Politik

14.09.2012

Abgeordnete müssen sich schlauer machen

Mit seiner Europa-Entscheidung stellt Karlsruhe das demokratische Minimum wieder her - jetzt ist das Parlament gefragt

Es ist derselbe 12. September gewesen, an dem das Bundesverfassungsgericht seine Europa-Entscheidung bekanntgab und an dem der Bundestag Haushaltsberatungen aufnahm, die es wieder einmal in sich haben. Deutschlands Neuverschuldung wird mit 18,8 Milliarden Euro beziffert. Die Meinung, die Deutschen hätten Geld wie Heu, sollte also in Südeuropa nicht weiter verbreitet werden. Auch die Generosität der Regierung Merkel beruht auf Pump.
Die ungeheuerliche Wahrheit, dass in Brüssel die Bundesrepublik mit 190 Milliarden haftet, ging dem Gerichtspräsidenten Voßkuhle leicht von den Lippen. Doch wenigstens hat er die ebenso ungeheuerliche Absicht der europäischen Finanzjongleure vereitelt, bei Bedarf die Summe zu erhöhen, und das über alle deutschen Geldgeberköpfe hinweg. Die Freude des Klägers Gauweiler über das völkerrechtliche Novum, dass ein Gericht dem unterschreibenden Bundespräsidenten Vorbehalte gegen einen internationalen Vertrag diktiert, ist also höchstwahrscheinlich echt. Bei einer Aufstockung jenes Betrages muss die Kanzlerin zu ihrem Leidwesen doch wieder die Abgeordneten fragen und womöglich um ihre Kanzlermehrheit zittern.

Eigentlich wollte Merkel das Problem outsourcen


Eigentlich war Angela Merkel auf Outsourcing bedacht. Andere sollten über den Euro entscheiden, andere damit auch politische Schuld auf sich laden, etwa die an den Schulden. Stillschweigend duldete die Bundesregierung die Errichtung einer monströsen, für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zuständigen Behörde in Luxemburg. Es war, als solle sich dort ein Geheimdienst häuslich niederlassen. In den Statuten war von einer Pflicht zur Verschwiegenheit und von der Immunität des Personals die Rede. Jetzt hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts das demokratische Minimum wiederhergestellt. Selbstverständlich muss das deutsche Parlament über die Arbeit des ESM unterrichtet werden, unumwunden und uneingeschränkt.
Aber ist dieser Stabilitätsmechanismus, den das Gericht im Großen und Ganzen guthieß, nicht Schnee von gestern? Hat nicht Mario Draghi im Sinn, den Geldregen jeweils nach eigenem Gutdünken über Teile des alten Kontinents niedergehen zu lassen? Diese berechtigten Fragen veranlassten den Kläger Peter Gauweiler, in einem nachgeschobenen Eilantrag die Blicke des Zweiten Senats in Richtung Europäische Zentralbank zu lenken. Die Erweiterung des juristischen Blickwinkels ist Gauweiler gelungen, lehnte Voßkuhle den Eilantrag doch mit der schmeichelhaften Begründung ab, das Thema verdiene nicht Eile, sondern sorgfältigste Behandlung im noch ausstehenden Hauptsacheverfahren.

Kohls und Waigels Wille


Die Angelegenheit bleibt also in der Schwebe, mag es auf Anhieb auch nicht jedem einleuchten, was die deutsche Verfassung mit einem aus Italien stammenden Zentralbankpräsidenten zu tun hat, der Staaten wie Griechenland, Spanien oder auch Italien finanziell beglücken möchte. Sehr viel, ließe sich erwidern, habe sie damit zu tun, eben weil Draghi nicht mehr als Banker, sondern als Politiker auftrete und sich Kompetenzen anmaße, die das Grundgesetz dem Parlament oder der Bundesregierung zuweise. Es ist ein gutes Zeichen, dass kurz nach der Karlsruher Entscheidung in Berlin ein Streit darüber aufflackerte, ob Draghi nach eigenem Gusto handle oder in seine neue Rolle von verantwortungsscheuen Potentaten gedrängt worden sei.
Voßkuhle betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass Politik die Aufgabe der Politiker sei. Bei dieser Betrachtungsweise sind politische „Hoffnungen auf Karlsruhe“ demokratische Armutszeugnisse. Der wünschenswerteste Effekt der verfassungsrechtlichen Bemühungen wäre, dass alle unsere Abgeordneten ein wenig internationale Finanzpolitik studierten. Um die sich publikumswirksam zu kümmern, müsste für die Leute von der CDU/CSU schon deshalb Ehrensache sein, weil es nun einmal Kohls und Waigels Wille war, den Kontinent nicht irgendwie, sondern über den Euro zu vereinheitlichen. Die Abgeordneten sollten sich viel Zeit nehmen, vielleicht jene Zeit, die auch bedächtige Karlsruher Richter für ihre Entscheidungen beanspruchen. (Roswin Finkenzeller)

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