Politik

Aus dem Bundesgebiet sind bereits mehr als 450 Islamisten in den Krieg gereist. (Foto: dpa)

21.11.2014

Aus Bayern in den Dschihad

Knapp 100 islamistische Extremisten wurden aus dem Freistaat ausgewiesen – die Opposition nennt das Terrorexport

Er will unbedingt zurück nach Deutschland: Der Allgäuer Salafist Erhan A., der im Oktober in die Türkei abgeschoben wurde und dessen Wiedereinreiseverbot für sieben Jahre gilt, hat Klage gegen seine Ausweisung eingereicht. Anfang Oktober hatte der 22-jährige A. in einem Interview erklärt, dass er sogar seine Familie töten würde, „wenn sie sich gegen den Islamischen Staat (IS) stellt“. So jemand „hat bei uns letztlich nichts verloren“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und nennt Abschiebung den „einzig richtigen und konsequenten Weg“. Der Klage selbst sieht er gelassen entgegen.
In den vergangenen zehn Jahren wurden 96 aus Bayern stammende islamistische Extremisten abgeschoben. Die Ausweisungen gingen auf das Konto der Arbeitsgruppe BIRGiT, in der Ausländerbehörden, Verfassungsschutz und Landeskriminalamt unter der Leitung des Innenministeriums Informationen zu islamistischen Gefährdern sammeln. BIRGiT steht für: Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus beziehungsweise Extremismus.
Und die BIRGiT-Spezialisten haben mehr zu tun denn je. Innenminister Herrmann warnt vor einer kontinuierlich wachsenden Salafistenszene in Bayern und auch vor deren zunehmender Radikalisierung. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes leben derzeit 570 Salafisten in Bayern. Bei 50 von ihnen gebe es konkrete Hinweise, dass sie zu Kämpfen nach Syrien oder den Irak ausgereist sind oder es planen. Bundesweit sind bereits mehr als 450 Islamisten in den Krieg gezogen.
Der UN-Sicherheitsrat hat eine Resolution verabschiedet, die Staaten auffordert, die Ausreise von IS-Kämpfern in das Kriegsgebiet zu verhindern. Für Innenminister Herrmann aber steht die innere Sicherheit an erster Stelle. Statt einem Ausreiseverbot habe die Ausweisung und Abschiebung  bei Ausländern grundsätzlich Vorrang, sagt er.

Was der Innenminister auch erwägt: Ausweis einziehen

Katharina Schulze, innenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, nennt das „Terrorexport auf Staatskosten“. Sie fordert: „Wir müssen die Ausreise für Personen, bei denen die akute Gefahr besteht, dass sie sich islamistischen Terrortruppen anschließen, erschweren und nicht erleichtern.“ Eva Gottstein (Freie Wähler), Vize-Vorsitzende des Innenausschusses im Landtag, räumt zwar ein, dass die Sicherheitsinteressen der Menschen in Deutschland gewahrt werden müssten. „Aber die Betroffenen ins Ausland abzuschieben, heißt auch, die Probleme ins Ausland abzuschieben“, betont sie. Auch für Peter Paul Gantzer, sicherheitspolitischer Sprecher der Landtags-SPD, steht an erster Stelle, „junge Leute nicht in den Krieg ziehen zu lassen“. Er aber relativiert: „Man muss sich jeden Einzelfall genau ansehen.“ Und sich vor allem fragen, warum ein junger Mann wie Erhan A., der hier aufgewachsen ist und Abitur gemacht hat, in die radikale Szene abrutscht. „Dass ein radikaler Hass-Prediger, der zu Gewalt aufruft, abgeschoben wird, halte ich aber für richtig.“
Allerdings sind die wenigsten Gefährder in Bayern Ausländer. Im Innenministerium schätzt man den Anteil der gewaltbereiten Islamisten mit deutschem Pass auf etwa zwei Drittel. Und diese können nach geltendem Recht überhaupt nicht abgeschoben werden.

Besonders gefährlich: zurückkehrende Kämpfer

Bei ihnen verfolgt Herrmann deshalb ein andere Strategie: Sie sollen  an einer Ausreise nach Syrien oder in den Irak gehindert werden – zum Beispiel mit Meldeauflagen. Derzeit kann allerdings nur der Reisepass von Gefährdern eingezogen werden. Herrmann macht sich deshalb in Berlin dafür stark, dass Behörden auch den Personalausweis einkassieren können. Auf einem Ersatzdokument soll dann vermerkt sein, dass eine Person nicht berechtigt ist, das Bundesgebiet zu verlassen. Die Opposition in Bayern unterstützt die Pass-Initiative. Nur die Grüne Schulze sieht auch eine Gefahr: „Ein Personalausweisentzug könnte kontraproduktiv sein“, gibt sie zu bedenken. „Denn wer aufgefordert wird, seinen Ausweis abzugeben, kann dadurch eher versuchen, möglichst schnell seine Pläne umzusetzen.“
Florian Herrmann (CSU), Vorsitzender des Innenausschusses, hat solche Bedenken nicht. Er will von gewaltbereiten Salafisten nicht nur den Personalausweis einziehen, sondern sie gleich ganz aus der deutschen Staatsbürgerschaft entlassen können. „Es muss möglich sein, Mitgliedern von Kampfverbänden terroristischer Vereinigungen mit einer zusätzlichen ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen“, fordert er.  Aktuell geht das nur, wenn jemand in die Armee des Landes eintritt, für das er die zweite Staatsbürgerschaft besitzt. Innenminister Herrmann möchte diese Regelung auf Organisationen wie den IS ausdehnen. „Früher war doch gar nicht vorstellbar, dass solche Organisationen entstehen, die für sich staatliche Anerkennung fordern, tatsächlich aber nichts anderes sind als Terrororganisationen“, betont er, und spricht von einem „völlig neuen Phänomen“.
Zurückkehrenden Kämpfern will Innenminister Herrmann eine Wiedereinreise ins Bundesgebiet dauerhaft verbieten. Allein seit Oktober 2013 wurde sieben ausländischen Salafisten unter Leitung der AG BIRGiT die Wiedereinreise verwehrt. Darunter auch einem jungen Türken, der in der Oberpfalz geboren wurde. Von Rückkehrern gehe eine besonders große Gefahr aus, betont Herrmann. „Sie haben einschlägige Erfahrungen im Umgang mit Sprengstoff und Waffen gesammelt. Ihre Radikalisierung ist bei einer Rückkehr stärker ausgeprägt und ihre Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt deutlich gesunken.“ (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Roland am 21.11.2014
    BIRGIT schön und gut!

    Aber bitte wo bleibt in solch gelagerten Fällen ein veschleunigtes
    Verfahren vor den zuständigen Gerichten?
    Wie kann es sein, dass solche Klageverfahren mehrere Jahre auf kosten
    der Steuerzahler dauern?
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