Politik

Aiwanger-Plakate, wohin man blickt: Der FW-Spitzenkandidat wirbt in München um Großstadtwähler. (Foto: Umlauft)

21.09.2018

Das harte Ringen um die Städter

Serie Wahlkampf in Bayern – Teil 4 (Freie Wähler): FW-Chef Hubert Aiwanger versucht, in der Großstadt zu punkten, kommt allerdings auf dem Land deutlich besser an

Die Freien Wähler sind im Aufwind: Auf immerhin 11 Prozent taxierte sie die jüngste Umfrage von Infratest dimap, die der Bayerische Rundfunk in Auftrag gegeben hatte. Derzeit versucht FW-Chef Hubert Aiwanger, die Menschen in Bayerns Großstädten zu gewinnen – vor allem mit der Forderung nach kostenfreien Kitas. Sichtlich wohler fühlt sich Landwirt Aiwanger aber auf dem Land.

Wer dieser Tage durch Münchens Hauptstraßen fährt, kann Hubert Aiwanger nicht ausweichen. Zu Hunderten zieren Plakate mit seinem Konterfei die Straßenränder. Dabei kann man den Chef der Freien Wähler in der Landeshauptstadt gar nicht wählen. Schließlich kommt der 47-jährige Agraringenieur aus dem niederbayerischen Rottenburg an der Laaber. Doch der Spitzenkandidat hat Großes vor, er möchte nach der Landtagswahl mitregieren als Juniorpartner der CSU. Um das zu schaffen, braucht Aiwanger für seine Freien Wähler nicht nur die Stimmen seiner Stammwähler auf dem Land, er muss auch die Menschen in den großen Städten mobilisieren.

Aiwangers Großstadtschlager: kostenfreie Kitas

Die Zeit dafür scheint günstig zu sein. Nicht ohne Stolz erzählt Aiwanger, dass die „Städter“ seine Freien Wähler immer öfter um Hilfe riefen wegen des wachsenden Siedlungsdrucks mit allen negativen Folgen wie knapper Wohnraum, hohe Mieten, überfüllte Straßen und Verkehrsmittel, proppenvolle Kitas und Schulen. Da kann er den „Städtern“ seine Überzeugung nahebringen, dass die Förderung des ländlichen Raums, der Ausbau der Infrastruktur und die Schaffung neuen Wohnraums dort ganz im Sinne der Metropolen ist. Aufbau auf dem Land schafft Entlastung in der Stadt, lautet Aiwangers Formel. Oder prägnanter ausgedrückt: „Stärkt das Land, dann tretet ihr euch in der Stadt nicht tot.“

In der Praxis ist das aber kein Selbstläufer. Zumal das Landei Aiwanger mit den „Städtern“ doch noch etwas fremdelt. Auf dem Münchner Max-Joseph-Platz vor Oper und Residenz haben seine Helfer einen kleinen Wahlkampfstand aufgebaut. Extra für den Auftritt in Münchens guter Stube hat Aiwanger einen Anzug aus den Tiefen seines Kleiderschranks gekramt, der sicher einmal topschick war. Der Kontakt zu den Münchnern fällt schwer. Es scheint sogar, als wolle sich Aiwanger unter einem Sonnenschirm verstecken. Als ihn jedenfalls sein Münchner Lokalmatador Michael Piazolo auf die improvisierte Bühne bitten will, entdeckt er ihn erst nicht. „Hubert Aiwanger kommt gleich“, vertröstet Piazolo die Zuhörer, „er entdeckt noch ein bisschen München.“ So kann man das sehen.

„Liebes München“, beginnt Aiwanger kurz darauf, was angesichts des sehr überschaubaren Auditoriums eine ziemliche Übertreibung ist. Aiwanger bombardiert die kleine Schar unbeirrt mit seinen eigens für die Großstadt zurechtgelegten Thesen. „Die Wohnungsfrage wird auf dem Land gelöst“, ruft er. Daran anschließend bringt er seinen Dauerbrenner vom Verzicht auf die dritte Startbahn am Münchner Flughafen an, die der Landeshauptstadt nur noch mehr unverträgliches Wachstum bringen würde.

Aiwangers Großstadtschlager für die Landtagswahl aber sind die kostenfreien Kitas. Damit will er vor allem die jungen Städter ködern, die „städtische Klientel ansprechen“. Ministerpräsident Markus Söder solle sich lieber um die Kitas kümmern als um sein „Mondfahrtprogramm“, wie Aiwanger Söders Weltraumpläne rund um „Bavaria One“ nennt. Er garniert das mit einem typischen Aiwanger-Satz: „Löse erst mal die Probleme auf Erden, bevor du an das Jenseits denkst.“

Einmal in Fahrt schafft es Aiwanger sogar, zusammen mit der Arroganz-Kritik an Söder drei völlig verschiedene Themen in einen Satz zu packen: „Wir Freie Wähler wollen nicht vor einem Herrn erstarren, der die Kavallerie in Bayern einführen will, aber nicht einmal seine Hebammen ordentlich bezahlt.“ Darauf muss man erst einmal kommen.

Inzwischen hat sich Aiwanger vor den Münchnern frei geredet. So frei, dass er sie über die Altersversorgung für Landwirte informiert, vor der Rückkehr des Wolfes nach Bayern warnt und in der Zuwanderungsfrage zwischen guten und schlechten Ausländern unterscheidet. Bei solchen Sequenzen trippelt der liberale Piazolo etwas nervös auf dem Trottoir herum und ist im Grunde seines Herzen wahrscheinlich dankbar, dass doch nicht mehr Münchner zum Zuhören gekommen sind. Aiwanger aber ist zufrieden. „Unsere Stärke ist das Land, aber wir entwickeln uns weiter“, urteilt er am Rande seines München-Auftritt über seine Freien Wähler. „Wie ein Kind, das auf dem Land aufwächst, sich aber auch in der Stadt wohlfühlt.“

Vom Münchner Max-Joseph-Platz nach Tulling im Landkreis Ebersberg sind es keine 50 Kilometer, doch trennen die Orte Welten. Beim Tullinger „Bauernhiagst“ fühlt sich Aiwanger wie zu Hause. Menschen in sauberer Tracht, Blasmusik, kleine Handwerker, ein buntes Angebot bäuerlicher Produkte, Bier und Schweinsbraten und natürlich eine ordentliche Landmaschinenschau. Aiwanger braucht fast eine Stunde, bis er endlich am Rednerpult angelangt ist. Anders als in München geht er offen und zielstrebig auf die Leute zu und schüttelt jede greifbare Hand. Es wird geduzt und über Ferkelzucht gefachsimpelt, mit den Landfauen gescherzt und mit den Musikanten gefrotzelt. Nicht einmal an den Biertischen sind die Leute vor Aiwanger sicher, er setzt sich zum Plausch dazu, wo gerade Platz ist.

Auf der Bühne angelangt macht der Profi Aiwanger einen Anfängerfehler. „Ich verspreche, nur so lange zu reden, bis der erste pfeift“, ruft er in die Gesellschaft vor ihm. Natürlich kommt sofort ein Pfiff. Doch Aiwanger ignoriert ihn. Er will ja doch einiges loswerden vor dem ihm eher geneigten Publikum. Bevor er politisch wird, testet er mit ein paar Schmeicheleien über Land und Leute die Stimmung. Aiwangers Loblied auf die Bauern mag noch so virtuos sein, spontaner Beifall und Bravo-Rufe branden erst auf, als er seine Freien Wähler für das Abschaffen der Straßenausbaubeiträge rühmt. Das Thema zieht auf dem Land. Man fragt sich, wie es passieren konnte, dass die CSU es den Freien Wählern überlassen hat.

Weil es gerade gut läuft, hängt Aiwanger noch seine Gedanken zum Wolf und zur Migration an. „Ich bin kein Freund des Wolfes“, hebt er an, und schon klatschen sie. Die Wölfe sollten im Nationalpark oder in Russland bleiben, aber in Bayern gehe es nicht, „dass zwischen Weiderindern und Kälbern das Wolfsrudel durchmarschiert“. Das kommt an auf dem Land, genauso wie seine Haltung zur Zuwanderung: „Wer kommt, soll sich nützlich machen, wer uns ärgert, den schick’ ma wieder hoam.“ Wenn das der Kollege Piazolo gehört hätte. Aiwanger lässt noch ein paar Sprüche in dieser Preisklasse folgen und steht auch dazu. „Wir Freien Wähler nennen die Dinge beim Namen, aber wir hetzen nicht, wir reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist.“

Er glaubt: Die Freien Wähler sitzen nach der Wahl in der Regierung

Zurück noch einmal auf den Max-Joseph-Platz. Einige Fernsehteams sind da, er gibt Interviews. „Wir werden mit großer Wahrscheinlichkeit in der nächsten Regierung sitzen“, sagt er im Brustton der Überzeugung. Er wolle nicht zuschauen, „wie Schwarze und Grüne herumwursteln“. Dass die Freien Wähler zuletzt in Umfragen auf elf Prozent taxiert wurden, hält er noch nicht für das Ende der Fahnenstange. Immer mehr Menschen würden merken, „dass wir die vernünftige konservative Mitte sind – auch in den Städten“. Und als solche wolle man die CSU auf den richtigen Pfad zurückführen.

Auch zur AfD hat Aiwanger eine Meinung. Da müsse man zwischen der Partei und ihren Wählern unterscheiden. Das seien vielfach „enttäuschte Bürgerliche und keine Rechtsradikalen“. Denen müsse man eine Brücke zurück zu den demokratischen Parteien bauen. Auch dafür machten die Freien Wähler mit ihrem Programm Angebote. Wem das noch nicht genügt, für den hat Aiwanger noch eine ultimative Drohkulisse: „Wer AfD wählt, bekommt am Ende Schwarz-Grün.“ Eine konservative Koalition der Mitte gebe es nur mit den Freien Wählern. Aiwanger hofft, dass diese Ansage in Stadt und Land gleichermaßen zieht.
(Jürgen Umlauft)

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