Leben in Bayern

Im Novermber starb ein 14-Jähriger bei einem Raserunfall in München. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

03.12.2019

Wenn das Auto zur Waffe wird

Jedes Jahr werden Tausende Menschen in Bayern bei Raserunfällen verletzt, mehr als hundert getötet. Warum fahren so viele Menschen zu schnell oder schätzen ihre Geschwindigkeit falsch ein?

Bruchteile einer Sekunde können über Leben oder Tod entscheiden. Ist ein Auto mit 180 Stundenkilometern auf einer Straße unterwegs und der Fahrer hat nicht die volle Kontrolle, wird es vom Transportmittel zur Waffe. In vielen Fällen mit tödlichem Ausgang. 176 Menschen sind laut Statistischem Landesamt bei Unfällen wegen zu hoher oder nicht angepasster Geschwindigkeit im Jahr 2018 in Bayern ums Leben gekommen, 64 im ersten Halbjahr 2019.

Mitte November raste ein 34-Jähriger in München mit seinem Auto in eine Gruppe Jugendlicher. Ein 14-Jähriger starb kurz darauf. Wenige Tage später verurteilte das Landgericht Deggendorf zwei Männer nach einen tödlichen Raser-Unfall im Bayerischen Wald zu je fünf Jahren Haft. Vergangene Woche verhängte das Amtsgericht München eine vierjährige Haftstrafe gegen einen 62-Jährigen, der fast ungebremst in ein Auto gerast war. Drei Menschen starben. Und auf der Autobahn 8 bei Fürstenfeldbruck lieferten sich jüngst zwei Autofahrer mutmaßlich ein Rennen mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde. Es endete in einem Unfall mit drei Verletzten. Die Meldungen scheinen sich zu häufen.

Dass viele Menschen ihr Auto bei solch hohen Geschwindigkeiten nicht mehr zu hundert Prozent kontrollieren können, davon ist Thomas Wagner überzeugt. Er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie und beschäftigt sich seit Jahren mit Rasern. "Diese Menschen brettern über die Autobahn und schätzen das als beherrschbar ein. Das Gegenteil ist der Fall", sagt Wagner. Für die Dekra entscheidet er über die Fahrtauglichkeit von Verkehrssündern.

Raser teilt er in zwei Gruppen ein. Zum einen Menschen mit laut Wagner "geschwindigkeitsaffiner Fahrweise", und Menschen, die Rasen als Wettbewerb begreifen. Eines sei beiden Gruppen gemein: "Sie unterschätzen die Gefahr und überschätzen ihre eigene Kompetenz, mit hohen Geschwindigkeiten umgehen zu können", sagt Wagner.

Verkehrsregeln werden großzügig ausgelegt

Die erste Gruppe sei dabei um einiges größer als die zweite. Diese Menschen zeigten eine generelle Sorglosigkeit und legten Verkehrsregeln großzügig aus. "Sie stellen ihr unmittelbares Mobilitätsbedürfnis in den Mittelpunkt und gehen davon aus, dass sie kaum entdeckt werden, wenn sie zu schnell unterwegs sind", so Wagner.

Strafen als Konsequenz würden als zu lasch erachtet, sagt der Experte. Die Bilanz in Bayern: Bei 7078 Unfällen wegen nicht angepasster oder zu hoher Geschwindigkeit wurden im vergangenen Jahr Menschen verletzt, bei 2523 solcher Unfälle kam es laut Landesamt für Statistik zu Sachschaden. Mit leichten Schwankungen verharren diese Zahlen seit Jahren auf einem gleichbleibenden Niveau.

Doch für Wagner spielt die zweite Gruppe eine entscheidende Rolle: Menschen, die Rasen als Wettbewerb begreifen. "Diesen Menschen geht es um Anerkennung und einen positiven Stellenwert in der sozialen Gruppe, in der sie sich aufhalten." Dies holten sie sich bei Rennen. "Egal ob gegen einen oder mehrere Gegner oder nur gegen sich selbst und die eigene Uhr." Die Persönlichkeit der Fahrer zeichne sich oft durch gesteigerte Abenteuerlust, sogenanntes Sensation Seeking, aus. "Raser möchten abwechslungsreiche und intensive Eindrücke machen. Dafür nehmen sie auch Gefahren für sich und andere Menschen in Kauf."

Täter sind vor allem junge Männer

Begünstigt würden solche Rennen zunehmend durch neue Formen der Automiete über das Internet, sagt Wagner. Dort sind PS-starke Autos über Carsharing-Anbieter für eine Kurzzeitmiete inzwischen verhältnismäßig einfach verfügbar. Hinzu komme der Austausch von Rasern über soziale Netzwerke, die Möglichkeit zur gegenseitigen Bestätigung. "Das alles senkt die Hemmschwelle, um zum Raser zu werden", sagt der Verkehrspsychologe.

Raserunfälle sind zudem vor allem ein von jungen Männern verursachtes Problem. Bei Unfällen mit Verletzten wegen nicht angepasster Geschwindigkeit in Bayern waren in den Jahren 2017 und 2018 fast drei Viertel (72 Prozent) der Fahrer männlich. Etwa jeder Fünfte (21 Prozent) war zwischen 25 und 35 Jahren alt, wie aus den Verkehrsunfallstatistiken des Landesamts hervorgeht.

Um gegen illegale Autorennen strenger vorgehen zu können, wurde im Oktober 2017 ein neuer Straftatbestand eingeführt. Paragraf 315d des Strafgesetzbuchs stellt "verbotene Kraftfahrzeugrennen" unter Strafe. Schon im ersten Jahr nach der Einführung verurteilten bayerische Gerichte 40 Menschen wegen der Teilnahme an illegalen Autorennen, wie Justizminister Georg Eisenreich (CSU) jüngst mitteilte.

Eine solch strenge Ahndung von Rasern begrüßt auch Verkehrspsychologe Wagner. Damit es gar nicht erst zu Unfällen oder Todesfällen kommen kann, würde er aber gerne früher ansetzen. Für ihn wäre es denkbar, dass Autofahrer etwa schon bei zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen und einem Rotlichtverstoß obligatorisch einen verkehrserzieherischen Kurs besuchen müssten. Die Forschung untermauere den positiven Effekt eines solchen Vorgehens, sagt der Experte. Doch ähnlich wie das Tempolimit, das deutlich weniger Todesfälle im Straßenverkehr verspreche, finde dies bislang keine politische Mehrheit.
(Sebastian Schlenker, dpa)

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