Politik

Jeder kann sich in Bayern künftig testen lassen, übernimmt die Krankenkasse die Kosten nicht, springt der Freistaat ein. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

29.06.2020

Bayern will Corona-Tests für Jedermann

Im Freistaat können sich ab Juli alle Bürger gratis auf Corona testen lassen - auch ohne Symptome. Außerhalb Bayerns stößt der Plan auf viel Kritik und prompt hat Deutschland ein neues Streitthema

Der bayerische Sonderweg mit kostenlosen Corona-Tests für alle Bürger des Freistaats hat sich bundesweit zum Streitfall entwickelt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigte das Konzept am Montag gegen die Kritik von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und anderen Bundesländern. "Das ist die einzige ernsthafte Option, es wird sonst zu wenig getestet", sagte der CSU-Chef am Montag in München.

Der Freistaat Bayern erweitere das Testangebot jetzt: "Wir warten nicht auf endlose Gespräche zwischen einzelnen Kostenträgern, sondern wir gehen in Vorleistung, weil wir glauben, dass neben Abstand halten Testen die einzige ernsthafte Chance ist, Infektionsketten zu unterbrechen", sagte Söder.

Am Dienstag will das Kabinett in München das neue Konzept beschließen, welches neben Serientests für das gesamte medizinische Personal, für die Altenpflege und Behinderteneinrichtungen auch freiwillige Angebote für Lehrer und Erzieher vorsieht. Laut Söder drohen hier nach den Ferien Gefahren für eine erneute Ansteckungswelle.

24-Stunden-Garantie bei Symptomen

Eigentlicher Streitpunkt sind aber kostenlose Testmöglichkeiten für jeden, auch ohne Krankheitssymptome. Bei Tests von Personen mit Symptomen soll es zudem eine 24-Stunden-Garantie geben, bis das Testergebnis vorliege, sagte Söder. Dabei will der Freistaat Tests bezahlen, die nicht auf Kassenkosten gehen. Kalkuliert wird zunächst mit einem dreistelligen Millionenbetrag.

Angesichts der Planungen treffe die geäußerte Kritik, etwa von Spahn, viele Corona-Tests ohne systematisches Vorgehen seien nicht zielführend, auf Bayern nicht zu. "Wir haben ja genau ein System entwickelt", sagte Söder.

Auch Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) wies die Kritik zurück: Bayerns Corona-Testkonzept laute nicht "einfach nur viel testen". Der Freistaat biete aber allen Menschen, die auf eine Infektion auf SARS-CoV-2 getestet werden wollten, die Möglichkeit dafür. "Dies kann niemand ernsthaft kritisieren." Man erhoffe sich durch die zusätzlichen Tests auch Zufallsbefunde, über die neue Infektionsketten eingedämmt werden könnten. "Nur weil jemand symptomlos ist, heißt das ja nicht, dass er nichts hat."

Statt Kritik am bayerischen Testplan forderte Söder mit Blick auf die Lage außerhalb Bayerns, beim Ausbau des Gesundheitssystems nicht nachzulassen. "Dazu gehört dringend, die Gesundheitskapazitäten in den Krankenhäusern zu verbessern, die Gesundheitsdienste auszubauen und eben auch Testen zu stärken", sagte er. "Jeder, der Tests weniger macht, gefährdet damit insgesamt die verbesserte Situation, die wir derzeit haben." Aus der bayerischen Staatsregierung hieß es zudem, dass man sich wünsche, dass sich der Bund noch stärker bei der Finanzierung von Corona-Tests in Deutschland einbringen würde.

Spahn krisiert fehlendes systematisches Vorgehen

Als Beispiel nannte Söder die hohe Zahl an Corona-Fällen im Kreis Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) infolge der Vorkommnisse in einem Schlachtbetrieb. Plötzlich werde wieder alles getestet. "Hätte man das vielleicht ein bisschen eher gemacht, hätte man manches vielleicht verhindern können." Für Bayern bleibe es dabei: "Wir wollen einfach eine größere Testkapazität haben. Und der Eindruck ist, dass es die Patienten besonders annehmen. Patientenschützer bedanken sich dafür und wollen es auch in ganz Deutschland."

Spahn hatte am Montag bei Twitter das geplante Angebot von Corona-Tests für jedermann in Bayern kritisiert: "Einfach nur viel testen klingt gut, ist aber ohne systematisches Vorgehen nicht zielführend. Denn es wiegt in falscher Sicherheit, erhöht das Risiko falsch-positiver Ergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität." Er betonte: "Testen, testen, testen - aber gezielt." Das entspreche der mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) entwickelten nationalen Teststrategie. Auch andere Bundesländer kündigten reihenweise an, nicht dem bayerischen Testweg folgen zu wollen.

Bayerns Hausärzte erwarten angesichts der Einführung von Corona-Tests für jedermann zusätzliche Arbeit. "Wir bereiten uns darauf vor, dass es mehr Interesse gibt", sagte der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Markus Beier. Er begrüßte die Pläne für vorbeugende Corona-Tests. "Es macht Sinn, auch Menschen ohne Symptomatik zu testen. Bisher war aber nicht klar, wer bezahlt wann und wie die Tests." Wie viele Menschen die Möglichkeit für vorbeugende Tests nutzten, müsse man abwarten.
Derzeit sehen die Laborkapazitäten in Bayern rund 21 000 Corona-Tests pro Tag vor. Seit Beginn der Pandemie wurden rund 1,1 Millionen Tests durchgeführt.
(Marco Hadem und Christoph Trost, dpa)

Fragen & Antworten: Testen, testen, testen - aber wie genau?
Sie sind ein Kernpunkt der Corona-Strategie made in Germany: Frühe Tests auf breiter Front, um dem Virus über Ketten infizierter Menschen hinweg möglichst auf der Spur zu bleiben. Eine neue Verordnung ermöglicht inzwischen schon bundesweit deutlich mehr Tests auf Kassenkosten auch ohne Krankheitsanzeichen - besonders in sensiblen Bereichen wie Kliniken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas. Doch geht da noch mehr? Bayern prescht vor und will generell Tests für jedermann anbieten. Das stößt nicht bei allen auf Zustimmung.

Was für ein Testkonzept plant Bayern genau?
Die Details will das Landeskabinett an diesem Dienstag beschließen. Im Kern fußt der Plan auf einer Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung zum 1. Juli. Sie sieht vor, dass sich auch alle ohne Symptome bei Praxisärzten testen lassen können. Daneben sollen freiwillige Tests in Einrichtungen mit gefährdeten Personen etwa in Pflege- und Altenheimenå sowie Kliniken ausgebaut werden. Gleiches gilt für Tests von Lehrern und Erziehern. Geplant ist auch eine Test-Offensive in der Fleischbranche. "Wir warten nicht auf endlose Gespräche zwischen einzelnen Kostenträgern, sondern wir gehen in Vorleistung", sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Wie können solche Massentests funktionieren?
Mit einer Laborkapazität von 21 000 Tests am Tag werden sich die rund 13 Millionen Menschen in Bayern natürlich nicht sofort testen lassen können. Es ist aber auch nicht davon auszugehen, dass überhaupt alle davon Gebrauch machen wollen. Zu Spitzenzeiten in den vergangenen Monaten lag die Zahl der Tests nie über 18 000 pro Tag. Wer Symptome hat, soll künftig innerhalb eines Tages getestet und binnen weiterer 24 Stunden sein Ergebnis erhalten. Ohne Symptome dauert es etwas länger: ein Test in 48 Stunden und ein Ergebnis in einer Woche. Dabei will der Freistaat Tests bezahlen, die nicht auf Kassenkosten gehen. Kalkuliert wird zunächst mit einem dreistelligen Millionenbetrag.

Was halten Wissenschaftler von Tests für jedermann?
Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg sieht die Möglichkeit, so ein Frühwarnsystem zu schaffen. Insofern machten auch Tests in Dörfern Sinn, in denen es seit Wochen keine Infektionen gab, sagte er ntv und RTL. Es gehe darum, Herde früh aufzudecken, um schnell einzugreifen. Max Geraedts von der Universität Marburg hält es dagegen für wichtiger, diejenigen, die mit Risikogruppen etwa in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen zu tun haben, regelmäßig zu testen und Tests schnell auszuwerten. "Wenn alle getestet werden, läuft man Gefahr, dass sich der Ergebnisbericht verzögert und Kapazitäten, die für diese Gruppen nötig sind, ausgeschöpft sind."

Welche Risiken sehen die Forscher beim bayerischen Testkonzept?
Selbst gute Tests hätten laut Geraedts in rund einem Prozent der Getesteten ein positives Ergebnis, obwohl keine Infektion vorliege (falsch positiv). Dadurch könnten viele Menschen in Quarantäne gehen, die eigentlich gesund sind - am Ende würden zum Beispiel Pflegekräfte fehlen. Zudem könne es sein, dass der Test ein Prozent der Infizierten nicht als solche erkennt. Von 100 in Wahrheit Infizierten finde der Test dann 99. "Eine Person wird nicht entdeckt und denkt, sie habe nichts." Dann könne sie weiter ungeschützt andere infizieren.
Einige Getestete könnten sich auch in falscher Sicherheit wiegen, gibt Hans-Georg Kräusslich von der Universität Heidelberg zu bedenken: "Negativ getestete Menschen sind nur zum Zeitpunkt des jeweiligen Tests negativ, den Status von einer Woche zuvor oder einer Woche danach kann der Test nicht erkennen." Deswegen seien aus epidemiologischer Sicht eher Tests bei speziellen Personen sinnvoll.

Wie ist die bundesweite Linie?
"Testen, testen, testen", sagt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er fügt jedoch an: "Aber gezielt." Denn einfach nur viel zu testen, klinge gut, sei aber ohne systematisches Vorgehen nicht zielführend. Konkret sollen vor allem Corona-Brennpunkte ins Visier rücken - zum Beispiel grundsätzlich alle, die in Kliniken aufgenommen werden. Gesundheitsämter und Ärzte können aber auch in weiteren Fällen Tests ohne Symptome veranlassen: Für "Kontaktpersonen", die mit Infizierten in einem Haushalt leben oder für längere Gesprächen zusammen waren. Wenn die neue Corona-App sich meldet. Oder Reihenuntersuchungen für alle in Einrichtungen wie Pflegeheimen, Schulen und Kitas, wenn es einen Corona-Fall gab. So läuft es aktuell auch für große Schlachthöfe.

Wie viel "Luft" bei Tests gibt es noch?
Die Kapazitäten sind im Laufe der Pandemie stark hochgefahren worden. Spielraum ist also da, auch wenn wegen einiger lokaler Ausbrüche wieder mehr getestet wurde. Mitte Juni waren es laut Berufsverband Akkreditierte Labore in der Medizin 335 000 Tests in einer Woche, aktuell möglich wären 910 000. Der Anteil positiver Tests stieg dabei wieder auf 1,4 Prozent. Geregelt ist auch, dass Tests regelmäßig wiederholt werden können - bei Personal in Kliniken und der Pflege zum Beispiel einmal bei Tätigkeitsbeginn und dann alle zwei Wochen wieder. Für Ärger bei Laboren sorgte da, dass sie für die inzwischen zur Massenware gewordenen Tests weniger Vergütung bekommen sollen - ab diesem Mittwoch noch 39,40 Euro statt mehr als 50 Euro pro Test.
(dpa)

Kommentare (1)

  1. Nachfragen am 30.06.2020
    Selbstverständlich wird man bei breit angelegtem Testen einiges finden. Aber dann auch bitte die Zahlen bei der Veröffentlichung ins Verhältnis setzen. Die immer wieder genannten absoluten Zahlen sagen nichts aus. Bitte die Zahl der positiv getesteten pro 100000 Tests. Und die Zahl der ernsthaft Erkrankten pro 100000 Einwohner. Und die Zahl der Todesfälle mit Durchschnittsalter und Vorerkrankungen. Bei jeder Pressekonferenz verpflichtend diese Angaben. Oder an die Journalisten: Nachfragen und nicht locker lassen ! Vielleicht sollte mal wieder daran erinnert werden, dass der Zweck der Veranstaltung ursprünglich war eine temporäre Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Zumindest wurde das so gesagt. Coronaviren gibt es nicht erst seit diesem Jahr und wird es weiterhin geben. Andere Viren auch. Ob dieses breitflächige testen sinnvoll ist darüber scheint es ja wieder mal unterschiedliche Ansichten zu geben. Das einzige was sicher ist, ist dass es eine gute Möglichkeit ist das Thema weiter am kochen zu halten. Und jetzt die 1 Millionen Euro Frage: Wer könnte daran in der aktuellen Situation wohl Interesse haben ?
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