Leben in Bayern

Nur mithilfe der Krankenkasse konnte für Anneliese B. endlich ein Transport organisiert werden. Die Rückfahrt aber platzte. (Foto: Stumberger)

30.08.2019

Wenn der Krankentransport nicht kommt

Damit die Wohnung nicht zur Falle wird, sind kranke und alte Menschen bei Fahrten auf Hilfe angewiesen – doch viele Patienten müssen stundenlang warten

Klingt eigentlich nach keinem großen Ding: Eine Münchner Seniorin mit Beckenbruch soll in eine Arztpraxis zum Röntgen gefahren werden. Doch die Organisation des Transports entpuppt sich als Odyssee. Erst findet sich kein Unternehmen, das den Krankentransport übernehmen will. Und als die Fahrt dann doch endlich klappt, holt die alte Dame niemand ab, um sie nach Hause zu bringen. Kein Einzelfall.

Ob in München, Augsburg oder Nürnberg: Wer auf einen Krankentransport angewiesen ist, muss sich mitunter auf lange Wartezeiten einstellen. Auch Anneliese B. aus München hat das erlebt. Die 84-jährige Seniorin erlitt vor Wochen einen Beckenbruch. Gehen kann sie noch immer nicht. Doch der Behindertentransporter, der sie zu einer Untersuchung in eine Radiologiepraxis brachte, holte sie nicht wieder ab. Nach dem Röntgen wartete Anneliese B. vergebens auf ihn. Schließlich fuhr ihre Tochter sie in ihrem Privatauto nach Hause.

Das Problem: Die Wohnung von Anneliese B. liegt im ersten Stock. Einen Lift im Haus gibt es nicht. Nur dank des Nachbarn aus der Erdgeschosswohnung und des inzwischen dazugekommenen Schwiegersohns schaffte es Anneliese B. wieder zurück in die eigenen vier Wände. Die beiden Männer schleppten sie auf einem Küchenstuhl die Stufen hinauf in ihre Wohnung. Glücklicherweise ging alles gut. „So a G’frett“ – so ein Ärgernis –, schimpft die Seniorin auf gut Bairisch.

Und Anneliese B. ist kein Einzelfall. Immer wieder haben Patienten Probleme mit Krankentransporten. Lokalzeitungen berichten regelmäßig darüber. „Patienten müssen teils stundenlang auf einen Krankentransport warten“, schreibt die Augsburger Allgemeine. In der Nürnberger Zeitung heißt es ebenfalls: „Krankentransporte: Viele Patienten müssen Stunden warten“. Der Grund: fehlende Kapazitäten. Fahrten ins Krankenhaus haben Priorität. Termingebundene Fahrten, etwa zum Röntgen, sind zweitrangig. Ganz unten auf der Liste stehen Rücktransporte nach Hause. So wie der von Anneliese B.

Anneliese B. lebt mit ihrem 90-jährigen Mann in einer Wohnung in München-Giesing. Alles war gut – bis Anneliese B. im Wohnzimmer stürzte. Sie kam mit einem Beckenbruch in die Klinik, nach sieben Tagen wurde sie wieder entlassen. Nach Hause, weil sie in die Reha nicht wollte. Das aber stellte sich als Fehler heraus. Denn die Treppen im Haus wurden für sie ein Hindernis, das sie aus eigener Kraft nicht überwinden konnte. Als sich der Zustand von Anneliese B. signifikant verschlechterte, stellte sich die Wohnung als Falle heraus.

Denn laut kassenärztlicher Verordnung sollten Ärzte zwar Hausbesuche machen. Doch von B.’s Hausarzt hieß es, er habe sein vorgeschriebenes Kontingent an Hausbesuchen schon ausgeschöpft. Also holte die Tochter bei den Ärzten Rezepte ab. Und Medikamente, die sie der Mutter selbst spritzen sollte. Ein Rezept betraf die Anwendung von Lymphdrainagen wegen der angeschwollenen Beine durch einen Physiotherapeuten. Doch die Tochter musste schnell erfahren: „Die machen auch keine Hausbesuche mehr.“ Etliche Physiotherapeuten habe sie vergeblich angerufen, erzählt sie. Schließlich fand sie einen, der auch ins Haus kam. Doch der erschien nur drei Mal. Dann blieb er aus ungeklärten Gründen fern. „Das rechnet sich wohl nicht“, mutmaßt die Tochter.

Als sich der Zustand der Mutter weiter verschlechterte, ist die Familie alarmiert. Schließlich kam ein Orthopäde doch noch zu einem Hausbesuch. Der Sturz von Anneliese B. war nun fast sieben Wochen her. Der Arzt beschloss, sie müsse geröntgt werden, um den Zustand des Bruchs feststellen zu können. Die Seniorin bekam einen Transportschein, damit Helfer sie die Treppe hinunter und in das Ärztezentrum bringen. Und damit begann eine Woche, in der die Tochter nahe an den Rand eines Nervenzusammenbruchs kam.

Ein Hindernis: die vielen Baustellen in Bayern

Die Zeit drängte, die Röntgenpraxis hatte nur noch ein paar Tage offen, bevor die Ärzte in den Urlaub gingen. Die Tochter organisierte noch schnell einen Termin in der Radiologie. Und musste feststellen, dass die Tücke im Detail liegt. Der Arzt hatte auf dem Transportschein das Kästchen „Krankentransport“ angekreuzt. Den aber gibt es nur für Transporte in ein Krankenhaus. Bei B.’s Besuch der Radiologie handelte es sich offiziell um einen Behindertentransport. Die Tochter setzte sich ans Telefon, um den Transport für die Mutter zu organisieren. Beim Arbeiter-Samariter-Bund hieß es, man mache keine Behindertentransporte mehr. Das Gleiche bei den Maltesern. Die Johanniter verwiesen an die Rettungsleitstelle. Und das Rote Kreuz ließ wissen, man unternehme keine Fahrten innerhalb der Stadt. „Ich war schließlich völlig fertig mit den Nerven, habe geheult“, erzählt B.’s Tochter.

Sie wandte sich schließlich an die Krankenkasse. „Es ist so schwer, jemanden zu finden, können Sie das bitte machen, ich kann nicht mehr“, klagte sie dort. Doch auch bei der Krankenkasse stellte man fest, dass die Aufgabe nicht einfach war. Um die Mittagszeit zum Beispiel sind viele Transportunternehmen mit den Fahrten von Dialyse-Patienten beschäftigt. Schließlich fand sich endlich ein Spezialfahrdienst, der an dem mit der Röntgenpraxis vereinbarten Termin Zeit hatte. Anneliese B. wurde im Rollstuhl die Treppen hinuntertransportiert. Die Tochter: „Das hat gut funktioniert, der Mann war sehr nett.“

Doch für den Rücktransport warteten Mutter und Tochter. Und warteten. Mehrmals rief man bei der Transportfirma an. Es lief ein Anrufbeantworter mit Handy-Weiterleitung. Nach eineinhalb Stunden beschloss die Tochter, mit dem eigenen Auto zurückzufahren. Bei späterer Nachfrage redete sich das private Transportunternehmen heraus, man habe auf einen Anruf gewartet.

Bei den Krankenkassen will man von Problemen mit Verspätungen oder Ausfällen von Krankentransporten nichts wissen. Transportunternehmen allerdings geben zu: „Im Patientenfahrdienst kommt es in den regionalen Ballungsräumen zu Spitzenzeiten manchmal zu Verspätungen“, so die Johanniter-Unfall-Hilfe. Allerdings seien sie eine Ausnahme. In der Stellungnahme heißt es weiter: „Natürlich erschweren Baustellen oder erhöhtes Verkehrsaufkommen die Pünktlichkeit der Fahrten.“ Und in Bayern reiht sich im Sommer Baustelle an Baustelle. (Rudolf Stumberger)

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