Leben in Bayern

In Quarantäne: Der Rentner Herbert Kurde hat sich mit Corona infiziert. (Foto: Stumberger)

30.04.2020

Im Ausnahmezustand

Ein Rentner mit Corona, eine Verkäuferin in Kurzarbeit, ein Lehrling im Homeoffice und ein Bratwurststandbesitzer ohne Märkte: vier Beispiele des alltäglichen Corona-Wahnsinns

Seit Wochen schon bestimmt die Corona-Krise das Alltagsleben der Menschen in Bayern. Wie gehen sie um mit der neuen Situation, die selbst mittlerweile fast schon zur Routine geworden ist? Vier Beispiele aus München und Umgebung.

Ismaning, Osterfeldstraße: ein Lidl-Supermarkt mit fast leerem Parkplatz, etliche Firmengebäude, wenige Passant*innen. Es ist Mittwochvormittag und Fabio Jehl wartet in seinem „Wursthäusl“ auf Kundschaft, dreht die Bratwürste um und schiebt den Schaschlikspieß in die Soße. „Man merkt schon den Unterschied zu sonst“, sagt der 26-jährige Jungunternehmer. Seit vier Jahren ist er mit seinem Bratwurststand unterwegs, steht unter der Woche an verschiedenen Standorten. Jetzt muss er sehen, wie er in der Krise über die Runden kommt.

„Das Problem ist, dass die Märkte am Wochenende wegfallen“, sagt Jehl und streut den Curry auf die Bratwurst, auf die jetzt ein hungriger Bauarbeiter wartet. Essen darf der sie direkt am Stand nicht, wegen des Sicherheitsabstands. Auch Tische gibt es keine mehr. So balancieren die Kunden die Papierschale mit Bratwurst und die Pommes in der einen Hand und die Gabel in der anderen. „22 Märkte fallen in den kommenden Wochen aus“, sagt Fabio Jehl, und ihm geht es damit nicht anders als vielen Markthändlern. Gott sei Dank habe es die Soforthilfe der Staatsregierung gegeben, ergänzt er noch, das Geld sei auch schon auf dem Konto. Ansonsten meint er zum Leben in der Corona-Krise: „Es geht so.“ Halt Hände waschen, desinfizieren, jetzt auch Maske. Wichtig: spazierengehen mit dem Hund, ein Collie.

München Giesing: ein Wohnblock einer Baugenossenschaft. Im vierten Stock putzt Susie Pfaus die Fliesen im Bad. „Die dritte Woche war schon schwierig“, sagt die 56-jährige Fachverkäuferin, die normalerweise in einem Traditionsunternehmen Bettwäsche verkauft. Sie ist jetzt in der vierten Woche in Kurzarbeit, und das wird bis zum 4. Mai so bleiben. Das heißt auch, dass ihr Lohn sich um 40 Prozent reduziert. „So lange war ich noch nie zu Hause, ich hatte noch nie so viel Zeit“, erklärt die Münchnerin. „Am Anfang hatte ich großen Elan, die Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Jetzt merke ich, wie man die Dinge von einem Tag auf den anderen verschiebt.“ Entschleunigung – das ist eine ihrer grundsätzlichen Erfahrungen der Krisenzeit. Und weil die Bewegung in der Arbeit fehlt, sammeln sich auch ein paar Pfunde zusätzlich an: „Ich kann ja nicht neun Stunden am Tag spazieren gehen.“

So manche Dienstleistung fällt flach, der Friseurbesuch etwa. Pfaus hat schließlich selbst zur Schere gegriffen. Um die Ohren ist es etwas zu kurz geworden. Aber „die Nachbarin sagt, das schaut nicht schlecht aus“. Ansonsten vergeht der Tag nach dem Motto: Morgens raus aus dem Nachthemd, rein in den Jogginganzug. Abends andersherum. Pfaus freut sich sehr darauf, wenn es mit der Arbeit wieder losgeht. Der Tagesstruktur wegen. „Sonst gewöhne ich mich noch dran.“

Großhelfendorf, im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses: Ludwig Wiedemann sitzt am PC und übt die Programmiersprache Python. Der 18-Jährige macht nach seinem Abitur eine Lehre zum Fachinformatiker in einem großen Münchner Unternehmen. Wie viele andere auch fährt er jetzt nicht mehr mit der S-Bahn in die Stadt, sondern arbeitet zu Hause im Homeoffice. An diesem Tag hatte er um 8.30 Uhr ein einstündiges Meeting mit den rund 30 Mitarbeiter*innen der Abteilung. „Es ist schon ungewohnt“, sagt der Azubi, „dass man den Kollegen nicht direkt gegenübersteht.“ Aber das Homeoffice habe auch Vorteile, man könne seine Arbeitszeit flexibel einteilen.

Im Krankenhaus mit dem Coronavirus angesteckt

Neu ist für Wiedemann, dass er jetzt so viel zu Hause ist. Die Kontakte sind im Wesentlichen virtuell, zum Beispiel über eine „Hausparty-App“. Auch die Berufsschule stellt den Lernstoff online. Ansonsten sei es „nicht gerade die spannendste Zeit“, man sitze halt viel im Zimmer, schaue Netflix. Auch Wiedemann ist froh, „wenn es wieder vorbei ist“. Er beneidet nicht den Schuljahrgang nach ihm, der jetzt Abitur schreiben muss.

Tegernseer Landstraße, ein Mehrfamilienhaus: In der Wohnung im ersten Stock atmet Herbert Kurde tief durch. Der 77-Jährige hat gerade sein Ergebnis vom Corona-Test erhalten. Er ist wieder virenfrei. Angesteckt mit dem Virus hatte er sich vor einem Monat. Der Pensionär hatte das Pech, für eine Knieoperation am 5. März gerade noch im Krankenhaus aufgenommen zu werden. Die OP an sich verlief gut, doch ein junger Mann, der mit ihm auf dem Zimmer lag, begann plötzlich zu husten und bekam Fieber. Die Koffer für die Reha am Chiemsee waren schon gepackt, dann kam der Tiefschlag. „Sie sind positiv auf das Coronavirus getestet“, sagte der Chefarzt nach dem Bluttest. Was folgte, waren schlimme Tage. Kurde wurde in ein acht Quadratmeter großes Zimmer verlegt. Auf eine Station, die ausschließlich für Corona-Patienten reserviert war. Als zu Fieber und Halsschmerzen noch eine Lungenentzündung kam, plante der Chefarzt die Verlegung auf die Intensivstation. Doch dann kam das Glück im Unglück, die Lungenentzündung wurde besser, die Symptome nahmen langsam ab. Nach 14 Tagen konnte der Münchner nach Hause in die Quarantäne entlassen werden.

Das operierte Knie allerdings hatte aufgrund Kurdes Infektion keine Reha-Behandlung erhalten. „Die Krankengymnastin stand vor der Tür, durfte aber nicht zu mir herein“, erzählt der Pensionär. Jetzt wartet er auf einen Platz in einer ambulanten Reha-Klinik.
(Rudolf Stumberger)

Foto (Stumberger): Fabio Jehl in seinem „Wursthäusl“. Mit dem Verbot der Märkte fiel für ihn eine Großzahl der Kunden weg.

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