Leben in Bayern

Susanne Waldmann mit einer Tasse voller Soli-Taler – wer will, darf zugreifen und mit ihnen die Ware im Laden bezahlen. (Foto: Pat Christ)

24.06.2022

Unverpackt-Laden in Würzburg: Unternehmerin mit sozialer Ader

Im Unverpackt-Laden der Würzburgerin Susanne Waldmann können auch Menschen mit wenig Geld einkaufen – sie bezahlen aus einer Kasse, für die andere spenden

Sie selbst war als Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen und weiß also, wie es sich anfühlt, arm zu sein. Um Menschen mit wenig Geld zu unterstützen, hat Susanne Waldmann in ihrem Laden einen „Soli-Taler“ eingeführt, mit dem auch Leute mit magerer Börse gesunde Lebensmittel kaufen können. Allerdings: Seit Corona und dem Ukraine-Krieg wird die Soli-Kasse immer leerer.

Sich an einer Lebensmittel-Tafel anstellen zu müssen, sichtbar für alle, die vorbeigehen, empfinden nicht wenige als demütigend. Was Susanne Waldmann sehr gut verstehen kann. Sie hat selbst erfahren, was es heißt, arm zu sein. „Als ich meine drei Kinder alleine erzog, lebte ich für kurze Zeit von Hartz IV“, erzählt die Chefin des Würzburger Unverpackt-Ladens. Diese Erfahrung brachte sie dazu, über Solidarität nachzudenken. Das mündete in die Idee, den sogenannten Soli-Taler in ihrem Laden einzuführen.

„Für mich waren das immer schwere Gänge, wenn ich aufs Amt musste, um Geld zu beantragen“, erzählt Waldmann. Und zwar auch dann, wenn sich die Beschäftigten der Behörde ihr gegenüber freundlich verhielten. „Unabhängig davon macht der Gang zum Amt einen Bürger meiner Erfahrung nach zu einem besonderen Menschen, und zwar nicht im positiven Sinn“, so die gelernte Sozialarbeiterin. Ihre Idee: Die Möglichkeit zum solidarischen Einkaufen in ihrem Unverpackt-Laden soll dieses ausgrenzend Besondere eliminieren.

Betritt jemand den Laden mit nur noch fünf Euro in der Tasche, ist das kein Hindernis, Obst, Gemüse oder Gebäck für zehn Euro zu erstehen. Die fehlenden fünf Euro werden über den sogenannten Soli-Taler finanziert. Seit vier Jahren besteht nun diese Möglichkeit. Anfangs musste Susanne Waldmann die Menschen dazu ermutigen, sich aus der Soli-Kasse zu bedienen. Die Scheu, sich einfach einen Taler aus der weißen Tasse zu angeln, war groß. Allmählich aber begannen Kund*innen mit magerer Börse, zuzugreifen. Auch weil sie verstanden, so Waldmann, dass sie etwas Gutes für sich tun, wenn sie gesunde Lebensmittel kaufen. Gleichzeitig profitiert aber auch die Umwelt, indem sie sich für Waren ohne Plastikverpackung entscheiden. Waldmann: „Und sie unterstützen die tollen Landwirte, mit denen wir kooperieren.“

Die Soli-Kasse befüllen Menschen mit einer Spende. Und in den vergangenen Jahren war sie meist gut gefüllt. Denn bei Waldmann kaufen viele Reichere ein. In letzter Zeit aber flossen die Spenden weniger üppig. Das lag auch an der Corona-Krise. Seit dem Ukraine-Krieg aber sank der Kassenstand noch weiter ab.

Manchmal sind nur noch fünf oder sechs Euro drin

Aktuell sind an manchen Tagen nur fünf oder sechs Euro in der Soli-Kasse „Die Menschen scheinen ihre Prioritäten gerade zu verschieben“, beobachtet die Ladenbesitzerin. Was sie verwundert. Denn Krise hin oder her: Waldmann ist sich ziemlich sicher, dass das Gros der gut betuchten Kund*innen nicht wesentlich weniger Geld zur Verfügung habe als zuvor. Ärmeren Mitmenschen hingegen gehe es inzwischen oft deutlich schlechter. Doch das scheine den Wohlhabenden noch nicht wirklich bewusst zu sein, meint sie. Zu sehen ist das auch bei den Tafeln. Viele sind inzwischen in einer äußerst schwierigen Situation. Die Nachfrage wächst aufgrund steigender Preise für Lebensmittel. Und auch Flüchtlinge aus der Ukraine nutzen die Hilfe. Waldmann sieht die Tafeln grundsätzlich kritisch. Nicht nur, weil es für sie etwas Demütigendes hat, wenn Menschen sich in einer langen Schlange für kostenloses Obst und Gemüse anstellen müssen. Sie findet es vor allem bedenklich, dass in den vergangenen Jahren eine eigene Infrastruktur für arme Menschen geschaffen wurde. Bedürftige seien gezwungen, „besondere Plätze“ aufzusuchen, um sich zu versorgen: Tafeln, Sozialkaufhäuser, Kleiderkammern oder Umsonstläden. „Meist braucht man einen besonderen Schein, um diese Orte aufzusuchen“, weiß Waldmann. Auch für die Nutzung der Tafel muss die Bedürftigkeit nachgewiesen werden. Etwa mit einem ALG-II-Bescheid. Oder mit einem Papier, das darlegt, wie mager die Rente ist. All das trennt in Waldmanns Augen Arme vom Rest der Gesellschaft.

„In anderen Kulturen geht man besser mit Armut um“, betont sie. Ein Vorbild für sie: Italien. Dort bekomme man an vielen Orten einen „Caffè sospeso“ – wörtlich übersetzt einen „aufgeschobenen Kaffee“. Er wurde bereits im Voraus bezahlt für Menschen, die zu wenig Geld haben, um sich einen Kaffee in der Bar leisten zu können. Der Schriftsteller Luciano De Crescenzo beschreibt diesen Brauch in seinem Buch Il caffè sospeso – Espresso mit Herz.


Wenn jeden Tag dieselben die Kasse plündern, funktioniert es nicht

In Würzburg gibt es seit 2016 eine ähnliche Initiative mit dem Namen „Kaffee.Plus“. Laut Homepage machen sieben Cafés derzeit mit. „Letztlich hat sich die Idee hier allerdings nicht durchgesetzt“, weiß Waldmann. Und zwar deshalb, weil die beteiligten Cafés oft keine guten Erfahrungen machten, sagt sie. Zum Teil seien dieselben Leute fünfmal am Tag gekommen, um sich einen Kaffee zu holen. Was zeigt: Solidarität ist nicht nur bei denjenigen gefragt, die geben, sondern auch bei denjenigen, die nehmen. Geben die einen zu wenig und nehmen die anderen zu viel, funktioniert es nicht.

Und auch Waldmann persönlich kennt mittlerweile dieses Problem. Denn nachdem ihr Projekt des solidarischen Einkaufens mehrere Jahre lang sehr gut für alle Beteiligten lief, kommt nun sehr häufig immer wieder dieselbe Person in ihren Laden, um die Soli-Kasse zu plündern. Noch weiß Waldmann nicht genau, wie sie damit umgehen soll.

Eines aber wurde ihr in den letzten Wochen klar: Soziales Verhalten sei in unserer Gesellschaft ganz offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr, meint sie. „Das hat etwas mit Bildung zu tun.“ Die Vermittlung sozialer Verhaltensweisen komme zu kurz. Stattdessen ginge es um Konkurrenz, darum, der oder die Beste zu sein. Denn das finde am meisten Beachtung. Nicht das soziale Verhalten. Und im Berufsleben setze sich das fort. Gewinnstreben stünde an allererster Stelle, so Waldmann.

Ihr hat das noch nie gefallen. Weshalb sie, die als Einzelunternehmerin begann, den Unverpackt-Laden in eine Genossenschaft umwandelte. Seit Ende 2020 ist er im Genossenschaftsregister eingetragen. Keiner habe die „Macht“, sondern alle Genoss*innen eine Stimme, wenn wichtige Entscheidungen anstehen. Auch die Wahl dieser Unternehmensform ist für Waldmann ein Akt der Solidarität. Und ein Akt der Demokratie – alles in allem also auch ein politisches Statement. Für eine bessere Vermittlung von sozialem Verhalten, Eigenverantwortung und Verantwortung für das Gemeinwohl im Bildungssystem. (Pat Christ)
 

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