Politik

Droht der CSU bei einer Wahlrechtsreform das Aus im Bundestag? (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

14.03.2023

CSU in Angst: Bedrohen Ampel-Pläne die Berliner Existenz?

Jahrelang wurde eine Reform des Bundestagswahlrechts verschleppt, auch von der CSU. Nun liegt ein Vorschlag auf dem Tisch. Und der sorgt nicht nur bei der CSU für nie gekannte Sorgenfalten

Die teilweise Existenzbedrohung für die CSU kommt in komplizierten und teils schwer verständlichen Formulierungen daher. In einem Änderungsantrag von SPD, Grünen und FDP zur geplanten Reform des Bundestagswahlrechts. Doch der Vorschlag hat es in sich.

Sollte er Wirklichkeit werden, könnte folgendes passieren: Die CSU gewinnt bei der nächsten Bundestagswahl wieder nahezu alle Wahlkreise in Bayern direkt, bleibt bundesweit gerechnet bei den Zweitstimmen aber bei 4,99 Prozent stehen, also unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Dann wäre dennoch kein einziger von mehr als 40 eigentlich siegreichen CSU-Bewerbern am Ende im Bundestag vertreten. Oder kurz gesagt: Die CSU würde aus dem Parlament fliegen.

Kein Wunder also, dass CSU-Chef Markus Söder jetzt von einer "Attacke auf die Demokratie" spricht und mit einer Verfassungsklage droht. "Wenn die Existenzberechtigung fundamental in Frage gestellt wird, das ist schon ein dicker Hammer."

Die fünf Prozent als Hürde

Bisher gilt noch zweierlei: Kandidaten, die über die Erststimme in ihrem Wahlkreis direkt gewählt werden, haben einen Sitz im Bundestag sicher, egal wie ihre Partei abschneidet. Und: Gewinnt eine Partei mindestens drei Direktmandate, dann zieht sie, auch wenn sie unter fünf Prozent bleibt, trotzdem gemäß ihres Zweitstimmenanteils in den Bundestag ein.

Davon hat zuletzt 2021 die Linke profitiert: Sie holte bei der Bundestagswahl nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen, sitzt aber nun mit 39 Parlamentariern im Bundestag.

Der Wegfall dieser sogenannten Grundmandatsklausel wäre für sich genommen für die Linke ein Problem, für die CSU weniger. Die Christsozialen lagen stets über der Fünf-Prozent-Hürde.

Zudem gewann die CSU ohnehin meist mehr Direktmandate, als ihr nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis eigentlich zugestanden wären - genau das führte zu Überhang- und dann Ausgleichsmandaten und sorgte mit für die immer weiter fortschreitende Aufblähung des Bundestags. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU 45 von 46 bayerischen Wahlkreisen, 2017 konnte sie sogar noch alle 46 Wahlkreise holen.

Kritik übt die CSU zum einen daran, dass nach dem Reformvorschlag der Ampel-Koalition einige Wahlkreis-Gewinner der CSU - die mit den im bayernweiten Vergleich schlechtesten Ergebnissen - künftig leer ausgehen könnten. Eben weil die sogenannten Überhangmandate wegfallen sollen.

Viel gravierender für die CSU aber ist die drohende Gefahr, dass sie sämtliche Mandate verlieren könnte, eben wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde bliebe. Und so ganz aus der Welt ist das Szenario nicht: 2021 holte die CSU - bundesweit gerechnet - 5,2 Prozent.

Bewusstsein der Gefahr sickert erst allmählich ein

In der CSU-Zentrale schienen die jüngsten Pläne der Ampel, die über das vergangene Wochenende publik geworden waren, eher langsam einzusickern. Noch am Montag wollte Söder von einer Gefahr für seine Partei durch den geplanten Wegfall der Grundmandatsklausel nichts wissen.

"Wir befürchten das eher weniger, weil die Wahrscheinlichkeit eher gering ist" - so tat er es ab, dass seine CSU auf Bundesebene unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen könnte. Diesen Schachzug der Ampel wertete Söder da noch eher als Angriff gegen die Linke.

Tags darauf scheint man sich in München noch einmal grundlegendere Gedanken gemacht zu haben. Von einer fundamentalen Infragestellung der Existenz spricht Söder nun. "Alle Gewählten sind praktisch nicht dabei", klagt Söder nun, das Wahlergebnis werde "uminterpretiert".

Dies wiederum wäre für die gesamte Union hochproblematisch. Würde die CSU bei 4,9 Prozent landen, wären die Stimmenanteile aus Bayern komplett weg und damit mögliche Mehrheiten für die CDU in Gefahr. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Union bisher eher von der Teilung und den damit verbundenen Überhangmandaten profitiert hat.

Sollte die Reform so beschlossen werden und in Karlsruhe Bestand haben, dann bliebe der CSU, wenn sie auf Nummer sicher gehen will, nur eine wie auch immer geartete noch engere Kooperation mit der Schwesterpartei CDU, mit gemeinsamen Wahllisten oder ähnlichem. Fürs Selbstverständnis der CSU dürfte derlei gravierende Folgen haben.

Expertin: "Die CSU hat auch vieles verschleppt"

Noch aber ist es nicht so weit. "Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass das so kommt", sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch.

Bisher habe sie die geplante Wahlrechtsreform noch verteidigt. "Aber jetzt muss ich sagen, hat man schon den Eindruck, dass es ein Spezialgesetz wird gegen die Linkspartei und gegen die CSU." Das sei auch ein Verstoß gegen das Ansinnen, eine Wahlrechtsreform im größtmöglichen Konsens aller anzugehen.

Wobei Münch auch auf das bayerische Landtagswahlrecht verweist: Auch dort bleiben siegreiche Direktkandidaten außen vor und ohne Mandat, wenn ihre Partei landesweit unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt.

Ohnehin ist die CSU nach Ansicht Münchs ein Stück weit aber auch selbst schuld an der aktuellen Situation. "Die CSU hat auch vieles verschleppt und selbst viele strategische Fehler gemacht", sagt sie.

"Hätte man die Reform in der großen Koalition umgesetzt, dann wäre die CSU Herrin des Verfahrens gewesen. Jetzt ist sie Objekt." (Christoph Trost, Marco Hadem, Michael Donhauser, dpa)

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