Leben in Bayern

11.09.2020

Lebensretterin aus Leidenschaft

Die 25-jährige Studentin Jule Heuchert ist jedes Wochenende am Wörthsee im Einsatz, um Ertrinkenden und in Not geratenen Wassersportler*innen zu helfen

Noch nie hatte sie so viel zu tun wie in diesem Corona-Sommer: Am überfüllten Wörthsee gab es schon jetzt 60 Prozent mehr Einsätze als im Vorjahr. Jule Heuchert ist seit ihrem 14. Lebensjahr Wasserwachtlerin in Steinebach. Und dort auch für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig. Für ihr Konzept „Kinder lernen von Kindern“ wurde sie 2019 sogar vom Landtag geehrt

Sie sitzen gemütlich am Steg, blicken auf den See, ratschen und trinken Kaffee. Doch dann blinken plötzlich die Lichter der Sturmwarnung auf Vorwarnstufe. Und das gemeinsame Frühstück ist abrupt zu Ende. Denn was aussieht wie ein reines Treffen unter Freunden am Wochenende, ist die Zusammenkunft der Ehrenamtlichen der Wasserwacht Wörthsee in Steinebach. Und brauchen durch den Sturm in Not geratene Stand-up-Paddler oder gekenterte Segler*innen Hilfe, muss es bei den Wasserwachtler des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) schnell gehen.

„Es kommen immer viel mehr Ehrenamtliche zur Rettungsstation, als eigentlich eingeplant sind“, freut sich Gruppenleiterin Jule Heuchert. 39 Aktive sind aktuell bei der Wasserwacht dabei. Dazu kommen 54 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 16 Jahren, die in drei verschiedenen Altersgruppen ausgebildet werden und am Wochenende gerne das Rettungsteam verstärken. „Wir sind alle gut miteinander befreundet, fast schon wie eine Familie, deshalb macht auch der Wachdienst super viel Spaß“, sagt die 25-jährige Heuchert. Und fügt grinsend an: „Wir nennen uns manchmal scherzhaft die Kuschelwasserwacht.“

Während andere Hilfsorganisationen über Nachwuchsprobleme klagen, gibt es am Wörthsee für die Kinder- und Jugendgruppen einen Aufnahmestopp und lange Wartelisten. Dass die Kurse so beliebt sind, liegt auch am Konzept „Kinder lernen von Kindern“, das die Physik- und Managementstudentin Heuchert zusammen mit Jugendleiterin Léonie Bonauer entwickelt hat. Vergangenes Jahr erhielt die Wasserwacht Wörthsee dafür den dritten Platz beim Bürgerpreis des Bayerischen Landtags und ein Preisgeld von 7000 Euro.

Die Jüngsten lernen bereits, wie man Erste Hilfe leistet

„Die Kernidee unseres Projekts ist die Wissensvermittlung auf Augenhöhe“, so Heuchert. Kinder und Jugendliche lernen von Anfang an, Verantwortung zu übernehmen. Sie werden schon in jungen Jahren selbst in die Aus- und Weiterbildung ihrer Altersgenossen mit eingebunden, sei es in den Gruppenstunden oder bei besonderen Aktionen. Zudem klären sie die Schüler*innen bei den regelmäßigen Präventionstagen in der Grundschule Wörthsee über die Gefahren beim Baden oder Schlittschuhlaufen auf und begeistern sie für die Wasserwacht.

Im Pandemiejahr sind die Retter*innen besonders gefordert. „Trotz Lockdown hatten wir heuer bereits 60 Prozent mehr Rettungseinsätze als im Vorjahr“, sagt Heuchert. In einer Woche seien die Aktiven beispielsweise gleich vier Mal ausgerückt. Seit zwei Monaten nun schon mache sie jedes Wochenende Dienst. Zum Glück sei heuer aber noch niemand ertrunken. Obwohl der Wörthsee wegen Corona bisweilen völlig überfüllt war und in Bayern dieses Jahr bisher bereits 35 Menschen in Seen und Flüssen ertranken – meist an ungesicherten Stellen, wo die Aufsicht fehlte.

Das ist am Wörthsee anders. Am Wochenende und an Feiertagen ist die Rettungsstation in Steinebach immer besetzt, unter der Woche herrscht Rufbereitschaft. Wie schnell am Werktag Hilfe kommt, davon konnten sich zum Beispiel Ende August die Badegäste in Walchstadt überzeugen. Innerhalb von Minuten rasten mehrere Rettungswägen, einer mit Bootsanhänger, an das Ufer der „Rossschwemme“. Über dem See kreiste bereits der Hubschrauber. Gleichzeitig mit dem Rettungsschlauchboot düste das Motorboot der Wasserwacht aus Steinebach herbei. Kurz darauf wurde ein junger Mann wohlbehalten an den Steg gebracht. Dessen besorgte Freundin hatte den Notruf abgesetzt, als er nach einer Stunde immer noch nicht vom Schwimmen zurück war. „Unter der Woche werden auch die umliegenden Wasserwachten alarmiert“, erklärt Heuchert. Schließlich seien alle in der Arbeit und es sei unklar, wer am schnellsten vor Ort sein könne. „Am Wochenende suchen wir erst einmal kurz mit dem Boot den angegebenen Bereich ab, bevor wir Verstärkung holen.“

Schon die Jüngsten lernen bei der Wasserwacht, Erste Hilfe zu leisten, machen Schwimmkurse und die Jugend-Wasserwachts-Ausbildung, die etwa ein halbes Jahr dauert. „Da lernt man dann zum Beispiel das Rettungsschwimmen, wie die Wasserrettung abläuft oder wie man Menschen reanimiert“, erzählt Heuchert, selbst seit ihrem 14. Lebensjahr leidenschaftliche Wasserwachtlerin.

„So motiviert wie dieses Jahr waren die Kids noch nie“, sagt die Gruppenleiterin. „Wir haben während des Lockdowns zwar auch Online-Trainings gemacht, zum Beispiel gezeigt, wie man Knoten knüpft. Doch danach wollten die Kinder alles nachholen, was sie versäumt hatten.“ Seit Juli fanden die wöchentlichen Gruppenstunden wieder statt, allerdings nur draußen, wenn es das Wetter zuließ. „Und immer mit Abstand und Maske“, wie Heuchert betont. „Bei den Erste-Hilfe-Übungen aber ist man ja so nah am anderen dran.“ Die Kids lernen auch spielerisch das Funken und den Umgang mit Rettungsgeräten.

Vor allem bei der medizinischen Ausbildung hätten die Kinder am Anfang Angst, etwas falsch zu machen, wie Gruppenleiterin Heuchert erzählt. „Dabei wissen alle schon super Bescheid.“ Deshalb hat sie den Erste-Hilfe-Kurs auch „Trau dich“ benannt. „Ich sage immer, macht doch einfach mal, wir sind doch nur in unserer Gruppe, es kann ja nichts passieren.“

Wie viel allein dieses Training bewirkt, hat vor einiger Zeit ein junges Wasserwachtmitglied bewiesen. Der Bub war in München zufällig vor Ort, als ein älterer Herr umkippte und bewusstlos wurde. „Er hat überprüft, ob der Mann noch atmet, ihn dann in die stabile Seitenlage gebracht, einen Notruf abgesetzt und ihn dadurch gerettet“, erzählt Heuchert stolz. Das sei schon eine super Rückmeldung.
Ab 16 Jahren können die Ehrenamtlichen fast alle Ausbildungen bei der Wasserwacht machen. Und sie dürfen dann auch auf Einsätze mitkommen. „Zu schlimmen medizinischen Notfällen wie einer Reanimation oder wo es schon vorher klar ist, dass sie einen kritischen Ausgang haben könnten, nehmen wir aber in der Regel keine Minderjährigen mit“, betont Heuchert. Denn so eine Situation sei schon sehr hart.

Mit 14 zog sie schon eine Bewusstlose aus dem Wasser

Und: Einen Ertrinkenden zu retten, kann auch gefährlich werden. Wer im Wasser in Panik gerät, tut alles, um Luft zu bekommen. Dann besteht die Gefahr, dass die Retter*innen so umklammert werden, dass sie selbst in Lebensgefahr geraten. „In diesem Fall muss man zum Beispiel untertauchen, dann lässt der Hilfesuchende los“, erklärt Heuchert. „Am besten schiebt man der Person eine Schwimmhilfe zu, bevor man sie abschleppt.“ Grundsätzlich gilt aber für Laien: immer erst einmal die 112 rufen.

Wie schnell Menschen in Not geraten können, hat die Studentin schon als 14-Jährige erlebt. Bis heute ihr eindrücklichstes Erlebnis, wie sie sagt. Sie habe gerade die Prüfung zur Rettungsschwimmerin gemacht und sei mit ihren Eltern beim Baden gewesen. „In der Nähe bekam eine Frau einen Schlaganfall, was wir nicht wussten, und lag komisch im Wasser“, erzählt Heuchert. Sie sei mit ihrem Vater, der nicht bei der Wasserwacht ist, hinausgeschwommen, habe die Bewusstlose mit ihm zusammen rausgezogen. Da diese zum Glück wieder anfing zu atmen, brachte sie die Patientin in die stabile Seitenlage, während ihre Mutter die Wasserwacht alarmierte. „Das war ein tolles Gefühl, zu wissen, ich kann wirklich helfen. Und außerdem cool, meinen Vater dabei zu coachen.“ Von dem Moment an sei ihr klar gewesen, dass sie weitermachen wolle. Dieses Bewusstsein sei für alle in der Gruppe der Antrieb, dabei zu sein.

Und wenn Freunde ihr sagen, dass sie die Erste Hilfe schon fast vergessen haben, fackelt Heuchert nicht lange. „Ich antworte dann, wir können uns sofort hier hinlegen und zum Beispiel die stabile Seitenlage üben. Das ist super einfach, das bringe ich jede Woche den Kindern bei.“
(Lucia Glahn)

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