Leben in Bayern

Die ehemalige Bayernkaserne: In der Erstaufnahmeeinrichtung herrschen aufgrund Überfüllung katastrophale Zustände. (Foto: dpa)

12.09.2014

Gefährliche Stimmungsmache

Rechtsextreme versuchen, die katastrophalen Zustände in den überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen für sich zu nutzen – rund um Münchens Bayernkaserne ist die Lage angespannt

Das Areal an der Münchner Heidemannstraße ist an diesem Tag im Ausnahmezustand: Zwischen Richard’s Wurstbude, dem Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite und der Bushaltestelle weiter oben in der Straße ist berittene Polizei unterwegs. In einer Seitenstraße sitzen Zivilpolizisten in ihrem dunkelblauen VW-Passat und am Werner-Egk-Bogen stehen die Absperrgitter bereit. Denn die rechte „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) hat sich angekündigt. Wieder einmal. Denn bis zu sechs Kundgebungen in einer Woche sind keine Seltenheit. „Der Protest wirkt“, heißt es auf der Internetseite der BIA. Und: „Die Situation ist unerträglich.“ Deshalb müsse man Reiter und Co. weiterhin nerven und laut bleiben.

Im Münchner Rathaus ist man alarmiert

Ja, die Situation ist unerträglich im Flüchtlingsheim im Norden Münchens, vor dem sich BIA-Mitglieder regelmäßig postieren. Das Asylbewerberheim in der ehemaligen Bayernkaserne ist mit 1900 Menschen völlig überfüllt. Vor Kurzem gab es Masern-Alarm und einen Aufnahmestopp. Unerträglich aber ist auch, dass rechte Gruppen diese Situation mittlerweile für ihre Propaganda nutzen. Dass sie auf den Flammen der Probleme rund um die Bayernkaserne ihr ausländerfeindliches Süppchen kochen wollen – wie der bayerische NPD-Vorsitzende und Münchner BIA-Stadtrat Karl Richter, der zu den Kundgebungen aufruft.
Auch im Münchner Rathaus ist man alarmiert. Mittlerweile gab es zur Situation an der Heidemannstraße dort ein Treffen von Mitgliedern des Stadtrates, der betroffenen Bezirksausschüsse, der Stadtverwaltung, der Polizei und der Regierung von Oberbayern, die für die Flüchtlinge zuständig ist. Man hat beschlossen, die Anwohner der Bayernkaserne besser zu informieren. Dazu soll es eine Anwohnerversammlung zum Thema geben.
Die Wohnblocks, die um die Bayernkaserne herumstehen, wurden einst im sozialen Wohnungsbau errichtet. Dort wohnt zum Beispiel Erwin K., der seit einem Herzinfarkt berufsunfähig ist und viel Zeit in seiner Wohnung verbringt. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren haben sich die Bewohner in seinem Haus verändert. Heute wohnen dort vor allem Menschen mit Migrationshintergrund. „Ausländer“, würde Erwin K. sagen.
Und dann sind da eben noch die „Ausländer“ in der Heidemannstraße. Die Bewohnern der ehemaligen Bayernkaserne, dem Erstaufnahmelager für Asylbewerber. Und einigen Anwohnern geht das gegen den Strich. Derzeit sind in der Bayernkaserne 1900 Erwachsene und 140 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht – viele kommen aus Syrien, Eritrea und Äthiopien. Vereinbart waren mit dem Freistaat 1200 Flüchtlinge. Die meist jüngeren Menschen sitzen nun auf dem Rasenstreifen entlang der Bayernkaserne, versammeln sich an den Bushaltestellen, gehen die Straße auf und ab – auch um der Enge zu entfliehen.

Flüchtlingsrat warnt vor rassistischer Stimmungsmache

Beim zuständigen Bezirksausschuss landen immer wieder Klagen von Anwohnern auf den Tisch. Etwa über das Urinieren in  Büschen. Oder den Alkoholkonsum vor dem Lager. Auf dem Gelände herrscht vollständiges Alkoholverbot. Also trinken die Bewohner in Grüppchen vor der Kasernenmauer ihr Bier. Fragt man auf der Straße nach, ergibt sich – wie meist – ein unterschiedliches Bild. Ein älterer Herr, er wohnt seit 40 Jahren im Viertel, meint: „Was mir nicht passt, ist, dass die mit der Bierflasche in der Hand herumlaufen.“ Ansonsten aber habe er nichts Schlechtes gesehen. Eine andere Anwohnerin beschwert sich, dass die Flüchtlinge mit Rollkoffern zum Einkaufen in den Supermarkt gehen, da sei dann kein Platz mehr. Ein jüngerer Mann  findet es nicht gut, dass so viele Flüchtlinge in einer Unterkunft untergebracht sind, das sei einfach zu viel.“
Und nun versuchen also auch an diesem Tag wieder einmal rechte Aktivisten, die angespannte Stimmung rund um die Erstaufnahmeeinrichtung für sich zu nutzen. Um 12.20 Uhr stehen an der Wundt-, Ecke Kollwitzstraße drei Gestalten etwas verloren auf dem Gehsteig – umgeben von Absperrgittern und unter massiven Polizeischutz. Die bekannten ausländerfeindlichen Parolen per Mikrofon wie „Das Boot ist voll“ gehen teilweise unter in einem Pfeifkonzert der einige Dutzend Menschen, die gegen die Kundgebung der BIA demonstrieren. „Nazis raus“ steht auf einem großen Plakat und auf einem anderen: „Zu Risiken und Nebenwirkungen von rechter Propaganda lesen sie ein Geschichtsbuch oder fragen sie ihre Großeltern!“
Der bayerische Flüchtlingsrat warnt inzwischen vor einer „rassistischen Stimmungsmache gegen die Flüchtlinge in der Bayernkaserne“. Denn auch die Neonazi-Organisation „Der dritte Weg“ sei neben NPD-Mann Richter bereits auf das Thema aufgesprungen und habe im Umfeld des Flüchtlingslagers Flugblätter verteilt.
Wie dramatisch die Situation in den bayerischen Flüchtlingsunterkünften ist, zeigt auch, dass Ministerpräsident Horst Seehofer die Flüchtlingsproblematik zur Chefsache erklärte. Vergangene Woche traf er sich mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zum Spitzengespräch und versprach schnelle und unbürokratische finanzielle Hilfe. Außerdem hat man sich geeinigt, dass auf dem Gelände der früheren McGraw-Kaserne eine weitere Flüchtlingsunterkunft einzurichten.
Und diese Woche stand das Thema bei der Kabinettsitzung auf dem Programm. Bis Oktober sollen neben den regulär bestehenden Plätzen 2000 neue geschaffen werden, kündigte Sozialministerin Emilia Müller an. Die Kapazitäten der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen in München und Zirndorf sollen erweitert werden – mit Dependancen an verschiedenen zusätzlichen Standorten, unter anderem in ehemaligen Kasernen in Roth und Donauwörth sowie in einem ehemaligen Warenhaus in Fürth.

„Bitte fallen Sie nicht auf die Parolen herein“

Eines ist auch klar: Nur wenn  die Situation in den Flüchtlingsunterkünften selbst erträglich wird, entspannt sich auch die Lage in deren Umgebung. Im Fall der Bayernkaserne setzt die Stadt München nun zusätzlich Streetworker ein und will für mehr Freizeitaktivitäten für die Flüchtlinge sorgen. Und sie warnt in einem Flugblatt die Anwohner: „Bitte fallen Sie nicht auf rechtspopulistische und rechtsextreme Parolen herein.“ (Rudolf Stumberger) (Fotos: Vor der Bayernkaserne skandiert NPD-Mann Karl Richter seine Parolen.
Doch es gibt auch Gegenwehr; Stumberger)

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