für eine Laufbahn bei ihr entscheide, müsse sich natürlich bewusst sein, dass dies Auslandseinsätze, Versetzungen und auch Gefahren berge. „Man muss sich definitiv vorher Gedanken machen, ob man mit diesen Gegebenheiten umgehen kann und möchte.“

Grolla hofft, spätestens in vier Jahren als Berufssoldatin vereidigt zu werden. „Ich denke, dass wir es schaffen, die Bundeswehr mit der Familienplanung vereinbaren zu können.“ Milan-Lenkraketen wird sie aber wohl nicht auf ewig reparieren. Bevor die in die Jahre gekommenen Waffensysteme eingemottet werden, würde sie gerne eine Richtschützenausbildung machen. Denn obwohl sie das Panzerabwehrraketensystem in- und auswendig kennt – scharf geschossen hat sie damit noch kein einziges Mal.
(Ruth van Doornik)

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