Politik

Ist angesichts der Vorwürfe erbost: Landkreistagspräsident Christian Bernreiter (CSU). (Foto: Armin Weigel/dpa)

11.02.2019

"Beleidigung aller bayerischer Kollegen"

Da brechen alte Wunden wieder auf. Der ehemalige Innenminister de Maizière kritisiert in einem Buch die Rolle bayerischer Kommunalpolitiker auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015. Das lassen die sich nicht gefallen

Bayerische CSU-Politiker haben mit Verärgerung die Darstellungen des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) zur Flüchtlingspolitik im Herbst 2015 zurückgewiesen. In seinem Buch mit dem Titel "Regieren" kritisiert de Maizière: "Besonders die kommunalpolitisch Verantwortlichen vor Ort in Bayern lehnten eine Registrierung im Grenzgebiet ab und bestanden darauf, dass die Flüchtlinge ohne Registrierung, die in jedem Einzelfall 30 bis 45 Minuten dauert, sofort weiterverteilt werden."

Der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU) wies diese Darstellung im "Münchner Merkur"   als "Unsinn" zurück. Natürlich habe man zuallererst angepackt und geholfen, als jeden Tag 6000 bis 10 000 Flüchtlinge über die grüne Grenze gekommen seien. Erst auf Betreiben der Landräte sei die Registrierung aber überhaupt in geordnete Bahnen geraten. Aus Berlin seien zumeist "nur warme Worte und schlaue Sprüche" gekommen. Vorschläge der Kommunalpolitiker seien in Berlin erst mit Verzögerung aufgegriffen worden: "Das hat wochenlang gedauert."

In der "Passauer Neuen Presse" und dem "Donaukurier" legte Bernreiter, der seit 2014 Präsident des Bayerischen Landkreistages ist, nach. De Maizières Darstellung sei eine "Beleidigung aller bayerischen Kollegen", sagte er den Zeitungen. "Berlin war immer zu spät! Wir mussten uns alles mühsam erkämpfen." Erst Bayern habe dazu beigetragen, Ordnung ins System zu bringen.

Bernreiter: "Schuldzuweisungen sind fehl am Platz"

"Außerdem waren wir es, die alle Ankommenden menschenwürdig aufgenommen haben." Dafür habe sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch wiederholt bedankt, de Maizière aber nie.
"Wir erwarten keinen Dank. Aber Schuldzuweisungen sind absolut fehl am Platz", sagte Bernreiter. Offenbar auf die Rolle de Maizieres 2015 anspielend, fragte er: "Warum musste wohl ein Flüchtlingskoordinator eingesetzt werden?"

Unterstützung bekam Bernreiter von der Rosenheimer Bundestagsabgeordneten Daniela Ludwig (CSU). Sie sagte zu den Vorhaltungen de Maizières: "Bayerische Kommunalpolitiker mussten monatelang die Folgen des Nichthandelns von zuständigen Berliner Verantwortlichen ausbaden. Ihnen jetzt die Schuld in die Schuhe zu schieben, zeigt, dass manche nichts verstanden haben."

Die Grenzöffnung im Spätsommer 2015 und die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) hatten zu einem massiven Streit zwischen CSU und CDU geführt, der jahrelang das Verhältnis der Schwesterparteien belastete. (dpa)

De Maizière kritiert in seinem Buch auch Seehofer
Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat Amtsnachfolger Horst Seehofer (CSU) ehrabschneidende Äußerungen zur deutschen Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Hintergrund ist ein Interview-Zitat des damaligen CSU-Chefs vom Februar 2016, in dem Seehofer eine "Herrschaft des Unrechts" in Deutschland ausmachte, weil Flüchtlinge ungehindert ins Land kämen. In seinem am Montag erscheinenden Buch "Regieren. Innenansichten der Politik", aus dem das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe einen Vorabdruck veröffentlicht, nimmt sich de Maizière seinen unionsinternen Kritiker nun zur Brust.

Mit Blick auf den schwierig zu bewältigenden Zustrom von Asylsuchenden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise schreibt der CDU-Politiker, er verwahre sich gegen den Vorwurf, "ich hätte in dieser Lage nicht rechtmäßig gehandelt, es hätte eine Herrschaft des Unrechts gegeben". Aus seiner Sicht wäre eine Schließung der deutschen Grenzen und Abweisung aller Asylsuchenden in der damaligen Situation zwar "rechtlich möglich gewesen, aber keineswegs zwingend". Nicht alle, aber die meisten Juristen in seinem Ministerium seien gar der Auffassung gewesen, dass das europäische Recht einfache Zurückweisungen nach deutschem Recht verbiete.

Als einer der schärfsten Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sagte Bayerns damaliger Ministerpräsident Seehofer der "Passauer Neuen Presse" im Februar 2016: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts." Damit löste er eine Welle der Empörung aus bis hin zu Forderungen nach einem Rückzug oder Rauswurf der CSU aus der Bundesregierung.

Dazu schreibt de Maizière in dem Kapitel "Krisen und Ausnahmesituationen" seines Buches: "Diese Formulierung überschreitet die politisch zulässige Grenze einer streitbaren Debatte unter Koalitionspartnern. Wenn sich ein Minister nach langen Diskussionen einer Rechtsauffassung anschließt und eine Entscheidung trifft, die er für rechtmäßig hält, die im Nachhinein aber manchen nicht gefällt, dann ist der Vorwurf eines Rechtsbruchs ehrabschneidend." Eine konsequente Zurückweisung wäre aus de Maizières Sicht "nur möglich gewesen unter Inkaufnahme von sehr hässlichen Bildern, wie Polizisten Flüchtlinge, darunter Frauen und Kinder, mit Schutzschilden und Gummiknüppeln am Übertreten der Grenze nach Deutschland hindern".

Seehofer ist mit den Ausführungen seines Amtsvorgängers de Maizière zur Flüchtlingskrise 2015 wenig überraschend nicht einverstanden. Er kenne dessen neues Buch zwar nicht im Original, sagte Seehofer der "Augsburger Allgemeine". Die Darstellung von de Maizière, so wie sie in Medien verbreitet werde, sei aber "objektiv falsch". Seehofer sagte der Zeitung: "Es gehört zum guten Stil, dass ein amtierender Minister nicht die Politik seines Vorgängers öffentlich bewertet." Das Umgekehrte sei "aber auch ratsam".
(dpa)

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