Leben in Bayern

Legal kiffen? Die Bundesregierung will den kontrollierten Konsum freigeben. In Bayern regt sich Protest. Schon jetzt ist der Handel mit rauscharmen Produkten ein Boom-Markt. (Foto: dpa/Zinken)

24.03.2023

Eine Pflanze mit rauschhaftem Potenzial

Schon jetzt kann man in Läden viele Cannabis-Produkte ganz normal kaufen – bald könnten auch Präparate mit THC-Gehalt erlaubt sein

Die Gummibärchen kommen aus Fort Lauderdale in Florida und haben es in sich. Genau genommen haben sie CBD in sich, das steht für Cannabidiol, einen Stoff, der in der Cannabispflanze vorkommt. Er wirkt beruhigend, soll auch entzündungshemmend sein und ist nicht verboten. Auf CBD ruht mittlerweile eine Geschäftsidee, die allerorten Cannabis-Läden wie den von Michael Vetter (kleines Foto) im hippen Münchner Glockenbachviertel hervorgebracht hat. Und dann gibt es noch den Wirkstoff THC. Der sorgt für ein Rauschgefühl und ist besser als Haschisch bekannt. THC steht für Tetrahydrocannabinol. Das soll künftig in Deutschland nicht mehr verboten sein. Eine Annäherung an das Potenzial einer Pflanze.

Von außen sieht der Laden in der Hans-Sachs-Straße fast aus wie eine Apotheke oder zumindest Drogerie. „Cannabis und mehr“ steht auf Englisch auf dem weißen Firmenschild. Er ist einer der CBD-Geschäfte, die seit einiger Zeit aus dem Boden sprießen. Seit gut zwei Jahren verkauft hier Inhaber Vetter allerlei – legale – Produkte. „Es geht dabei vor allem um die entspannende Wirkung“, sagt der 58-Jährige, „die Leute nehmen das zum Einschlafen.“

Die Kundschaft im Cannabis-Laden ist zwischen 18 und 89 Jahren

Der Laden ist ziemlich aufgeräumt, säuberlich aufgereiht stehen die Waren in den Regalen. Da gibt es die CBD-Kekse und den Cannabis-Wein, das Hanföl für die Haut und den Cannabis-Drink mit Ingwer und Kurkuma. Was verkauft sich am besten? Es sind die CBD-Öle, von denen man drei bis sechs Tropfen unter die Zunge gibt und die dann so ihre Wirkung entfalten. Der Preis ist abhängig vom CBD-Anteil, der von 5 bis 30 Prozent reicht. Wer kauft ein? „Meine Kundschaft ist zwischen 18 und 89 Jahre alt“, sagt Vetter, letztgenannte alte Dame kauft gerne die Gummibärchen.

Auf die Idee mit dem Cannabis-Laden kam Vetter während der Corona-Krise, da war er als Drucktechniker selbstständig und produzierte Kataloge für Firmen. Und dann brach die Kundschaft weg und er suchte nach neuen Wegen. „Nein“, vom Laden alleine leben könne er nicht, das sei noch immer eher ein zweites Standbein.

Das könnte sich vielleicht ändern, wenn der Gesetzgeber wie geplant das rauschhafte THC-Cannabis zum kontrollierten Konsum freigeben wird. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will jetzt umsetzen, was im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vom November 2021 steht: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen.“

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat die Pläne allerdings scharf verurteilt. Er verweist auf ein Anfang März vorgestelltes Rechtsgutachten, das zu dem Schluss kommt, dass die Legalisierung sowohl gegen Völkerrecht als auch Europarecht verstoßen würde. 
Das Bundeskabinett hat nun ungeachtet dessen einem Eckpunktepapier aus dem Gesundheitsministerium zugestimmt. Noch gelten der Anbau, Verkauf und Konsum von Haschisch als kriminell. Kann sich Michael Vetter künftig dessen legalisierten Verkauf in seinem Laden vorstellen? „Das hängt von den Vorgaben des Gesetzes ab“, sagt er.

Nach ihm sollte es keine Abgabe der Droge an unter 21-Jährige geben, und die Kunden sollten nur eine begrenzte Menge pro Monat kaufen können. Den Schwarzmarktpreis für ein Gramm „Gras“ schätzt er derzeit auf 12 bis 16 Euro, was aber viele 16-Jährige nicht davon abhalten würde, zu „kiffen“.

Ein Suchtberater: Kriminalisierung ist eine Sackgasse

Um diese Jugendlichen kümmert sich bei der Münchner Drogenberatungsstelle Condrobs der Abteilungsleiter für die Jugendsucht- und Familienhilfe mit dem wegweisenden Namen Siegfrid Gift. Condrobs ist aus einer Selbsthilfeinitiative entstanden, heute arbeiten mehr als 900 Beschäftigte in über 70 Einrichtungen. Und was hält Siegfried Gift von der Legalisierung von Cannabis? Hätte man ihn das vor zehn Jahren gefragt, so seine Antwort, „hätte ich gesagt, wir brauchen neben Alkohol nicht noch eine legale Droge“. Heute habe sich diese Sicht der Dinge geändert.

Die jüngste bayerische Kriminalstatistik für 2022 macht leider klar: Die Anzahl der Drogentoten ist wieder angestiegen, von 255 im Jahr 2021 auf 277 im vergangenen Jahr. Um diesen Trend zu stoppen, setzten die Suchtberatenden als letzten Baustein der Überlebenshilfe auf Drogenkonsumräume, die einen hygienisch sicheren, sauberen und ruhigen Konsum unter Aufsicht und mit weiterführenden Beratungsangeboten ermöglichen. Zudem werde die Ausbreitung von Infektionskrankheiten verhindert, da zum Beispiel Spritzen nicht weitergegeben werden können. Und in Fällen von Überdosierungen sei Erste Hilfe schnell zur Hand, sodass diese notfallmedizinisch nicht so aufwendig wäre.

Ein ähnliches Prinzip befürwortet Suchtberater Gift beim Konsum von Haschisch: die kontrollierte Abgabe an Erwachsene unter strengen Auflagen. Die Kriminalisierung sei eine Sackgasse und verhindere die soziale Integration und das Aufsuchen von Hilfsangeboten. Gift: „Zum Schaden durch den Drogenkonsum kommt noch die Strafverfolgung hinzu.“ Beziehungsweise deren Folgen wie Haft, Führerscheinverlust, Schulverweis oder Kündigung.

Der Sozialarbeiter hält deshalb die Vorgaben des Gesetzesentwurfs zur Freigabe von Cannabis für richtig. Dazu gehört, dass die Qualität des Cannabis kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet ist: „Die Abgabeorte müssen weit weg von Schulen liegen“, so Gift. Außerdem werde die Polizei durch die Legalisierung entlastet.

Laut Eckpunktepapier der Bundesregierung sollen Kauf und Besitz von bis zu 20 Gramm Cannabis ab 18 Jahren legal sein. Die Steuereinnahmen durch den legalen Verkauf von Cannabis sollen, so Condrobs, in die Suchtberatung und Suchtprävention fließen. Eingedenk der geplanten Legalisierung von Cannabis stehen schon verschiedene Branchen in den Startlöchern; so denken manche Bauern über den Anbau von Hanfpflanzen nach und in Bayern gibt es mittlerweile einen „Cannabis Verband Bayern“. Auch der widerborstige bayerische Liedermacher Hans Söllner mischt inzwischen im Hanfgeschäft mit: Für 20 Euro gibt es sein „Edelkraut“ – CBD-Hanfblüten – zu kaufen. (Rudolf Stumberger)

kleines Foto: Stumberger
 

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