Leben in Bayern

Erkrankt ein Patient schwer an Corona sind bleibende Schäden nicht ausgeschlossen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

22.07.2020

Ein halbes Jahr Corona: Sorge um eine neue Welle

Befürchtet wurde es schon zuvor, Ende Januar kam dann die Nachricht: Es gibt einen ersten Coronavirus-Fall in Deutschland. Ein halbes Jahr später hat das Virus das Leben radikal verändert. Die bange Frage: Wie wird es weitergehen?

Vor den Apotheken standen Menschen Schlange. Atemmasken waren ausverkauft. Wer Glück hatte, ergatterte noch Desinfektionsmittel. Cafés waren wie ausgestorben. Spätnachts am 27. Januar hatte das bayerische Gesundheitsministerium den bundesweit ersten Corona-Fall bekanntgegeben. Es war ein Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Stockdorf bei München. An den Tagen darauf herrschte in diesem Ortsteil von Gauting Ausnahmezustand.

Arztpraxen in Stockdorf mit seinen rund 4000 Einwohnern berichteten von besorgten Anrufen von Patienten - viele Mediziner hielten das damals für übertrieben. Die Leute benähmen sich, als sei die Pest ausgebrochen, schimpfte ein Hausarzt. Ein halbes Jahr später tragen Ärzte in ganz Deutschland in der Sprechstunde Mund-Nasen-Schutz, halten Abstand und bestellen Patienten mit Fieber isoliert von den anderen ein. Die Wirtschaft ist nach dem mehrwöchigen Lockdown schwer angeschlagen. Deutschlandweit starben bislang mehr als 9000 Corona-Infizierte, weltweit inzwischen sogar über 600 000.

Den ersten infizierten Mitarbeitern der Firma Webasto - am Ende waren es 14, die in Bayern behandelt wurden - ging es allerdings gut. Sie seien "pumperlgesund", sagte damals Clemens Wendtner, Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, wo die Patienten fast symptomfrei auf der Isolierstation landeten. Seine Einschätzung zu den allerersten Patienten mit ausschließlich leichten Grippesymptomen damals: Nicht schlimmer als die Influenza.

Inzwischen hat Wendtner Hunderte Patienten behandelt - und die Welt lernt fast täglich mehr über die Lungenkrankheit Covid-19. Bleibende Schäden seien nicht ausgeschlossen, sagt Wendtner heute. Er spricht von der Covid-Lunge - bei vielen Patienten ist auch Monate nach der Genesung die Lunge noch nicht voll funktionsfähig. Einer der erkrankten Mitarbeiter von Webasto leidet bis heute an Geschmackstörungen - ebenfalls eine Folge. Das Virus greift auch Nervenbahnen an. Manche erlitten in der akuten Phase Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenembolien, Thrombosen oder Nierenversagen.

Infektiologe: "Ich sehe schon ein bisschen das Wasser sich kräuseln"

"Unzweifelhaft ist Covid-19 eine Systemerkrankung", sagt Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Das Virus könne letztlich jede Zelle des Körpers befallen. Für Aussagen über Spätfolgen sei es sehr früh. "Man muss jetzt sehr sorgsam die Menschen nachverfolgen und sehen: Wie geht es im Rahmen der Konvaleszenz voran?" Gerade bei Menschen mit sehr schwerem Verlauf könne die Gesundung viele Monate dauern. Manche waren allein schon mehrere Monate im Krankenhaus.

"Jeder, der Covid-19 durchgemacht hat, ist ein warnendes Beispiel für Impfgegner", sagt Wendtner. "Keiner wäre heute so vermessen zu sagen: Wir haben damals alles richtig gemacht." Er sorgt sich um die Sorglosigkeit der Menschen - und fürchtet mit Blick über die Grenzen hinaus eine neue Welle. "Ich sehe schon ein bisschen das Wasser sich kräuseln. Ob es eine große Welle wird, wird man sehen." Umso wichtiger sei Solidarität der Menschen bei der Einhaltung von Schutzmaßnahmen wie Hygiene, Abstand und Maskenpflicht. Davon hänge ab, wie schnell sich das Virus ausbreite, wenn der Sommereffekt - Wärme, UV-Licht und mehr Abstand draußen - wegfalle.

Webasto hat vor einem halben Jahr erfolgreich vorgemacht, wie man das Virus besiegen kann: mit einer kompletten Unterbrechung aller Kontakte, bei denen die Infektion übertragen werden kann. Eine chinesische Kollegin hatte das Virus bei einer Dienstreise unwissentlich eingeschleppt. Kurz nach Bekanntwerden der Infektionen schloss das Unternehmen den Standort Stockdorf für 14 Tage. Nach dem eilig verkündeten Shutdown holten Mitarbeiter noch rasch Laptops von ihren Arbeitsplätzen - und die für den nächsten Tag mitgebrachte Brotzeit.

Das schien damals eine lange Zeit. Inzwischen arbeiten bei vielen Firmen die Mitarbeiter seit Monaten von zuhause aus. Und das Ende der Pandemie ist nicht absehbar. Im April sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, die Menschen könnten auf absehbare Zeit nicht zum normalen Leben zurückkehren; sondern müssten soziale Distanz leben.

Die Hoffnung ruht vor allem auf einer Impfung. Es gibt ermutigende erste Ergebnisse. Trotzdem erwarten Experten einen zugelassenen Impfstoff frühestens im Lauf des nächsten Jahres. Parallel wird weiter an Medikamenten gearbeitet. Bisher ist nur das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Mittel Remdesivir für Covid-19 in der EU zugelassen - ein erster Schritt, aber kein Allheilmittel.
Sorge bereitet Ärzten ein mögliches Zusammentreffen der üblichen Grippewelle im Winter mit einer neuen Corona-Welle, wie es auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürchtet. Es wäre eine Zerreißprobe für das Gesundheitssystem. Wendtner rät deshalb gerade dieses Jahr zur Grippeimpfung.

"Wir werden Covid-19 weiter in das Jahr 2021 tragen", sagt Wendtner. Ob all die vielen auf 2021 verschobenen Veranstaltungen von den Olympischen Spielen bis zum Oktoberfest dann wie früher stattfinden können, sei offen. "Da sind Fragezeichen dahinter."

Er appelliert an die Verantwortlichen, Lehren zu ziehen aus der Pandemie: Mehr Schutzkleidung, rasch verfügbare Betten in den Kliniken - und mehr Medikamente sowie Chemikalien für Tests aus dem eigenen Land. "Wir haben durch die Pandemie gelernt, dass eine Resilienz - die Fähigkeit, eine Krise zu überstehen - auch im Gesundheitswesen nötig ist." Das Gesundheitssystem dürfe nicht "auf Kante genäht" sein. Man müsse sich rüsten für mögliche weitere und eventuell andersgeartete Pandemien.

Noch ist nicht einmal genau geklärt, woher das Virus kam, ob es wirklich der Wildtiermarkt im chinesischen Wuhan war, da gibt es schon Meldungen über einen neuen Erreger. Wissenschaftler aus China melden eine neue Variante des Schweinegrippe-Virus, die das Potenzial für eine Pandemie unter Menschen entwickeln könnte.
(Sabine Dobel, dpa)

Kommentare (4)

  1. Dieter am 28.07.2020
    Ist Pandemie Aufruf Corona-Virus 2020 ein Fehlalarm? Corona-Virus kursierte schon 2019 in Europa und das Leben ging ganz normal weiter. Wozu dann Corona-Maßnahmen 2020, Wozu dann Angst vor dem Corona-Virus? Wozu dann die Einschränkungen und Verbote?:
    https://www.google.de/search?ei=gGIgX-GGJov3kwWbjY2YDw&q=covid+19+schon+2019+europa&oq=covid+19+schon+2019+europa&gs_lcp=CgZwc3ktYWIQAzoCCAA6BggAEBYQHjoFCCEQoAFQvbYDWKTOA2CV1gNoAHAAeACAAakBiAHYB5IBAzAuOJgBAKABAaoBB2d3cy13aXrAAQE&sclient=psy-ab&ved=0ahUKEwjhxpy4vvDqAhWL-6QKHZtGA_MQ4dUDCAs&uact=5
  2. Lorenzo am 24.07.2020
    Inzwischen liegen genügend Beweise, Daten und Zahlen vor, die belegen, dass Corona-Virus harmloser ist, als man es ursprünglich angenommen hätte. Es ist deshalb die höchste Zeit, dass ein Umdenken in dem Zusammenhang stattfindet, da COVID-19 zum Glück nicht gefährlicher ist als ein Grippe-Virus. Inzwischen kann jeder aufgrund der Studien in Heinsberg und Ischgl nachvollziehen, dass COVID-19 keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Also liebe Politiker und Politekerinnen in beenden Sie bitte die Corona-Einschränkungen.
  3. Schorsch am 23.07.2020
    Lieber Helmut, Covid-19 direkt mit Influenza zu vergleichen ist eine gefährliche Verharmlosung. Die Todeszahlen / Übersterblichkeit in besonders betroffenen Regionen sprechen da eine deutlich andere Sprache. In einer normalen Grippesaison werden z.B. auch in New York keine Kühllaster zu "Zwischenlagerung" der Leichen notwendig.
    Corona ist eine Systemerkrankung die den ganzen Körper befallen kann, nicht wie die Grippe nur bestimmte Organe. Wir wissen noch immer viel zu wenig darüber. Erst seit kurzem wird über Spätfolgen berichtet, die es so bei der Grippe auch nicht gibt.
    Aus der Tatsache dass wir in DE bisher vergleichsweise glimpflich davon gekommen sind, darf man nicht ableiten dass Corona harmlos wie eine normale Grippe wäre. Das ist leider ein zunehmend verbreiteter Irrtum. Das Beispiel Schweden zeigt was passiert wenn man das zu locker angeht.
  4. Helmut am 23.07.2020
    Danke für Ihr Kommentar. Meine Einschätzung: das Virus ist da und man muss damit leben, so normal wie möglich! Ohne Angst, ohne Panik,Ohne Stress, sowie in den letzen Jahren.Warum? hier das Argument:
    im Winter 2017/2018 starben laut RKI 25000 Menschen (Quelle RKI) und im Winter 2012/2013, 20000 Menschen, im Winter 2005/2006 starben ca 30000 trotz Impfung. Ich denke, dass man mit dem Virus so normal wie möglich leben muss. Deshalb redet man manchmal von einer Grippe-Welle. Jedes Jahr sterben tausende Menschen an der Grippe, mal mehr mal weniger (Quelle RKI, PDF Tabelle, Auflistung der jährlichen Sterblichkeit an der Grippe).
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