Politik

Aus Sorge vor der Ausbreitung des Coronavirus wird beim Einlass der der Reifenmesse "Tire Technology Expo" in Hannover bei jedem Besucher per elektronischem Screening die Temperatur gemessen. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

26.02.2020

Coronavirus: Was darf der Staat?

Wenn es erforderlich ist, können auch wichtige Grundrechte wie Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit oder Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden

In China stehen Millionenstädte unter Quarantäne, in Norditalien riegeln Polizisten und Soldaten wegen der Coronavirus-Epidemie ganze Ortschaften ab: Nach den jüngsten Nachweisen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen stellt sich einmal mehr die Frage: Wären solche Maßnahmen auch in Deutschland denkbar? Wie sehr darf der Staat seine Bürger im Falle einer Epidemie einschränken?

Das Wesentliche regelt das bundesweit gültige Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums fasst zusammen: "Wenn es erforderlich ist, können auch wichtige Grundrechte wie Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit oder Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden."

Zuständig sind zunächst die Behörden der Länder einschließlich der Gesundheitsämter, wie der Bayreuther Staatsrechtler Stephan Rixen erläutert. "Als Folge des Föderalismus hat der Bund in erster Linie nur koordinierende, keine operativen Aufgaben und Befugnisse." In aller Regel koordiniere auf Landesebene bei solch komplexen Lagen das zuständige Landesministerium die Abläufe. Wird die Lage ernster, übernehme ein Krisenstab mit Vertretern mehrerer Ministerien, der Kontakt zum Robert Koch-Institut (RKI), zum Bundesministerium und zur lokalen Ebene halte.

Den Behörden stehen dann verschiedene Maßnahmen zur Verfügung, bei denen es mal darum geht, das Auftreten einer Krankheit zu verhindern, mal darum, eine Ausbreitung zu bekämpfen. Dann dürften umfangreiche Kontrollmaßnahmen auch auf Grundstücken oder in Verkehrsmitteln aller Art - Flugzeugen, Bussen, Bahnen - vorgenommen werden, erklärt Rixen. Veranstaltungen oder Ansammlungen dürften verboten werden. Personen könne vorgeschrieben werden, einen Ort nicht zu verlassen. Per Verordnung könne etwa geregelt werden, dass Bahnreisende nach Passieren der Grenze kontrolliert werden und bis zur Klärung eines Krankheitsverdachts nicht weiterreisen dürfen.

Und es wird noch persönlicher, wie der Gesundheitsrechtsexperte deutlich macht: So dürften Behörden Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten verlangen. Auch "Krankheitsverdächtigen" und "Ansteckungsverdächtigen" - wie das Gesetz es ausdrückt - könne ein Berufsverbot auferlegt werden. Zum Schutz anderer könnten Menschen auch "in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden", heißt es drastisch in Paragraf 30 des Gesetzes.

"Immer gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip", betont Rixen. "Die Maßnahmen dürfen nicht ins Blaue hinein getroffen werden, sie müssen personell, räumlich und zeitlich bestimmt und begrenzt sein." Die Maßnahmen gelten aber sofort - sie seien also in aller Regel zunächst einmal nicht gerichtlich aufzuhalten. "Der effektive Schutz der Gesundheit hat Vorrang vor effektivem Rechtsschutz", so der Fachmann.

Selbst ein Berufsverbot kann auferlegt werden

Dass ganze Städte wie in China komplett abgesperrt werden, hält Karim Maciejewski von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl bei Köln nicht für möglich. Zwar dürften nach dem IfSG die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden. Der Professor betont aber, dass dies immer nur für einzelne Betroffene gilt, bei denen die Gefahr besteht, andere anzustecken.

RKI-Präsident Lothar Wieler sagt: "Quarantäne von ganzen Ortschaften kann ich mir in Deutschland nicht vorstellen." Menschen mit Lebensmitteln, Wasser und ärztlicher Hilfe zu versorgen, sei in einem Quarantänegebiet sehr schwierig, erläuterte er im ZDF. Das Robert Koch-Institut ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention.

In Berlin steht eine Abriegelung im Katastrophenfall derzeit nicht zur Diskussion, wie es aus der Innenverwaltung des Stadtstaates hieß. Gleichwohl sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD): "Aber natürlich ist der Katastrophenschutz in Berlin vorbereitet. Wir haben die entsprechenden Katastrophenschutzpläne - und würden, wenn es notwendig wäre und eine entsprechende Gefahrensituation festgestellt wird, solche Dinge auch veranlassen können."

Zuständig für die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes sind laut Rixen meist die unteren Verwaltungsbehörden, etwa Landratsämter. Sofern mit Problemen bei der Durchsetzung von Ge- und Verboten zu rechnen ist, werde die Polizei im Wege der Amtshilfe herangezogen - etwa bei der Abriegelung von Wohnvierteln oder wenn die Weiterreise von voll besetzten Zügen verhindert werden muss, so Rixen. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern sei hingegen nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig. Und gerade wenn es nicht um typische Katastrophenhilfe gehe, werde das überwiegend kritisch bis ablehnend gesehen.

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sagte in München: "Bevor über die Abriegelung einer Stadt entschieden wird, sollte zunächst auf andere Lösungsmöglichkeiten gesetzt werden." Der Schutz der Bevölkerung habe oberste Priorität. "Deshalb können auch einschneidende Maßnahmen vorgenommen werden, um eine Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen", sagte Huml. Wichtig sei, im konkreten Einzelfall zu entscheiden und mit Augenmaß vorzugehen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Ruth Waldmann, forderte am Dienstag mehr Informationen der Regierung über Gefahren, Gegenmaßnahmen und Verhaltensweisen bezüglich des Virus. "Der Ausbruch des Virus in Italien schafft eine neue Situation und hat auch für Bayern Auswirkungen", sagte sie. "Nicht zuletzt in der Faschingswoche fahren viele Bayern nach Norditalien und könnten sich dort anstecken." Um Panik zu vermeiden, müsse die Staatsregierung die Bevölkerung umfassend aufklären, forderte Waldmann. "Die Leute müssen wissen, was auf sie zukommen kann und wie sie sich angesichts der potenziellen Bedrohung oder im Ansteckungsfall verhalten sollen."

Dominik Spitzer, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Landtag, warf Huml Verantwortungslosigkeit vor: "Wer in der jetzigen Situation schon von der Abriegelung ganzer Städte als letzte Lösung spricht, der schürt unnötig Panik in der Bevölkerung." Die Ministerin täte aus seiner Sicht stattdessen gut daran, der Bevölkerung die Angst zu nehmen und deutlich zu kommunizieren, wie man sich im Falle des Verdachts auf eine Infektion zu verhalten hat. "Hier herrscht nämlich viel gefährliches Halbwissen bei den Betroffenen." (dpa)

Kommentare (2)

  1. rustyoldguy am 28.02.2020
    So richtig gefährlich wird es dann, wenn der Coronavirus die Flüchtlingslager bei Griechenland erreichen wird.
    So etwas könnte zu einer außerordentlichen Belastungsprobe für die EU werden. Wird dann Griechenland
    quasi alleine gelassen, so könnte dies dann das eine oder andere Mitglied der EU zu ernsthaften Gedanken
    anregen.
    Früher oder später wird er auch mit Emigranten in die BRD kommen. Spätestens dann wird die Ausbreitung
    nicht mehr zu kontrollieren sein. Mit dem Zeigefinger kritisierend auf das kommunistische China zu deuten ist
    mit Blick auf unsere eigene momentane Situation hinsichtlich des Zustandes unseres Gesundheitssystems unangebracht. Wer in der letzten Zeit einmal eine Notaufnahme in Krankenhäusern in Anspruch nehmen musste
    weis warum.
    Zudem sollte sich jeder vor Augen halten, das es sich nicht jeder leisten kann, beim ersten Hustenanfall gleich das schlimmste zu denken und darauf sofort zum Arzt zu rennen.
    Zu denken, man könne eine Pandemie durch Abschottung und Isolation verhindern, ist völlig weltfremd.
  2. Alex am 26.02.2020
    Auf jeden Fall gehören die Wahlen um 3 Monate verschoben, da dadurch die Pandemie noch schneller verteilt wird.
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