Ein Viertel der bayerischen Handwerksbetriebe findet weder ausreichend Nachwuchs noch Facharbeiter. Abhilfe sollen Auszubildende aus Spanien schaffen. Dabei gibt es im Freistaat genug Schulabgänger.
Bäckermeister Martin Reicherzer aus München hat wieder nicht ausreichend Lehrlinge gefunden. Vier von sieben Ausbildungsplätzen in seinem Betrieb sind nicht besetzt. Vielen Handwerksmeistern geht es ähnlich wie Reicherzer: Laut einer Umfrage der deutschen Handwerkskammer blieb im vergangenen Jahr jede dritte Lehrstelle leer.
Im restlichen Bayern war die Situation kaum besser: Für jeden vierten Ausbildungsplatz fehlte ein Lehrling. Das Problem ist nicht neu: Seit Jahren haben Handwerksbetriebe Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Reicherzer klagt: „Die Situation ist in den vergangenen drei Jahren immer schlimmer geworden.“ Und es mangelt nicht nur an Lehrlingen. Die Handwerksbetriebe finden auch kaum Facharbeiter. Rund ein Viertel aller oberbayerischen Betriebe – 12 500 Firmen – klagten Anfang des Jahres in einer Umfrage der Handwerkskammer über fehlendes Personal. Der Präsident des bayerischen Handwerkstags, Heinrich Traublinger, glaubt, dass man die Umfrageergebnisse aus Oberbayern auf den gesamten Freistaat übertragen kann.
Der Personalmangel hemmt bereits die Entwicklung vieler Unternehmen: Trotz eines Umsatzwachstums von 7,5 Prozent konnten die knapp 200 000 Handwerksbetriebe in Bayern 2011 die Zahl ihrer Arbeitsplätze nur um 1,1 Prozent steigern, auf rund 809 000. „Und uns erwartet ein weiteres Boomjahr: Die Nachfrage nach Handwerkern ist riesig“, sagt Heinrich Traublinger. „Der Personalmangel wird sich deshalb verschärfen.“ Die unbesetzten Lehrstellen haben direkt mit dem Fachkräftemangel zu tun: Die Handwerksbetriebe rekrutieren ihre Angestellten vor allem über die interne Berufsausbildung.
Radikaler Vorschlag
Kurz vor der Heim- und Handwerksmesse in München hat Handwerkstagspräsident Traublinger deshalb eine radikale Lösung vorgeschlagen: Die bayerischen Betriebe sollen Jugendliche aus krisengeplagten EU-Ländern ausbilden, zum Beispiel aus Spanien, wo 45 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind. Die Handwerkskammer für München und Oberbayern plant bereits, mit dem spanischen Generalkonsulat Nachwuchs für Bau-, Metall-, Kfz-, Elektro- und Nahrungsmittelbetriebe anzuwerben.
Bäckermeister Reicherzer, gleichzeitig Lehrlingswart der Münchner Bäckerinnung, ist von der Idee begeistert. Vor kulturellen und sprachlichen Schwierigkeiten hat er keine Angst. „Dabei gibt es in Bayern noch ausreichend Schulabgänger für die angebotenen Lehrstellen“, sagt eine Sprecherin der Gewerkschaft IG-Metall. „Die Handwerksbetriebe müssen sich einfach mehr um die jungen Leute bemühen, gute Gehälter und Aufstiegsmöglichkeiten bieten.“ Doch die Handwerksbetriebe klagen, den meisten Bewerbern fehle die Motivation. Reicherzer sagt: „Sie haben kein Interesse an Handwerksberufen, keine Lust auf Arbeit oder eine schlechte Schulbildung.“ Gleichzeitig sinkt das Ansehen des Handwerks in der Gesellschaft: Immer mehr entscheiden sich für eine Universitätsausbildung, immer weniger für eine Lehre.
Die Opposition gibt der Politik die Schuld
Um diese Probleme weiß auch der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Er setzt sich deshalb für die Gleichwertigkeit von schulischer und beruflicher Bildung ein. Unter anderem hat er durchgesetzt, dass Handwerker mit Meistertitel in Bayern studieren können. „Die Menschen sind unterschiedlich; deshalb brauchen wir unterschiedliche Wege zum beruflichen Erfolg“, sagt Zeil. Prinzipiell unterstützt er die Initiative, im Ausland nach Lehrlingen zu suchen. Er ist sicher, dass wegen des demografischen Wandels in Bayern bald tatsächlich Nachwuchs fehlen wird. Aber bevor sein Ministerium den Handwerksbetrieben bei der Akquise im Ausland hilft, will Zeil „das Potenzial in Bayern ausschöpfen“. Er unterstützt deshalb gerade eine Nachwuchskampagne, die Jugendliche im Freistaat motivieren soll, ein Handwerk zu erlernen.
Die Opposition im Landtag ist überzeugt, dass die bayerische Schulpolitik für den Nachwuchsmangel verantwortlich ist. „Derzeit sind 20 Prozent der Kinder nach dem Schulabschluss nicht ausreichend auf eine Ausbildung vorbereitet. Das muss sich ändern“, sagt Markus Reichhart, handwerkspolitischer Sprecher der FW-Fraktion. Er schlägt vor: intensivere schulische Förderung und Berufseinstiegsbegleitung in kleinen und mittleren Betrieben. Maria Scharfenberg, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, fordert: „Wir müssen vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund besser auf eine Ausbildung vorbereiten. Viele von ihnen sind potenzielle Lehrlinge für Handwerksbetriebe.“ (Veronica Frenzel)
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