Politik

Regale einräumen für fünf Euro die Stunde - für Werkvertrags-Beschäftigte laut Verdi leider ganz normal. (Foto: dapd)

30.03.2012

Arbeit als Ramschware

In Bayern setzen immer mehr Betriebe auf schlecht bezahlte Werkverträge - vor allem Autobauer, Einzelhandel, Fleischindustrie

Dass er nur ein „Mitarbeiter zweiter Klasse“ war, bemerkte Frank Scherer (Name geändert) bei seiner ersten BMW-Weihnachtsfeier. Der Chef seiner Abteilung habe allen die Hand gegeben. „Nur mir nicht“, erinnert sich der Ingenieur. Scherer glaubt den Grund zu kennen: „Ich gehörte nicht zur Stammbelegschaft, sondern war per Werkvertrag von einer anderen Firma ausgeliehen.“ Jahrelang habe er in der Münchner Enwicklungsabteilung des Autokonzerns gearbeitet. „Ich musste dasselbe machen, wie die fest angestellten BMW-Mitarbeiter, doch ich verdiente deutlich weniger als meine Kollegen“, erzählt der Bayer. Zudem habe er länger arbeiten müssen und auch nicht von den bei BMW obligatorischen Prämien und Zusatzleistungen profitiert.
Scherer ist kein Einzelfall. Bis zu 5000 Menschen sind nach Schätzungen der IG Metall bei BMW als Werkarbeiter beschäftigt. Viele davon im Leipziger Werk. Bis zu 1000 Euro im Monat weniger als die Stammbelegschaft verdienen die ostdeutschen Werkarbeiter der Gewerkschaft zufolge. Doch auch in München und Regensburg gibt es offenbar eine wachsende Zahl von Werkarbeitern. Anstatt die Leiharbeiter im Regensburger Werk selbst zu beschäftigen, kaufe BMW „Dienstleistungen“ bei einem Subunternehmer, berichtet die Internetzeitung Regensburg Digital. Statt mindestens 11,61 Euro verdienten manche Arbeiter so nur noch 7,79 Euro in der Stunde. „Auf diesem Weg will die Firma Dumpinglöhne durch die Hintertüre einführen“, mutmaßt ein Mitglied des Gesamtbetriebsrats im Gespräch mit der Staatszeitung.
Ein BMW-Sprecher weist die Kritik zurück. BMW verlange von Dienstleistern, dass sie sich bei der Bezahlung der eingesetzten Mitarbeiter „an rechtliche und für ihre Branche geltende tarifliche Rahmenbedingungen halten“. Halte sich ein Dienstleister oder Lieferant nicht daran, dann beende BMW die Geschäftsbeziehung, so der Sprecher. Die Zahl der Werkarbeiter wiederum werde von der Personalabteilung nicht erfasst.

Jobben für 5 Euro die Stunde


Nicht nur bei BMW klagen Arbeitnehmervertreter über eine Zunahme schlecht bezahlter Werkverträge. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht von zehntausenden „missbräuchlichen Werkverträgen“ im Freistaat aus. Diese Angestellten erhielten „drastisch weniger Geld als regulär Beschäftigte“, moniert Bayerns DGB-Boss Matthias Jena. Er weiß von Betrieben, die bereits mehr als ein Fünftel ihrer Arbeitnehmer über Werkverträge beschäftigen. „Kaum ist es uns in einigen Bereichen gelungen, die Leiharbeit wenigstens etwas vernünftiger zu regeln, suchen die Arbeitgeber schon wieder neue Schlupflöcher“, klagt Jena. So verkomme Arbeit zur „Ramschware“.
Beim klassischen Werkvertrag lassen Firmen Teile ihrer Produktion von Fremdfirmen fertigen. Selbst Mega-Konzerne wie Siemens setzten seit einiger Zeit auf dieses Modell. Nicht ohne Grund: Bis zu 40 Prozent weniger als das Stammpersonal verdienen Werkarbeiter im Nürnberger Lieferzentrum des Elektronikriesen. Auch Audi soll laut IG Metall einige Tausend Werkarbeiter beschäftigen.
Besonders häufig findet sich dieses Lohnmodell dem DGB Bayern zufolge jedoch im Dienstleistungsbereich, besonders im Einzelhandel. Während Werkarbeiter in der Industrie zwar meist deutlich weniger als ihre fest angestellten Kollegen verdienen, aber von ihrem Lohn noch leben können, geht es für zahlreiche Angestellte von Discountern um die nackte Existenz. Denn immer mehr Handelsketten umgehen mithilfe von Werkverträgen gültige Tarif- und Mindestlöhne. „Regale für fünf bis sechs Euro die Stunde einzuräumen ist für Werkvertrags-Angestellte im Westen ganz normal“, sagt eine Sprecherin der Gewerkschaft Verdi. Allerdings müssen Firmen, die Werkarbeiter ausleihen, einige Regeln beachten: So dürfen die Gast-Angestellten nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden sein und von diesem keine Weisungen erhalten. Sonst droht Ärger mit der Staatsanwaltschaft.

Schlachthäuser. Die Dumpinglohn-Zentren der Republik


Ende Januar durchsuchte der Zoll Büros der Einzelhandelsketten Netto und Kaufland. Der Vorwurf: Beide sollen rechtswidrige Werkverträge mit ihren Lagerarbeitern und Stapelfahrern abgeschlossen haben. Manche bayerischen Mitarbeiter sollen angeblich weniger als 6 Euro verdient haben. Ähnlich sieht es in der Fleischindustrie aus. Laut einer Studie sind mittlerweile vier von fünf Schlachtern in Großfleischereien mit Werkverträgen ausgestattet. „Deutsche Schlachthäuser entwickeln sich zum Dumpinglohn-Zentrum der Republik“, heißt es bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Neben dem schlechteren Verdienst kritisieren Gewerkschafter auch die bei Werkverträgen eingeschränkte Mitbestimmung. Der örtliche Betriebsrat des entleihenden Unternehmens ist für Werkangestellte – anders als bei Zeitarbeitern – nicht zuständig. Der Grund: Aus Werkverträgen erbrachte Leistungen gelten als Sach- und nicht als Personalkosten. Selbst schwerste Verstöße gegen den Arbeitsschutz bleiben so mitunter ungeahndet. Auch der Kündigungsschutz wird ausgehebelt. „Scheinwerkverträge müssen verboten werden“, fordert deshalb Bayerns DGB-Chef Jena.
Die Bundesregierung sieht derzeit dennoch keinen Handlungsbedarf. Der Bremer Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler erwartet deshalb eine weitere Zunahme der Werkvertragsarbeit.
Frank Scherer hat mittlerweile übrigens einen neuen Job gefunden – ohne Werkvertrag. (Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. Arbeitnehmervertreter am 02.04.2012
    Gut das endlich mal jemand das Thema Leiharbeit aufnimmt und es für die Öffentlichkeit publik macht. Lohndumping der Arbeitgeber ist ein gesellschaftliches Problem und führt dazu, das der Staat in die Bresche springen muss.
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