Was ist Familie? Vater, Mutter, Kinder – dieses traditionelle Bild tragen vor allem Konservative und Kirchen nach wie vor wie eine Monstranz vor sich her. Und selbstverständlich sind Mutter und Vater in diesem Bild verheiratet – idealerweise „bis dass der Tod sie scheidet“.
Doch mit der Realität hat das immer weniger zu tun. „Alleinerziehende, Paare ohne Trauschein oder Patchwork-Konstellationen nehmen zu. Der Anteil der traditionellen Ehe hingegen nimmt ab“, sagt Doris Rauscher, familienpolitische Sprecherin der Landtags-SPD. Was allerdings weitgehend fehlt: rechtliche Rahmenbedingungen und Unterstützungsmöglichkeiten, die diesen veränderten Familien- und Lebenskonstellationen gerecht werden. „Familie ist da, wo Menschen für einander Verantwortung übernehmen“, betont Rauscher. Nichteheliche Partnerschaften jedoch seien in Deutschland bislang völlig ungeregeltes Terrain – „im Todesfall gibt es etwa trotz gemeinsamer Kinder keinerlei Ansprüche, es sei denn, es liegt ein Testament vor“.
In Frankreich ist das anders. Dort gibt es seit 16 Jahren den Pacte civil de solidarité (Pacs). Eine Art Ehe light, in der Partner gemeinsam besteuert werden, ein Auskunfts- und Besuchsrecht im Krankenhaus haben und im Todesfall des Partners eine Rente erhalten. Alles andere regeln die Paare über einen zivilrechtlichen Vertrag, der relativ unkompliziert wieder aufgelöst werden kann.
Partnerschaftsvertrag auch für Senioren-WGs
Die Einführung eines Partnerschaftsvertrags wünschen sich auch immer mehr Politiker in Deutschland. Auch weil die Lightversion der Ehe bei den Franzosen gut ankommt. Sie macht dort heute mehr als 40 Prozent der formalisierten Paarbeziehungen aus. Und sie wird seltener aufgelöst als die klassische Ehe. Grüne im Bundestag erarbeiten gerade ein Konzept, wie eine deutsche Version des Pacs aussehen könnte. Und auf dem SPD-Bundesparteitag Anfang Dezember wurde beschlossen, neben der Ehe „eine weitere, legal abgesicherte Form des Zusammenlebens“ zu entwickeln.
Sascha Vogt, Mitglied im SPD-Parteivorstand, ist einer der Initiatoren, die neben der klassischen Ehe eine rechtliche Absicherung für Partnerschaften fordern. Und die Idee geht weit über den Pacs hinaus. So soll auch für Senioren-WGs oder Mehrelternfamilien ein Partnerschaftsvertrag eingeführt werden. „Auch außerhalb der klassischen Paarbeziehung übernehmen Menschen für einander Verantwortung“, betont Vogt. Auskunfts- und Besuchsrecht, Erbrecht und Mietrecht sollten entsprechend angepasst werden. Vogt sagt aber auch: „Wir wollen nicht die Ehe in Frage stellen, sondern sehen den Partnerschaftsvertrag als eine Ergänzung.“
Allerdings ist das eine Ergänzung, die in das Weltbild der Christsozialen einfach nicht passt. Justizminister Winfried Bausback und Familienministerin Emilia Müller lehnen eine Ehe light rundheraus ab. Ihr Argument: Das Grundgesetz gebiete einen besonderen Schutz von Ehe und Familie. Der Einführung einer Ehe light als Alternative zur Ehe mit anderen Rechten und Pflichten stünden in Deutschland „hohe, letztlich nicht zu überwindende Hürden entgegen“, sagt Bausback. Und für andere Partnerschaftsformen gelte ohnehin der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Bedarf an einer gesetzlichen Regelung sieht Bausback deshalb nicht.
Dass es nur die traditionelle Ehe geben darf, ist überholt
Ob es sinnvoll ist, alles gesetzlich zu erfassen, bezweifelt auch Ludwig Bergschneider, der etwa auf die Möglichkeit einer Vorsorgevollmacht verweist. Der Münchner Familienanwalt betont aber auch, dass sich die CSU bei dieser Frage immerzu auf das Grundgesetz berufe, sei längst „überholt“. Er hält eine Ehe light und Partnerschaftsverträge keineswegs für verfassungswidrig. Mit dieser Argumentation sei man ja auch bei der Einführung der Lebenspartnerschaft für Homosexuelle gescheitert. Auch Michael Dudek, Geschäftsführer des Münchner Anwaltsvereins betont: „Der Gesetzgeber hat hier Gestaltungsmöglichkeiten.“ Selbst wenn Deutschland etwas hinterherhinke, Familienrecht sei immer im Fluss, sagt Bergschneider. „Ich bin mir sicher: Auch die Homo-Ehe wird kommen.“
Die Einführung der „Ehe für alle“ will auch die gesamte Landtagsopposition. „Darauf liegt unser Augenmerk“, sagt die Grüne Verena Osgyan, Vize und familienpolitische Sprecherin der Fraktion. Nichtsdestotrotz unterstütze sie alle Überlegungen, Partnerschaften besser abzusichern. Auch Gaby Schmidt von den Freien Wählern sieht in der Einführung eines Zivilpaktes eine sinnvolle Ergänzung. „Damit würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die traditionelle Ehe mit ihren Stärken würde in der bewährten Form erhalten bleiben. Gleichzeitig eröffnen wir Menschen die Möglichkeit, Verantwortung in spezieller Form für einander zu übernehmen.“ Und SPD-Frau Rauscher unterstützt ohnehin den Prozess, den ihre eigene Partei auf Bundesebene angestoßen hat. „Denn am Ende könnte ein Modell stehen, das die bereits heute vorhandene Vielfalt an Lebens- und Familienentwürfen bestmöglich würdigt und unterstützt – ohne das bekannte Modell der klassischen Eheschließungen zu vernachlässigen.“
„Das ist Unfug“, poltert dagegen Kerstin-Schreyer-Stäblein, Fraktionsvize der CSU. „Wir laufen Gefahr, dass die Ehe zur vertraglichen Beliebigkeit verkommt.“ Sie selbst habe von Beispielen aus Frankreich gehört, in denen wildfremde Menschen einen Pacs schließen würden, nur um leichter an eine Wohnung zu kommen.
Eins zu eins den Zivilpakt aus Frankreich umsetzen will man aber ohnehin nicht. Eckpunkte sollen für das Regierungsprogramm 2017 entwickelt und mit den Bürgern diskutiert werden, erklärt SPD-Mann Vogt. Eines steht allerdings schon fest, was in diesem Konzept stehen wird: die Entwicklung des Ehegatten-Splitting hin zu einem Familiensplitting. Vogt: „Auch im Steuerrecht müssen wir dafür sorgen, dass vor allem Familien mit Kindern unabhängig von der Familienform stärker gefördert werden.“
(Angelika Kahl)
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