Leben in Bayern

Student Elias Zirk bringt Kindern auf der Farm das Schmieden bei. Kleines Bild: Die Tiere sind vor allem bei Mädels beliebt. (Fotoa: Pat Christ)

14.06.2019

Land-Abenteuer für Stadtkinder

Auf der Kinder- und Jugendfarm können Würzburger Kids Hütten bauen, Werkzeuge schmieden und den Umgang mit Tieren üben – mitten in der City

Alles ist erlaubt – auch Langeweile. Für die Kinder der Stadt bietet der Verein Kinder- und Jugendfarm Würzburg nicht nur in der Ferienzeit ganz besondere Erlebnisse. Die Kleinen können auf dem naturbelassenen Gelände unterhalb der Festung nach Lust und Laune spielen – ohne festes Programm. Für manche Kinder ist das allerdings eine Freiheit, an die sie sich erst einmal gewöhnen müssen.

Das Metall muss tiefrot glühen. Erst dann kann man es schmieden. „Das geschieht bei einer Temperatur von 900 Grad“, erklärt Axel Demmel gerade einem Kind. Auf der von ihm geleiteten Kinder- und Jugendfarm in Würzburg lernen Buben und Mädchen seit diesem Frühjahr, wie man Nägel, Zangen, Scharniere und Hammer selbst schmiedet. Kinder, die den Schmiedekurs bei Student Elias Zirk durchlaufen haben, dürfen dort auch außerhalb der Kurszeiten an die Esse und den Amboss.

Die Kinder- und Jugendfarm eröffnet seit 1980 Stadtkindern Freiräume. Auf einem naturbelassenen, ein Hektar großen Gelände unterhalb der Würzburger Festung. Ohne vorgegebenes Programm kann hier am Nachmittag nach Lust und Laune gespielt werden. Die einen lieben es, Feuer zu machen und Stockbrot zu rösten. Andere fertigen in der Werkstatt Holzschwerter an. Bei Jungs ist Hüttenbauen ungebrochen angesagt. Viele Mädels fahren dagegen eher auf die Tiere ab. Hühner, Kaninchen, Esel, Ziegen, Enten und Ponys leben auf der Farm.

Frei entscheiden: Das kennen manche Kinder nicht

Jetzt in der Ferienzeit wird es auf dem Gelände wieder besonders hoch hergehen. „An Ostern hatten wir bis zu 65 Kinder am Tag hier“, sagt Demmel. Der Hammer sei das Frühlingsfest gewesen, an dem ehemalige Farmkinder mitwirkten: Fast 300 Menschen feierten miteinander den Saisonauftakt.

Für Kinder, die heute oft die ganze Woche über einen fast minutiösen Zeitplan einzuhalten haben, stellt die Kinder- und Jugendfarm eine faszinierend freie Gegenwelt dar. „Natürlich müssen auch bei uns Regeln eingehalten werden“, sagt Demmel. Zum Beispiel funktioniert die „Bauplatzvergabe“ nach einem bestimmten Schema. Mindestens vier Kinder müssen sich zu einer Gruppe zusammenschließen und einen Gruppennamen finden, bevor sie auf dem „Gemeinschaftsbauland“ eine Hütte errichten können. Ob man aber überhaupt bauen oder lieber den ganzen Nachmittag entspannt am Lagerfeuer hocken möchte, ist jedem Kind selbst überlassen. Und dann gibt es da eben auch noch den neuen Schmiedekurs, in dem die Kinder etwas völlig Außergewöhnliches lernen können. „Eine Hütte zu bauen, kann man ausprobieren, dazu braucht es keinen Kurs“, erklärt der gelernte Zimmermann Demmel. Doch wie man schmiedet, weiß kein Kind einfach so: „Damit muss man sich auskennen.“ Es wäre auch schlicht viel zu gefährlich, an der heißen Esse drauflos zu experimentieren. Darum entschied das dreiköpfige Farmteam, ein kleines Kursprogramm in das ansonsten völlig freie Farmkonzept zu integrieren. Zwei Angebote gibt es derzeit: den Schmiedekurs sowie einen Kurs, der in die Geheimnisse des Siebdrucks einweiht.

Nicht selten kommt es vor, dass ein Kind bei seinem ersten Farmbesuch gar nichts mit sich anzufangen weiß. Vielleicht, weil es gewohnt ist, ständig Anweisungen zu erhalten. In der Musikschule zum Beispiel sagt die Geigenlehrerin, was wie lange geübt wird. Im Fußballverein geht alles nach der Ansage des Trainers. Neue Kinder werden deshalb behutsam in die Freiheiten des Farmalltags eingeführt. Sie lernen verschiedene Spielmöglichkeiten kennen. Und wenn ein Kind dann immer noch nicht weiß, worauf es Lust hat: kein Problem. „Möglicherweise langweilt sich das Kind sogar“, sagt Demmel. Das aber müssten die Erwachsenen aushalten. „Aus Langeweile entsteht Kreativität.“

Für Tristan, Lysander und Robin ist die Farm spannender als jedes Ballerspiel am Computer. Die drei Jungs kommen schon lange in die vom gleichnamigen Verein getragene Kinder- und Jugendfarm Würzburg. „Seit Wochen sind sie ganz heiß aufs Schmieden“, sagt Demmel, der Robin gerade hilft, eine Zange anzufertigen. Robin ist mit seinem Werk nicht ganz glücklich. Er betrachtet eine „echte“ Zange in der Werkstatt, vergleicht und sieht, dass seine eigene ganz schön krumm ist. „Nicht schlimm!“, beruhigt ihn Demmel und erklärt: „Der, der diese Zange gemacht hat, hat schon eine Million Zangen gemacht, aber du machst deine allererste.“

Manchmal wird Axel Demmel gefragt, wie er denn das mit der Haftung hinkriege. Tatsächlich schaut es bisweilen ziemlich gefährlich aus, wie die Kinder oben auf dem Dach ihrer hölzernen Hütten herumturnen oder wie sie den zwei Kilo schweren Hammer auf den Amboss niedersausen lassen. „Wir sind für die Verkehrssicherheit unserer eigenen Bauten zuständig, die Aufsicht über die Kinder haben die Eltern“, erläutert der Farmleiter. Das sei auf der Farm wie auf jedem anderen Spielplatz. Außerdem existiere über den Bund der Jugendfarmen ein Rahmenversicherungsvertrag für Vereinshaftpflicht und Gruppenunfall, erklärt der Leiter. Der greife zum Beispiel, sollte etwas beim Bau der Hütten passieren.

Denn eines ist wichtig: Die Jugendfarm soll ein Abenteuer für die Kinder sein. Und zwar in vielfacher Hinsicht. Beim Hüttenbauen müssen sie nicht nur lernen, geschickt mit Hammer und Säge umzugehen. Gefragt ist auch viel Geduld. Sind endlich die Pfosten eingeschlagen, wird der Boden verlegt. Das nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Dann kommen die Wände dran, später das Dach. „In zwei Wochen ist das kaum getan“, sagt Sonderpädagoge Simon Dauwald, der seit eineinhalb Jahren auf der Farm arbeitet. Manche Kinder laborierten sogar monatelang an ihrem Hüttenwerk, bis sie endlich einziehen können. Oder bevor die Hütte wieder abgerissen wird.

Alles auf der Kinder- und Jugendfarm ist im ständigen Fluss. Nicht zuletzt konzeptuell. Wird etwas als Ballast erkannt, wird es über Bord geworfen. Dafür tauchen neue Ideen auf. „Im Moment überlegen wir, ob wir einen Farmkindergarten etablieren sollen“, verrät Axel Demmel. Schließlich sucht die Stadt derzeit dringend Kita-Plätze.

Ein lästiges Problem: Die ständige Jagd nach Geld

Um die Farm nutzen zu können, zahlen Familien zwei Euro pro Nachmittag, unabhängig von der Kinderzahl. Dieser Betrag deckt die Unkosten nur zu einem geringen Teil. Zwar unterstützen auch die Stadt Würzburg und der Sozialdienst katholischer Frauen die Farm. Doch es bleibt jährlich ein Defizit von rund 70 000 Euro, das der Verein tragen muss. Die Farm ist deshalb auf Spenden, auf die Zuweisung von Bußgeldern sowie auf den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter angewiesen. Auch die Schmiede konnte, wie viele andere Projekte, nur mit Spenden realisiert werden. In diesem Fall stiftete eine Schule Geld, das bei einem Schulprojekt eingesammelt wurde.

Die ständige Jagd nach Geld ist für die Verantwortlichen der Farm lästig. Axel Demmel würde sich deshalb mehr kommunale Mittel für den Farmbetrieb wünschen. Positiv, nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht, sei hingegen, dass inzwischen zwei Würzburger Schulen als Kooperationspartner gewonnen werden konnten. So besucht eine AG der Jenaplan-Grundschule jeden Mittwoch die Farm – auch im Winter, wenn der freie Betrieb der Einrichtung geschlossen ist. Und jeden Donnerstagvormittag kommen Kita-Kinder, um auf dem Gelände zu spielen. Das Besondere für die Kinder: „Bildung“ wird auf der Farm nicht aufoktroyiert. „Die Kinder bilden sich hier ganz von alleine“, sagt Demmel. Das eine Kind lernt zum Beispiel, eine abschüssige, glitschige Geländefläche zu überqueren. Am Anfang war es noch ängstlich davor zurückdescheut. Ein anderes Kind ist ganz in die Esel vernarrt. Die aber nichts von ihm wissen wollen. Demmel: „Dieses Kind muss herausfinden, was das Verhalten der Esel vielleicht mit seiner Körpersprache zu tun hat.“
(Pat Christ)

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