Leben in Bayern

Foto: Stäbler

23.09.2022

Wiesn-Übernachtung im Riesenzelt: Nach der Party ist vor der Party

In der Münchner Billig-Pension „The Tent“ schlafen die Gäste für knapp zehn Euro auf dem Zeltboden – nicht nur während der Wiesn ist die Unterkunft gut gebucht

Viele feiern derzeit in den Wiesnzelten – manche Gäste mit wenig Geld verbringen dann auch gleich noch die Nacht in einem riesigen Zelt-Hotel. Für 9,50 Euro pro Nacht kann man im „The Tent“ auf dem Zeltboden schlafen – die mit Abstand günstigste Herberge im teuren München. Doch nicht nur der Preis lockt seit einem halben Jahrhundert Rucksackreisende aus der ganzen Welt ins Kapuzinerhölzl, sondern auch die gute Atmosphäre.

Gestern Abend am Lagerfeuer ist Chiel Meiberg mit einer Rucksackurlauberin aus Basel ins Gespräch gekommen. Für den Holländer war das insofern praktisch, als er im Anschluss an seinen Besuch in München just in diese Schweizer Stadt reisen wird. Nachdem er sich allerlei Tipps für seinen Aufenthalt dort geholt hatte, plauderte der 19-Jährige zu später Stunde dann auch noch mit zwei Belgierinnen, die derzeit mit Interrail-Pässen durch Europa touren.

Gemeinsam gemütlich am Lagerfeuer sitzen

„Das war wirklich nett“, sagt Chiel Meiberg über den Abend am Lagerfeuer, während er tags darauf in einem Strandkorb fläzt und eine Limonade mit Erdbeer-Kiwi-Geschmack schlürft. Zudem hatten die spannenden Gespräche den vorteilhaften Nebeneffekt, dass er erst weit nach Mitternacht ins Bett kam und entsprechend müde war. Daher habe er mit dem Einschlafen keinerlei Probleme gehabt, erzählt Chiel Meiberg. Obschon er die Nacht in einem nicht eben einladenden Stockbett verbrachte. Und gemeinsam mit Aberdutzenden anderen Menschen in einem riesigen Zelt.

Selbiges steht hier im Nordwesten von München in einem Wäldchen mit dem schönen Namen Kapuzinerhölzl. Und als wäre das nicht genug, lautet die Adresse nicht minder klingend: In den Kirschen 30. Dort also findet man „The Tent“, ein Hostel der etwas anderen Art, das bei bei Münchnerinnen und Münchnern weitgehend unbekannt ist – und das, obwohl es dieses Jahr bereits seinen 50. Geburtstag feiert. Unter Rucksackreisenden aus aller Welt jedoch gilt die Einrichtung als Institution. Und: als günstigste Übernachtungsmöglichkeit in einer Stadt, die sonst eher nicht für ihre Schnäppchen bekannt ist.

Auch Chiel Meiberg aus Holland, der in seinen Semesterferien mit dem Zug zwei Wochen lang durch Europa reist, hat vor allem der Preis hierher gelockt. „In den anderen Hostels war entweder kein Platz frei oder eine Nacht im Schlafsaal hätte 50 Euro gekostet“, sagt er. „Das war mir viel zu teuer.“ Im „The Tent“ zahlt er nun 15 Euro für seinen Platz im Stockbett. Sogar noch günstiger wäre es, wenn er die eigenen Isomatte und einen Schlafsack auf dem Zeltboden ausrollen und dort schlafen würde: 9,50 Euro kostet das pro Nacht, ein unschlagbarer Preis in München. Überdies können Reisende auf dem weitläufigen Gelände von „The Tent“ auch campen – im eigene oder gemieteten Zelt.

Die Preise seien für die meisten Gäste natürlich das Hauptargument hierherzukommen, sagt Edit Nemeth, die vor der gemütlichen Cafeteria des Jugendhostels sitzt, wo nicht nur Frühstück, sondern auch täglich verschiedene Abendessen serviert werden – zum Preis von 4,20 bis 6,50 Euro, was in München ebenfalls seines Gleichen sucht. Schon im Jahr 1984 hat Edit Nemeth als studentische Saisonkraft im „The Tent“ angefangen. Heute leitet sie gemeinsam mit Olaf Schäfer die Einrichtung, die nicht etwa privatwirtschaftlich, sondern vom Kreisjugendring München betrieben und von der Stadt unterstützt wird – vor allem, indem sie keine Miete für das 1,5 Hektar große und von Bäumen umsäumte Areal verlangt.

Der Ursprung von „The Tent“ reicht zurück bis ins Jahr 1972, als im Kapuzinerhölzl das Olympische Jugendlager aufgeschlagen wurde. Insgesamt 1500 junge Menschen aus 30 Ländern, die von den jeweiligen Nationalen Olympischen Komitees für einen Besuch der Sommerspiele ausgewählt worden waren, kamen damals dort unter. Darüber hinaus gab es im Stadtgebiet noch weitere Zeltlager, schließlich war es das Ziel der Olympia-Organisatoren, sich jung und weltoffen zu präsentieren – einerseits. Andererseits wollte man aber auch aus Imagegründen den Anblick von jungen Obdachlosen, Hippies und Langhaarigen vermeiden, die im Englischen Garten und in den städtischen Parks auf Bänken nächtigen oder wild campieren.

Nach den Olympischen Spielen zeigte sich dann recht bald, dass auch weiterhin ein großer Bedarfan günstigen Übernachtungsmöglichkeiten in München besteht. Und so entstand im Kapuzinerhölzl – nur eine 15-minütige Trambahnfahrt vom Hauptbahnhof entfernt – das Jugendhostel „The Tent“ als „mit Abstand preiswerteste Art hier zu übernachten“, wie es auf der Webseite der Einrichtung heißt. Zudem sei das Camp „der ideale Platz, um Backpacker aus der ganzen Welt in einer lässigen Atmosphäre zu treffen“.

Tatsächlich verstehe man sich nicht nur als günstige Übernachtungsmöglichkeit, sondern auch als „Jugendbegegnungsstätte“, betont Leiterin Edit Nemeth. „Und als Ort, wo sich junge Leute aus verschiedenen Kulturen treffen.“ Dies geschieht beispielsweise in der Gemeinschaftsküche, auf dem Beachvolleyballfeld, beim Basketball- oder Tischtennisspielen und in der Piano-Bar mit ihren gemütlichen Sofas. Vor allem aber versammeln sich die Reisenden allabendlich rund um ein großes Lagerfeuer, wo bisweilen bis zu 200 Menschen sitzen, sagt die Leiterin. Erst kürzlich seien dort je eine Gruppe junger Ukrainer und Russen aufeinandergetroffen. „Die haben sich die Hände geschüttelt und gesagt: Hier gibt es keinen Krieg“, erzählt Edit Nemeth. „Das war wirklich ergreifend.“

In den ersten Jahrzehnten bestand „The Tent“ lediglich aus einem großen Zelt, in dem Reisende während einiger Wochen im Sommer auf dem Boden schlafen konnten. Inzwischen jedoch hat das Hostel sein Angebot ebenso ausgeweitet wie die Öffnungszeiten: Von Juni bis Anfang Oktober können Rucksackreisende hier unterkommen – also auch aktuell während der Wiesnzeit, zu der es traditionell noch etwas turbulenter zugeht als sonst.

Wobei die Vorstellung von feiernden und saufenden Jugendlichen im „The Tent“ eine falsche sei, betont Edit Nemeth. „Dass hier jemand über die Stränge schlägt, kommt so gut wie nie vor.“ Und dann fügt die Leiterin noch lächelnd hinzu: „Gefeiert wird hier schon lange nicht mehr so viel wie früher.“

Derweil ist der Andrang von Reisenden aus aller Welt größer denn je. So steuere man heuer auf einen neuen Gästerekord zu, sagt Edit Nemeth – und das, obwohl „The Tent“ in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der Pandemie komplett geschlossen war. Seit man am 1. Juni die Türen geöffnet habe, hätten durchgängig 300 bis 500 Gäste hier genächtigt, berichtet die Leiterin. Und gerade an den Wochenenden seien die Stockbetten fast immer ausgebucht gewesen.

„Ein wirklich sehr schöner Ort ist das hier“

Doch wer sind die Menschen, die hier im Kapuzinerhölzl eine Herberge suchen? „Im Schnitt sind unsere Gäste 22 Jahre alt und bleiben zweieinhalb Tage in der Stadt“, sagt Edit Nemeth. Ganz oben auf der To-see-Liste der Reisenden stünden das Hofbräuhaus, das KZ Dachau und das „Mickey-Mouse-Castle“, sagt die Leiterin und grinst – also das Schloss Neuschwanstein. Bis in die 1990er-Jahre hinein seien die mit Abstand meisten Rucksackreisenden im „The Tent“ aus den USA gekommen. Inzwischen jedoch stehe seit vielen Jahren Deutschland an der Spitze der häufigsten Herkunftsländer, sagt Edit Nemeth.

Aber auch viele Holländer finden ihren Weg ins Kapuzinerhölzl: so wie Chiel Meiberg, der am Vorabend bis weit nach Mitternacht am Lagerfeuer gesessen ist. Dass er sich anstelle eines gewöhnlichen Hostels für eine Übernachtung im „The Tent“ entschieden hat, sei auf jeden Fall eine gute Wahl gewesen, bekräftigt der 19-Jährige – auch wenn seine Nacht im Stockbett etwas unruhig war. „Meine Matratze war ziemlich durchgelegen und irgendwann ist es richtig kalt geworden“, sagt der Holländer. „Aber insgesamt ist das hier wirklich ein sehr schöner Ort.“  

Während der Wiesn dürfte hier das eine oder andere längere gute Gespräch stattfinden. Wer noch Party macht, muss allerdings Rücksicht auf die anderen Gäste nehmen. Denn „The Tent“ ist ein Ort der Toleranz. (Patrik Stäbler)

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