Leben in Bayern

Die Aufgabe von Corona-Ermittlern ist es, Quarantäne-Maßnahmen zu verhängen und Kontaktpersonen zu identifizieren. (Foto: dpa/Marijan Murat)

10.07.2020

Die Corona-Detektive

500 Contact Tracing Teams spüren in mühevoller Kleinarbeit Infizierte im Freistaat auf

Der Begriff klingt nach Detektivarbeit. Oder nach dem Titel einer US-Serie. Aber wenn Ludwig Ossiander und Marc Löchner von ihrer derzeitigen Hauptbeschäftigung erzählen, verfliegt der Hauch von Hollywood schnell. Ossiander ist Koordinator der Contact Tracing Teams (CTT) im Landkreis Freising, während Löchner die vier CTTs im Landkreis Neu-Ulm koordiniert. Eine Aufgabe, die eng mit der Corona-Pandemie zusammenhängt. Es geht um die Ermittlung und Nachverfolgung von Menschen, die Kontakt mit Infizierten hatten, sowie um die Verhängung von Quarantäne-Maßnahmen. So will man Infektionsketten zurückverfolgen, unterbrechen und damit die Pandemie insgesamt eindämmen.

Rund 500 solcher Teams, bestehend aus mehr als 2500 Beschäftigten aus der gesamten Staatsverwaltung, waren Mitte Mai an Gesundheitsämtern in ganz Bayern aktiv. Hauptsächlich Beamtenanwärter, aber auch Medizinstudenten und Mitarbeiter der jeweiligen Kommunen sind in den CTT im Einsatz. Ihr wichtigstes Arbeitsmittel: das Telefon, um die Spuren des Virus zu verfolgen. Wann hatte der Infizierte erste Krankheitssymptome? Mit wem hatte er ab diesem Zeitpunkt und in den beiden Tagen davor engeren Kontakt – etwa ein Gespräch, das länger als 15 Minuten dauerte, mit einem Abstand von weniger als zwei Metern? Genau das sind Kriterien für eine sogenannte Kontaktperson ersten Grades, die dann ebenso für 14 Tage in Quarantäne muss wie alle, mit denen ein Infizierter in einem Haushalt lebt. Im Durchschnitt, sagt Ossiander, sei man bisher pro Infektion auf 3,5 solcher Kontaktpersonen gestoßen. 

Bis Ende April war diese Nachverfolgung ziemlich einfach, weil die meisten ohnehin brav zu Hause ausharrten und sich höchstens zum Arbeiten, Einkaufen oder zu einem Spaziergang vor die Tür wagten. Doch nach den Lockerungen änderte sich das: Zwar sinkt die Zahl der Infektionen, doch die Menge an Kontaktpersonen steigt. Umso wichtiger sei es, letztere möglichst schnell ausfindig zu machen, um größere Ausbrüche zu verhindern. 

Marc Löchner beobachtet Ähnliches. Er erzählt von einer vierköpfigen Familie, die in den Pfingstferien im Kosovo gewesen ist, einem Risikogebiet. Nach der Rückkehr, als die Schule wieder begonnen hat, wurde zunächst bei den Eltern, dann auch bei den Kindern eine Corona-Infektion festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie im Landkreis Neu-Ulm schon mit Dutzenden von Menschen zu tun gehabt, mit fatalen Folgen. „Da hatten wir innerhalb von vier Tagen rund 100 Kontaktpersonen“, erinnert sich Löchner. „Das geht so was von schnell.“ Viel Arbeit für ihn und seine insgesamt 20 CTT-Mitarbeiter*innen, die sich auf vier Teams verteilen. Jeweils eines macht eine Woche Dienst im Gesundheitsamt, dann wird gewechselt. 

Inzwischen ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Sieben Infizierte betreuen die Neu-Ulmer CTTler zurzeit, dazu die jeweiligen Kontaktpersonen. Jeder wird täglich angerufen. Nicht nur deshalb, um zu überprüfen, ob die Betroffenen die Quarantäne tatsächlich einhalten. Sondern auch, um nach Symptomen zu fragen, sodass man bei Bedarf rechtzeitig die Einweisung in eine Klinik veranlassen kann. Und vor allem als psychologische Stütze. „Wir wollen den Menschen das Gefühl geben, dass man sich um sie kümmert, dass sie nicht allein sind“, sagt Löchner.

Symptome zeigen sich bisweilen erst spät

Wie wichtig diese moralische Hilfe ist, weiß er aus eigener Erfahrung: Mitte März gehörte er selbst zu den Kontaktpersonen ersten Grades, weil er als Helfer bei der Kommunalwahl mit einem infizierten Wahlvorstand in einem Raum gewesen war. 14 Tage musste er daraufhin zu Hause bleiben. Symptome blieben glücklicherweise aus. Gerade die zweite Quarantäne-Woche sei schwierig gewesen, erinnert er sich: die wachsende Sehnsucht nach Bewegung unter freiem Himmel, nach Begegnungen mit Menschen. 

Ludwig Ossiander kennt diese Reaktion. Bei Kontaktpersonen, die keine Symptome zeigten und bei denen ein Test negativ ausfalle, sei es oft am schwersten, sagt er: „Da lässt die Akzeptanz schnell nach. Ab der Hälfte der Quarantäne wollen einige nachverhandeln.“ Eigentlich sei doch alles gut, eigentlich könne man doch wieder raus, schließlich sei man mit dem Infizierten gar nicht so lange in einem Raum gewesen – solche Sätze hört er immer wieder. Geduldig wiederholt er dann, dass die 14 Tage unbedingt eingehalten werden müssen. Erzählt davon, dass sich bei manchen Betroffenen erst spät Krankheitsanzeichen zeigten: „Wir hatten schon Leute, die erst am zwölften Tag Symptome entwickelt haben.“

Elf Menschen sind derzeit im Landkreis Freising in Quarantäne, um die sich der Koordinator und die neun CTT-Mitarbeiter kümmern. Wenig im Vergleich zur Situation Ende März, als man es mit mehr als 60 Fällen pro Tag zu tun hatte. Dennoch ist der Freisinger Koordinator nicht frei von Sorgen. Wegen der Lockerungen werde die Nachverfolgung schwieriger – „viele wissen gar nicht, wo sie sich angesteckt haben“. Und: Je weniger Fälle es gebe, desto geringer sei die Einsicht. Die meisten Betroffenen seien zwar vernünftig, sagt er, „aber in manchen Telefonaten muss ich schon sehr deutlich werden“.

Bisher reichte das. Und gelegentlich sind sogar wundersame Wandlungen zu erleben. Wie bei jenem Mann, der als Kontaktperson galt, im Gespräch mit Ludwig Ossiander jedoch die Existenz von Corona rundweg bestritt: „Das Virus gibt’s doch gar nicht.“ Dann allerdings stellte sich Fieber ein – und plötzlich, erzählt der Koordinator, „war der Mann handzahm“. (Brigitte Degelmann)

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