Politik

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gratuliert Horst Seehofer (l, CSU), zu seiner Ernennung zum Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau im Schloss Bellevue. Rechts Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

14.03.2018

Dämpfer für Merkel

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat bei der Kanzlerwahl nur eine knappe Mehrheit erhalten

Angela Merkel hat nach dem monatelangen Ringen um eine erneute große Koalition mit der SPD bei der Kanzlerwahl nur eine knappe Mehrheit erhalten. Die 63-Jährige bekam in der geheimen Wahl am Mittwoch im Bundestag neun Stimmen mehr, als zu ihrer vierten Wahl als Bundeskanzlerin notwendig waren. Mehr als 30 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen wählten Merkel nicht.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die neue Bundesregierung dazu auf, das Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen. Dafür werde ein "schlichter Neuaufguss des Alten" nicht genügen, sagte der 62-Jährige. Die neue große Koalition müsse sich "ganz besonders im direkten Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern" bewähren. Sowohl Union als auch SPD hatten bei der Bundestagswahl viele Stimmen verloren.

Merkel und die 15 neuen Bundesminister legten im Bundestag ihren Amtseid ab. Knapp ein halbes Jahr nach der Wahl im September ist die neue Regierung damit im Amt. Bereits für den späten Nachmittag war die erste Kabinettssitzung geplant. Union und SPD haben angekündigt, sich nun sehr schnell um die Umsetzung ihrer Vorhaben zu kümmern.

Auch den europäischen Partnern will Merkel rasch signalisieren, dass Deutschland wieder handlungsfähig ist. Außenminister Heiko Maas wollte noch am Mittwoch zu seiner ersten Reise nach Paris aufbrechen. Am Freitag wird auch Merkel in der französischen Hauptstadt erwartet. Russlands Präsident Wladimir Putin, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gratulierten Merkel zur erneuten Wahl.

Auf das relativ knappe Wahlergebnis reagierte die SPD mit Erstaunen, die Opposition mit Kritik an der Neuauflage der großen Koalition. Von 688 gültigen Stimmen entfielen nach Angaben von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)) 364 auf Merkel, 355 brauchte sie mindestens. CDU, CSU und SPD verfügen zusammen über 399 Sitze, nur zwei Unionsabgeordnete fehlten. Damit gab es mindestens 33 Abweichler.

Grüne und FDP erklärten, sie hätten die CDU-Chefin nicht unterstützt. Der Bundestag hat 709 Abgeordnete. Von den 692 abgegeben Stimmen waren vier ungültig. 364 Parlamentarier stimmten mit Ja, 315 mit Nein. Neun enthielten sich.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zeigte sich erstaunt über das Ergebnis. "Es waren mehr Gegenstimmen, als ich erwartet hätte", sagte Nahles dem Sender "Welt". Bei der SPD sei "die Lage sehr geschlossen" gewesen. "Darum kann ich mich nur wundern." Der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, hielt im Sender "Phoenix" dagegen, niemand wisse, wer wie gestimmt habe. Der künftige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verwies auf die langwierige Regierungsbildung, die Spuren hinterlassen habe.

Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow betonte, für ihn sei es eine Gewissensfrage gewesen, Merkel nicht zu wählen. Die Glaubwürdigkeit der SPD habe durch ihre 180-Grad-Wende von einem Nein zur Neuauflage einer GroKo hin zum Ja gelitten, schrieb der ausgewiesene GroKo-Gegner in einer Erklärung. Er aber wolle seine Glaubwürdigkeit nicht aufgeben. "Mein Gewissen sagt mir weiter deutlich, ich kann Angela Merkel meine Stimme nicht geben."

Mehr Gegenstimmen als erwartet

Linke und Grüne werteten das Wahlergebnis als holprigen Start und Zeichen für die Zerrissenheit der großen Koalition. FDP-Chef Christian Lindner sprach von einem "Autoritätsverlust" der Kanzlerin. "Man kann davon ausgehen, dass die Koalition noch vor dem Ablauf der Legislaturperiode das Zeitliche segnen wird", sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel.

Auch 2005, 2009 und 2013 hatten nicht alle Parlamentarier der Koalitionsfraktionen für sie gestimmt. Diesmal war der Widerstand in der SPD gegen eine erneute große Koalition nach der historischen Wahlniederlage der Sozialdemokraten aber besonders groß. Die SPD-Fraktion erhob sich nach Merkels nicht und applaudierte auch nicht geschlossen.

Rund um die Kanzlerinwahl kam es zu Zwischenfällen. Ein Mann wurde von der Polizei wenige Meter von der Kanzlerin entfernt niedergerungen, als Merkel das Reichstagsgebäude verließ. Details konnte das Bundeskriminalamt zunächst nicht nennen, es werde ermittelt. Der AfD-Abgeordnete Peter Bystron muss ein Ordnungsgeld von 1000 Euro zahlen, weil er ein Bild seines Wahlzettels mit einem "Nein" zu Merkel im Netz veröffentlicht hatte. Ein AfD-Mitglied entrollte auf der Besuchertribüne an Transparent mit der Aufschrift "Merkel muss weg" und flog aus dem Bundestag.

Amüsierte Reaktionen löste Merkels Mann Joachim Sauer aus, der während der Wahl auf Handy und Laptop herumtippte. Auch Merkes 89 Jahre alte Mutter Herlind Kasner war unter den Zuschauern im Bundestag. (dpa)

INFO: Reaktionen auf die Wiederwahl Angela Merkels zur Kanzlerin
Deutsche Politiker kommentieren die Kanzlerinnen-Wahl. Eine Auswahl:

"Der Deutsche Bundestag hat Angela #Merkel mit 364 Stimmen gewählt. Wir freuen uns! #kanzlerinwahl" (Die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwoch auf Twitter)

"Herzlichen Glückwunsch an unsere Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel!" (CDU-Vize Julia Klöckner auf Twitter)

"364 Stimmen für #AngelaMerkel, die Regierungsmehrheit steht, eine #GroKo ist es nicht." (Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann von der SPD auf Twitter)

"171 Tage nach der Bundestagswahl hat der Deutsche Bundestag heute Angela Merkel zur Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Dazu gratuliere ich herzlich und freue mich auf gute Zusammenarbeit." (Die neue Justizministerin Katarina Barley (SPD) am Mittwoch auf Twitter)

"Die #GroKo hat Angela #Merkel quasi das "volle Vertrauen" ausgesprochen. #KanzlerinWahl." (Juso-Vorsitzender und GroKo-Gegner Kevin Kühnert auf Twitter)

"#Merkel und ihre geschrumpfte Koalition schleppen sich sichtbar lustlos in die hoffentlich letzte Amtszeit der Kanzlerin. Die Regierungszeit Merkels ist geprägt von offenen Rechtsbrüchen, dauernden populistischen Kehrtwenden und der zunehmenden Isolierung Deutschlands in der EU." (Leif-Erik Holm, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, auf Twitter)

"Man kann davon ausgehen, dass die Koalition noch vor dem Ablauf der Legislaturperiode das Zeitliche segnen wird" (AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel)

"Die hohe Zahl von Abweichlern bei der #Kanzlerwahl von #Merkel entlarvt enorme Fliehkräfte in der Groko. CL #fehlstart #bundeskanzlerin #kanzlerinwahl" (FDP-Vorsitzender Christian Lindner auf Twitter)

"Nur 9 Stimmen über den Durst - nun kann man wahrlich nicht mehr von einer GROßEN Koalition sprechen. #Merkel #Kanzlerinwahl" (Linken-Vorsitzende Katja Kipping auf Twitter)

"Schlechter Tag für D-land: Nach Monaten wählt Wahlverlierer-Koalition #Merkel an Spitze der nächsten Weiter-so- Regierung. Immerhin: knapp 30 Abgeordnete von CDU/CSU & SPD den Mut gehabt nicht für #Merkel zu stimmen. Statt #GroKo Bündnis für #SozialeWende" (Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, auf Twitter.)

"Was für ein wackeliger Start der #Neuauflage #GroKo: Nur 9 Stimmen über der notwendigen #KanzlerinMehrheit. Das ist kein Aufbruch. Es fehlt der Mut Zukunft zu gestalten. #Kanzlerwahl" (Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünenfraktion im Bundestag, Britta Haßelmann, am Mittwoch auf Twitter)

"Ich glaube, sie hat den Zeitpunkt verpasst, wo sie hätte in Glanz und Gloria gehen können." (Linken-Politiker Gregor Gysi am Mittwoch in Straßburg im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur)

Auch Prominente aus Wirtschaft, Kirche und Medien kommentierten Merkels vierte Wiederwahl. Eine Auswahl:

"Sie dürfen sicher sein, dass die katholische Kirche in Deutschland die Arbeit der Bundesregierung gerne weiterhin konstruktiv begleiten wird und wir uns mit unseren Anliegen in die aktuellen Debatten einbringen werden." (Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, am Mittwoch laut einer Pressemitteilung)

"Wir brauchen eine starke Regierung, stark für die Demokratie und für alle Menschen in Deutschland, egal welcher Religion, Hautfarbe oder Herkunft." (Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Mittwoch laut einer Pressemitteilung)

"Ich schätze sie als integre Persönlichkeit, ihre besonnene und zugleich bestimmte Politik und ihre geschichts- und verantwortungsbewusste Haltung, die sie zu einer Garantin für Freiheit und Demokratie macht." (Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, laut einer Pressemitteilung am Mittwoch)

"Es ist gut, dass nun eine neue Regierung das Heft des Handelns wieder in die Hand nimmt." (Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, laut einer Pressemitteilung am Mittwoch)

"Rund 9% der eigenen Koalition haben Merkel nicht gewählt" (Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach auf Twitter)
"Joachim Sauer ist und bleibt "Herr Bundeskanzlerin". Ende der Diskussion!" (Entertainer Jan Böhmermann auf Twitter)

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