Politik

Die Suche nach einem Corona-Impfstoff gestaltet sich schwierig, einige Kandidaten aber werden bereits getestet. (Foto: dpa/Christoph Schmidt)

18.09.2020

Auf der Suche nach dem Retter

Wo genau die Probleme bei der Corona-Impfstoffentwicklung liegen

Vergangene Woche war die Aufregung groß, als der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca mitteilte, dass die klinische Studie für einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 vorübergehend auf Eis gelegt sei. Wegen der Erkrankung einer Probandin in Großbritannien. Dabei galt das betreffende Vakzin, das AstraZeneca in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford entwickelt, bisher als einer der aussichtsreichsten Kandidaten unter den potenziellen Impfstoffen gegen Corona. Nun, nach Ankündigung der Unterbrechung, war plötzlich die Rede von einem schweren Rückschlag für die Forschung.

Eine Einschätzung, über die renommierte Experten wie Gerd Sutter und Jörg Vogel nur den Kopf schütteln können. „Der Vorfall in Großbritannien ist ein ganz normaler Prozess bei der Entwicklung von Impfstoffen“, sagt Sutter, Impfstoffforscher an der Uni München. Auch Vogel, Direktor des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg, bleibt gelassen: „Das würde ich nicht überbewerten. So etwas kann in der dritten klinischen Phase durchaus passieren, bei 10 000 bis 30 000 Testpersonen.“

Beide Experten verweisen darauf, dass AstraZeneca und die Universität Oxford die Arbeit an der Studie schon nach wenigen Tagen wieder aufgenommen hätten, nachdem die britische Gesundheitsbehörde erklärt hatte, dass die Sicherheit gewährleistet sei. „Für die Experten in der Prüfkommission war wohl relativ schnell klar, dass es bei der Erkrankung der Testperson keinen Zusammenhang mit der Impfung gibt“, sagt Gerd Sutter.

Der Münchner Virologe arbeitet selbst an einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2, der auf einem molekularbiologisch entwickelten Impfvirus beruht und für den die klinischen Studien voraussichtlich in wenigen Wochen beginnen. Vogel hingegen widmet sich der Grundlagenforschung in Sachen RNA-Impfstoffe, wobei im Vergleich zu den klassischen Methoden ein verhältnismäßig neuer Ansatz verfolgt wird. Diese Vakzine liefern lediglich eine Art Bauplan, ein kleines Stück Erbinformation des Virus – um den Körper des Geimpften dazu zu bringen, ein Antigen zu produzieren und sich so gegen den Krankheitserreger wehren zu können.

Gegen diverse Viren wurden nie Impfstoffe gefunden

Bisher ist noch kein derartiger Impfstoff zugelassen worden. Unter den potenziellen Kandidaten gegen Sars-CoV-2 seien aber gleich mehrere RNA-Impfstoffe, sagt Vogel: „Da wird für sie die Stunde der Wahrheit schlagen.“ Beide Experten rechnen damit, dass Vakzine gegen die Corona-Pandemie im Lauf des nächsten Jahres auf den Markt kommen. Obwohl sie nur allzu gut ermessen, mit welchen Schwierigkeiten die Impfstoffforschung zu kämpfen hat.

Eine Herausforderung: Wie lange wirken die Vakzine überhaupt? Darüber hinaus müsse man erst einmal eine Struktur finden, die sich für die Impfung eigne, sagt Vogel. Eine, die das Immunsystem als fremd erkennt und wogegen es Antikörper und Killerzellen produziert. Und es gilt, die geeignete Dosis zu finden, um einen Impfschutz aufzubauen, bei möglichst geringen Nebenwirkungen.

Bei etlichen Viren ist das bisher noch gar nicht gelungen. Gegen das HI-Virus etwa, das Aids auslöst, wird noch immer nach einem Impfstoff gesucht. Was auch daran liege, dass dieser Krankheitserreger extrem wandlungsfähig sei, erklärt Gerd Sutter. Auch gegen Noro-, Rhino- und Adenoviren, die zu Magen-Darm- beziehungsweise Erkältungskrankheiten führen können, gibt es keine Vakzine. Das hängt mit ihrer schieren Zahl zusammen. „Es gibt so viele davon, dass es keinen Sinn macht, einen Impfstoff gegen einen von ihnen zu entwickeln“, sagt der Virologe.

Doch selbst wenn es schon einen Impfstoff gibt, kann es noch zu Problemen kommen. Da war zum Beispiel die Schluckimpfung gegen Polio, die in Deutschland ab 1962 jahrelang durchgeführt wurde. Vor allem Kindern wurde dabei ein Stückchen Zucker verabreicht, beträufelt mit einer Flüssigkeit, die einen Lebendimpfstoff gegen die Krankheit enthielt. Eigentlich ein segensreiches Verfahren, sagt Gerd Sutter. Schließlich seien dadurch Millionen von Menschen vor der Krankheit bewahrt worden, die zu schwerwiegenden Lähmungen führen kann. Erst mit der Zeit stellte sich heraus, dass jenes Vakzin in seltenen Fällen zu einer Impf-Poliomyelitis führte, dass es also genau die Erkrankung auslöste, die es eigentlich verhindern sollte. Deshalb sei es 1998 in Deutschland und anderen Industrienationen durch einen Impfstoff mit inaktivierten Viren abgelöst worden, erklärt der Virologe. Für Unruhe sorgten 2010 auch Berichte darüber, dass der Impfstoff Pandemrix, der gegen die Schweinegrippe eingesetzt wurde, bei Kindern das Risiko erhöhe, an Narkolepsie zu erkranken, eine Art Schlafsucht. Jörg Vogel betont jedoch, dass bisher nicht ganz klar sei, ob es wirklich einen Zusammenhang mit der Impfung gegeben habe.

Komplikationen gab es darüber hinaus im Fall eines Impfstoffs gegen das Dengue-Fieber. Gegen die Krankheit gibt es zwar ein Vakzin. Es zeigte sich jedoch, dass die Impfung zugleich das Risiko erhöhen kann, dass es im Infektionsfall zu gefährlichen Komplikationen kommt. Dengue sei jedoch „ein Spezialfall, ein Ausnahmeproblem“, sagt Gerd Sutter. Denn dieses Virus gibt es in vier verschiedenen Serotypen. Die Schwierigkeit dabei: Die Immunantwort gegen einen Serotypus kann die Erkrankung nach einer Infektion mit einem der anderen Typen verstärken. Das passiere regelmäßig auch bei natürlichem Dengue-Fieber, erklärt der Virologe.

Trotz aller Probleme plädieren beide Experten dafür, nicht nur die Risiken, sondern vor allem die Chancen von Impfungen im Blick zu haben. „Kein Impfstoff, der nicht sicher ist, wird es auf den Markt schaffen“, sagt der Würzburger Vogel. Und er betont, dass man die Corona-Pandemie ohne Vakzine kaum in den Griff bekommen werde: „Das kriegen Sie nur über Impfstoffe beendet. Ohne sie würde das womöglich noch fünf oder zehn Jahre dauern.“
(Brigitte Degelmann)

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